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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Hausphilosophen auch auf Reisen mit, wobei es sich dann wol ereignete, daß
diese nach langem Warten im Regen mit einem Tänzer, Koch oder Friseur in
den letzten, schlecht versorgten Wagen gepackt wurden, und wol noch gar erleben
mußten, daß die Malteser Schoßhündin, die ihrer besondern Fürsorge empfoh¬
len war, auf ihrem Mantel Junge warf. Anders als bei Tisch oder bei der
Toilette fanden die Damen freilich nicht Zeit, sich philosophische Vortrüge
halten zu lassen, und wenn ihnen etwa während eines Vortrages über die
Eitelkeit des Irdischen die Zofe das Billet eines Verehrers übergab, so unter¬
brachen sie sich nicht länger als nöthig war, um die Antwort zu schreiben,
und hörten dann andächtig weiter. Diese Schilderung macht Lucian unter
der Negierung Marc Aurels. des Philosophen auf dem Throne: wir würden
auch ohne Dios ausdrückliche Versicherung nicht zweifeln, daß durch das kaiser¬
liche Beispiel die Philosophie damals in Rom Mode geworden war. Einem
glaubwürdigen Bericht zufolge wurde besonders die Republik Platos von
Frauen gelesen, in welcher die Aufhebung der Ehe und die Gemeinschaft der
Weiber in einer gewissen Ausdehnung sür eine Grundbedingung des idealen
Staates erklärt wird.

Das Trachten der Frauen nach literarischem Ruhm und das Prunken
mit philosophischer Bildung ist nicht das einzige Symptom ihrer Sucht, die
Grenzen zu überschreiten, innerhalb deren das weibliche Leben sich in natur¬
gemäßer Entwicklung bewegen soll. Diese Sucht war eine natürliche Folge
der unabhängigen und selbständigen Stellung, die sie in der Gesellschaft ein¬
nahmen. In ihrer Selbständigkeit lag eine starke Versuchung, die Fesseln,
die Natur und Sitte ihnen aufgelegt hatte, überhaupt abzustreifen, nach Vor¬
zügen zu streben, die ihrem Geschlecht versagt, Beschäftigungen zu wühlen,
die mit echter Weiblichkeit unvereinbar waren. Man sah Frauen mit einem
Eiser. der einer bessern Sache würdig war, Turm- und Fechtübungen anstellen.
Sie legten Turnercostüm an, schwangen mit Leichtigkeit schwere Bleimassen,
hielten tapfer den Druck des Visirhelms und der übrigen Gladiatorenrüstung
aus, und führten üchzend die Stöße und Hiebe des Schulfechtcns nach An¬
weisung des Fechtiehrers gegen einen in die Erde gerammten Pfahl in vor¬
schriftsmäßiger Stellung aus. Andere zechten mit den Münnern um die Wette
die Nächte durch, und man bemerkte, daß infolge dieser närrischen Aus¬
schweifungen die Frauen von Uebeln der Männer befallen wurden, nämlich
Kahlköpsigteit und Podagra, welchen sie nach Hippokrates nicht unterworfen
sein sollten. Wieder andere hatten die Leidenschaft, unaufhörlich zu proces-
siren und waren im Recht so erfahren, daß sie selbst die Anklageschriften aus¬
arbeiteten. Am natürlichsten war es. daß Frauen in hoher Stellung nach
Einfluß trachteten. Der Ehrgeiz, in den Gang der Dinge einzugreifen, miß-
fleidete wenigstens höher organisirte Naturen nicht so wie die übrigen Eman-


Hausphilosophen auch auf Reisen mit, wobei es sich dann wol ereignete, daß
diese nach langem Warten im Regen mit einem Tänzer, Koch oder Friseur in
den letzten, schlecht versorgten Wagen gepackt wurden, und wol noch gar erleben
mußten, daß die Malteser Schoßhündin, die ihrer besondern Fürsorge empfoh¬
len war, auf ihrem Mantel Junge warf. Anders als bei Tisch oder bei der
Toilette fanden die Damen freilich nicht Zeit, sich philosophische Vortrüge
halten zu lassen, und wenn ihnen etwa während eines Vortrages über die
Eitelkeit des Irdischen die Zofe das Billet eines Verehrers übergab, so unter¬
brachen sie sich nicht länger als nöthig war, um die Antwort zu schreiben,
und hörten dann andächtig weiter. Diese Schilderung macht Lucian unter
der Negierung Marc Aurels. des Philosophen auf dem Throne: wir würden
auch ohne Dios ausdrückliche Versicherung nicht zweifeln, daß durch das kaiser¬
liche Beispiel die Philosophie damals in Rom Mode geworden war. Einem
glaubwürdigen Bericht zufolge wurde besonders die Republik Platos von
Frauen gelesen, in welcher die Aufhebung der Ehe und die Gemeinschaft der
Weiber in einer gewissen Ausdehnung sür eine Grundbedingung des idealen
Staates erklärt wird.

