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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Und Oestreich täuschte sich über diese Lage der Dinge nicht. Graf d'Hcmsson-
ville erzählt, daß Fürst Metternich dem französischen Botschafter zu Wien 1830
sagte, für ihn sei die Frage Piemonts die Frage von ganz Italien. Doppelt
mußten die Anzeichen beunruhigen, welche 1847 eine neue Ordnung der Dinge
in Sardinien verkündeten. Der Kampf, den letzteres 1843 und 49 unternahm
und seine Ergebnisse sind bekannt, Oestreich war Sieger geblieben, aber die
Grenzen waren nicht verrückt. Zwei Dinge waren es, die Piemont retteten,
einmal die Eifersucht der europäischen Mächte, welche nicht geduldet hätten,
daß Oestreich sich in Turin festsetzte, und zweitens die Aufrechthaltung der
liberalen Institutionen. Durch sie war die Regierung, wie sich nicht leugnen
läßt, zum Kampf getrieben; nach dessen unglücklichem Ende wäre es nicht zu
verwundern gewesen, wenn diese Institutionen gefallen wären, und wenn
Oestreich nicht in Turin war. konnte dann doch sein Einfluß dort allmächtig
werden. Die Loyalität und der gesunde Blick des jungen Königs verhinderten
dies, er sah ein, daß die Aufrechthaltung dieser Grundverschiedenheit von der
lombardischen Regierung ein moralischer Schlagbaum gegen Oestreich sei, und
blieb seinem Eide treu. Umsonst versuchte das wiener Cabinet ihm die Nieder¬
lage von Novara und selbst die Abdankung seines Vaters als die Niederlage
des revolutionären Geistes darzustellen und ihm mit der Wiedererlangung der
unumschränkten königlichen Gewalt zu schmeicheln; er zog es vor, als mit
seinem Volk besiegt zu erscheinen, statt durch die Oestreicher die Revolution
zu besiegen. Dank diesem Muthe ist Sardinien eine Macht in Italien ge¬
blieben, es repräsentirt noch mehr als zuvor in der nördlichen Halbinsel die
Möglichkeit eines unabhängigen Italiens. Nicht mehr Erfolg hatte Oestreich
bei den Männern der äußersten Rechten in Piemont, welche den neuen In¬
stitutionen sewdlich gesinnt waren, sie sind reactionär. aber vor allem doch na¬
tional, und wollen Ueber in ihrem Lande dulden, was sie als Unrecht ansehen,
als sich auf auswärtige Hilfe stützen. Nur der Klerus ist Oestreich zugethan,
Weil er ohne Nationalität ist; aber so antivstrcichisch ist die Stimmung, im
ganzen Volk, daß er nur mit vieler Vorsicht die Vertheidigung der lombar¬
dischen Zustände unternehmen kann. Endlich machte das wiener Cabinet noch
einen Versuch, mit Frankreich insgemein die repräsentativen Institutionen in
Sardinien zu gefährden. Als nach dem Staatsstreich vom 2. Decbr. 1852
die Reaction auf der Höhe in Europa stand, stellte Oestreich dem Prinzpräsi¬
denten Sie Gefahren vor. welche beiden Ländern durch die Flüchtlinge und
die freie Presse in Sardinien erwüchsen. Der Marquis d'Azeglio beauftragte
seinen Gesandten in Paris, der französischen Regierung die Uebertreibungen
zu zeigen, welche Oestreich sich hierbei zu Schulden kommen ließ, und wie es
damit nur einen Schlag aus Piemonts Regierung zu führen gedenke, um sei¬
nen Einfluß unbeschränkt in Italien herrschen zu machen, wodurch es eben


Und Oestreich täuschte sich über diese Lage der Dinge nicht. Graf d'Hcmsson-
ville erzählt, daß Fürst Metternich dem französischen Botschafter zu Wien 1830
sagte, für ihn sei die Frage Piemonts die Frage von ganz Italien. Doppelt
mußten die Anzeichen beunruhigen, welche 1847 eine neue Ordnung der Dinge
in Sardinien verkündeten. Der Kampf, den letzteres 1843 und 49 unternahm
und seine Ergebnisse sind bekannt, Oestreich war Sieger geblieben, aber die
Grenzen waren nicht verrückt. Zwei Dinge waren es, die Piemont retteten,
einmal die Eifersucht der europäischen Mächte, welche nicht geduldet hätten,
daß Oestreich sich in Turin festsetzte, und zweitens die Aufrechthaltung der
liberalen Institutionen. Durch sie war die Regierung, wie sich nicht leugnen
läßt, zum Kampf getrieben; nach dessen unglücklichem Ende wäre es nicht zu
verwundern gewesen, wenn diese Institutionen gefallen wären, und wenn
Oestreich nicht in Turin war. konnte dann doch sein Einfluß dort allmächtig
werden. Die Loyalität und der gesunde Blick des jungen Königs verhinderten
dies, er sah ein, daß die Aufrechthaltung dieser Grundverschiedenheit von der
lombardischen Regierung ein moralischer Schlagbaum gegen Oestreich sei, und
blieb seinem Eide treu. Umsonst versuchte das wiener Cabinet ihm die Nieder¬
lage von Novara und selbst die Abdankung seines Vaters als die Niederlage
des revolutionären Geistes darzustellen und ihm mit der Wiedererlangung der
unumschränkten königlichen Gewalt zu schmeicheln; er zog es vor, als mit
seinem Volk besiegt zu erscheinen, statt durch die Oestreicher die Revolution
zu besiegen. Dank diesem Muthe ist Sardinien eine Macht in Italien ge¬
blieben, es repräsentirt noch mehr als zuvor in der nördlichen Halbinsel die
Möglichkeit eines unabhängigen Italiens. Nicht mehr Erfolg hatte Oestreich
bei den Männern der äußersten Rechten in Piemont, welche den neuen In¬
stitutionen sewdlich gesinnt waren, sie sind reactionär. aber vor allem doch na¬
tional, und wollen Ueber in ihrem Lande dulden, was sie als Unrecht ansehen,
als sich auf auswärtige Hilfe stützen. Nur der Klerus ist Oestreich zugethan,
Weil er ohne Nationalität ist; aber so antivstrcichisch ist die Stimmung, im
ganzen Volk, daß er nur mit vieler Vorsicht die Vertheidigung der lombar¬
dischen Zustände unternehmen kann. Endlich machte das wiener Cabinet noch
einen Versuch, mit Frankreich insgemein die repräsentativen Institutionen in
Sardinien zu gefährden. Als nach dem Staatsstreich vom 2. Decbr. 1852
die Reaction auf der Höhe in Europa stand, stellte Oestreich dem Prinzpräsi¬
denten Sie Gefahren vor. welche beiden Ländern durch die Flüchtlinge und
die freie Presse in Sardinien erwüchsen. Der Marquis d'Azeglio beauftragte
seinen Gesandten in Paris, der französischen Regierung die Uebertreibungen
zu zeigen, welche Oestreich sich hierbei zu Schulden kommen ließ, und wie es
damit nur einen Schlag aus Piemonts Regierung zu führen gedenke, um sei¬
nen Einfluß unbeschränkt in Italien herrschen zu machen, wodurch es eben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/101>, abgerufen am 25.06.2024.