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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Cavour verstärkte das Cabinet wesentlich durch seine Talente, sein Einfluß
innerhalb desselben wuchs rasch, und er war es, der die Verbindung des
Ministeriums mit dem linken Centrum vermittelte oder richtiger, Azeglio zu
bewegen wußte, dessen Unterstützung anzunehmen. Wegen einer Differenz mit
dem Minister des Innern trat er aus und ward, wenn auch nicht Gegner des
Cabinets, so doch demselben unbequem; zu den Zwistigkeiten mit Rom kamen
finanzielle Schwierigkeiten für das Ministerium, es gab seine Entlassung und
Cavour ward Präsident des neuen Cabinets mit dem Portefeuille der Finan¬
zen. Diese Stellung bekleidet er noch, indem er fast stets ein anderes Mini¬
sterium act inteiim verwaltet, manchmal sogar zwei, das des Innern und
der auswärtigen Angelegenheiten. Seine ungeheure Arbeitskraft scheint jeder
Aufgabe gewachsen, er hat die dornige Aufgabe, die hart bedrängten Finan¬
zen zu bessern, nach Kräften durchgeführt, eine freisinnige Handelspolitik be¬
gonnen und durch Verträge mit Oestreich, England, Frankreich, Belgien ?c.
befestigt, das Eisenbahnnetz vollständig gemacht und dem ganzen Verkehr einen
großen Aufschwung zu geben gewußt. Er ist die Seele des westmüchtlichen
Bündnisses gewesen, und hat offen die Fahne einer italienischen Politik ent¬
faltet, er hat aus dem pariser Congreß seine Stimme für Italien erhoben
und bei allen Berathungen dem Land, welches er' vertrat, durch seine Ta¬
lente, das Freunde wie Gegner bewundern mußten, Achtung zu verschaffen
gewußt. In der Kammer ist er aus heftigen Debatten als Sieger hervor¬
gegangen, so daß alle Parteien ihn als Mann der Situation haben aner¬
kennen müssen. Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf
und unangenehm, der oratorische Schwung fehlt ihm, aber niemand weiß eine
Sache klarer auseinanderzusetzen, niemand ist fertiger zur Erwiederung, nie¬
mand schärfer und kaustischer un Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung
Thiers. Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber ob-
wol er an der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man,
noch ehe er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Welt¬
mann, welchen seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß,
aber wir glauben weniger persönlich als für die Ideen, welche er versieht,
wenigstens kann ihm niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven
geschwankt; lange ehe er ins öffentliche Leben eintrat, hatte er dieselbe poli¬
tische Grundanschauung, die ihn später geleitet, gewonnen und die Verbindung
mit dem linken Centrum, welche ihm lebhaft vorgeworfen ward, war der
einzig mögliche Weg, mit der Kammer zu regieren.

Der Führer dieser Linken war Natazzi. Er trat 1S48 ins öffentliche
Leben mit dem Nus eines bedeutenden Rechtsgelehrten, und Redners ein, ging
zuerst weit links und machte große Fehler in der italienischen Frage. Er ward
dann Minister unter Gioberti, dessen Herrschaft bekanntlich nur kurz war, mit


Cavour verstärkte das Cabinet wesentlich durch seine Talente, sein Einfluß
innerhalb desselben wuchs rasch, und er war es, der die Verbindung des
Ministeriums mit dem linken Centrum vermittelte oder richtiger, Azeglio zu
bewegen wußte, dessen Unterstützung anzunehmen. Wegen einer Differenz mit
dem Minister des Innern trat er aus und ward, wenn auch nicht Gegner des
Cabinets, so doch demselben unbequem; zu den Zwistigkeiten mit Rom kamen
finanzielle Schwierigkeiten für das Ministerium, es gab seine Entlassung und
Cavour ward Präsident des neuen Cabinets mit dem Portefeuille der Finan¬
zen. Diese Stellung bekleidet er noch, indem er fast stets ein anderes Mini¬
sterium act inteiim verwaltet, manchmal sogar zwei, das des Innern und
der auswärtigen Angelegenheiten. Seine ungeheure Arbeitskraft scheint jeder
Aufgabe gewachsen, er hat die dornige Aufgabe, die hart bedrängten Finan¬
zen zu bessern, nach Kräften durchgeführt, eine freisinnige Handelspolitik be¬
gonnen und durch Verträge mit Oestreich, England, Frankreich, Belgien ?c.
befestigt, das Eisenbahnnetz vollständig gemacht und dem ganzen Verkehr einen
großen Aufschwung zu geben gewußt. Er ist die Seele des westmüchtlichen
Bündnisses gewesen, und hat offen die Fahne einer italienischen Politik ent¬
faltet, er hat aus dem pariser Congreß seine Stimme für Italien erhoben
und bei allen Berathungen dem Land, welches er' vertrat, durch seine Ta¬
lente, das Freunde wie Gegner bewundern mußten, Achtung zu verschaffen
gewußt. In der Kammer ist er aus heftigen Debatten als Sieger hervor¬
gegangen, so daß alle Parteien ihn als Mann der Situation haben aner¬
kennen müssen. Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf
und unangenehm, der oratorische Schwung fehlt ihm, aber niemand weiß eine
Sache klarer auseinanderzusetzen, niemand ist fertiger zur Erwiederung, nie¬
mand schärfer und kaustischer un Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung
Thiers. Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber ob-
wol er an der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man,
noch ehe er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Welt¬
mann, welchen seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß,
aber wir glauben weniger persönlich als für die Ideen, welche er versieht,
wenigstens kann ihm niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven
geschwankt; lange ehe er ins öffentliche Leben eintrat, hatte er dieselbe poli¬
tische Grundanschauung, die ihn später geleitet, gewonnen und die Verbindung
mit dem linken Centrum, welche ihm lebhaft vorgeworfen ward, war der
einzig mögliche Weg, mit der Kammer zu regieren.

Der Führer dieser Linken war Natazzi. Er trat 1S48 ins öffentliche
Leben mit dem Nus eines bedeutenden Rechtsgelehrten, und Redners ein, ging
zuerst weit links und machte große Fehler in der italienischen Frage. Er ward
dann Minister unter Gioberti, dessen Herrschaft bekanntlich nur kurz war, mit


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[0106] Cavour verstärkte das Cabinet wesentlich durch seine Talente, sein Einfluß innerhalb desselben wuchs rasch, und er war es, der die Verbindung des Ministeriums mit dem linken Centrum vermittelte oder richtiger, Azeglio zu bewegen wußte, dessen Unterstützung anzunehmen. Wegen einer Differenz mit dem Minister des Innern trat er aus und ward, wenn auch nicht Gegner des Cabinets, so doch demselben unbequem; zu den Zwistigkeiten mit Rom kamen finanzielle Schwierigkeiten für das Ministerium, es gab seine Entlassung und Cavour ward Präsident des neuen Cabinets mit dem Portefeuille der Finan¬ zen. Diese Stellung bekleidet er noch, indem er fast stets ein anderes Mini¬ sterium act inteiim verwaltet, manchmal sogar zwei, das des Innern und der auswärtigen Angelegenheiten. Seine ungeheure Arbeitskraft scheint jeder Aufgabe gewachsen, er hat die dornige Aufgabe, die hart bedrängten Finan¬ zen zu bessern, nach Kräften durchgeführt, eine freisinnige Handelspolitik be¬ gonnen und durch Verträge mit Oestreich, England, Frankreich, Belgien ?c. befestigt, das Eisenbahnnetz vollständig gemacht und dem ganzen Verkehr einen großen Aufschwung zu geben gewußt. Er ist die Seele des westmüchtlichen Bündnisses gewesen, und hat offen die Fahne einer italienischen Politik ent¬ faltet, er hat aus dem pariser Congreß seine Stimme für Italien erhoben und bei allen Berathungen dem Land, welches er' vertrat, durch seine Ta¬ lente, das Freunde wie Gegner bewundern mußten, Achtung zu verschaffen gewußt. In der Kammer ist er aus heftigen Debatten als Sieger hervor¬ gegangen, so daß alle Parteien ihn als Mann der Situation haben aner¬ kennen müssen. Cavour ist nicht eigentlich ein Redner, sein Organ ist scharf und unangenehm, der oratorische Schwung fehlt ihm, aber niemand weiß eine Sache klarer auseinanderzusetzen, niemand ist fertiger zur Erwiederung, nie¬ mand schärfer und kaustischer un Witz als er, er gleicht in dieser Beziehung Thiers. Zuerst macht er den Eindruck eines behäbigen Bourgeois, aber ob- wol er an der Spitze des dritten Standes in Piemont steht, so merkt man, noch ehe er geredet, an dem feinen ironischen Lächeln den überlegenen Welt¬ mann, welchen seine Unterhaltung stets zeigt. Ehrgeizig ist Cavour gewiß, aber wir glauben weniger persönlich als für die Ideen, welche er versieht, wenigstens kann ihm niemand nachweisen, daß er aus persönlichen Motiven geschwankt; lange ehe er ins öffentliche Leben eintrat, hatte er dieselbe poli¬ tische Grundanschauung, die ihn später geleitet, gewonnen und die Verbindung mit dem linken Centrum, welche ihm lebhaft vorgeworfen ward, war der einzig mögliche Weg, mit der Kammer zu regieren. Der Führer dieser Linken war Natazzi. Er trat 1S48 ins öffentliche Leben mit dem Nus eines bedeutenden Rechtsgelehrten, und Redners ein, ging zuerst weit links und machte große Fehler in der italienischen Frage. Er ward dann Minister unter Gioberti, dessen Herrschaft bekanntlich nur kurz war, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/106>, abgerufen am 04.11.2024.