Das Trachten der Frauen nach literarischem Ruhm und das Prunken
mit philosophischer Bildung ist nicht das einzige Symptom ihrer Sucht, die
Grenzen zu überschreiten, innerhalb deren das weibliche Leben sich in natur¬
gemäßer Entwicklung bewegen soll. Diese Sucht war eine natürliche Folge
der unabhängigen und selbständigen Stellung, die sie in der Gesellschaft ein¬
nahmen. In ihrer Selbständigkeit lag eine starke Versuchung, die Fesseln,
die Natur und Sitte ihnen aufgelegt hatte, überhaupt abzustreifen, nach Vor¬
zügen zu streben, die ihrem Geschlecht versagt, Beschäftigungen zu wühlen,
die mit echter Weiblichkeit unvereinbar waren. Man sah Frauen mit einem
Eiser. der einer bessern Sache würdig war, Turm- und Fechtübungen anstellen.
Sie legten Turnercostüm an, schwangen mit Leichtigkeit schwere Bleimassen,
hielten tapfer den Druck des Visirhelms und der übrigen Gladiatorenrüstung
aus, und führten üchzend die Stöße und Hiebe des Schulfechtcns nach An¬
weisung des Fechtiehrers gegen einen in die Erde gerammten Pfahl in vor¬
schriftsmäßiger Stellung aus. Andere zechten mit den Münnern um die Wette
die Nächte durch, und man bemerkte, daß infolge dieser närrischen Aus¬
schweifungen die Frauen von Uebeln der Männer befallen wurden, nämlich
Kahlköpsigteit und Podagra, welchen sie nach Hippokrates nicht unterworfen
sein sollten. Wieder andere hatten die Leidenschaft, unaufhörlich zu proces-
siren und waren im Recht so erfahren, daß sie selbst die Anklageschriften aus¬
arbeiteten. Am natürlichsten war es. daß Frauen in hoher Stellung nach
Einfluß trachteten. Der Ehrgeiz, in den Gang der Dinge einzugreifen, miß-
fleidete wenigstens höher organisirte Naturen nicht so wie die übrigen Eman-


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[0098] Hausphilosophen auch auf Reisen mit, wobei es sich dann wol ereignete, daß diese nach langem Warten im Regen mit einem Tänzer, Koch oder Friseur in den letzten, schlecht versorgten Wagen gepackt wurden, und wol noch gar erleben mußten, daß die Malteser Schoßhündin, die ihrer besondern Fürsorge empfoh¬ len war, auf ihrem Mantel Junge warf. Anders als bei Tisch oder bei der Toilette fanden die Damen freilich nicht Zeit, sich philosophische Vortrüge halten zu lassen, und wenn ihnen etwa während eines Vortrages über die Eitelkeit des Irdischen die Zofe das Billet eines Verehrers übergab, so unter¬ brachen sie sich nicht länger als nöthig war, um die Antwort zu schreiben, und hörten dann andächtig weiter. Diese Schilderung macht Lucian unter der Negierung Marc Aurels. des Philosophen auf dem Throne: wir würden auch ohne Dios ausdrückliche Versicherung nicht zweifeln, daß durch das kaiser¬ liche Beispiel die Philosophie damals in Rom Mode geworden war. Einem glaubwürdigen Bericht zufolge wurde besonders die Republik Platos von Frauen gelesen, in welcher die Aufhebung der Ehe und die Gemeinschaft der Weiber in einer gewissen Ausdehnung sür eine Grundbedingung des idealen Staates erklärt wird. Das Trachten der Frauen nach literarischem Ruhm und das Prunken mit philosophischer Bildung ist nicht das einzige Symptom ihrer Sucht, die Grenzen zu überschreiten, innerhalb deren das weibliche Leben sich in natur¬ gemäßer Entwicklung bewegen soll. Diese Sucht war eine natürliche Folge der unabhängigen und selbständigen Stellung, die sie in der Gesellschaft ein¬ nahmen. In ihrer Selbständigkeit lag eine starke Versuchung, die Fesseln, die Natur und Sitte ihnen aufgelegt hatte, überhaupt abzustreifen, nach Vor¬ zügen zu streben, die ihrem Geschlecht versagt, Beschäftigungen zu wühlen, die mit echter Weiblichkeit unvereinbar waren. Man sah Frauen mit einem Eiser. der einer bessern Sache würdig war, Turm- und Fechtübungen anstellen. Sie legten Turnercostüm an, schwangen mit Leichtigkeit schwere Bleimassen, hielten tapfer den Druck des Visirhelms und der übrigen Gladiatorenrüstung aus, und führten üchzend die Stöße und Hiebe des Schulfechtcns nach An¬ weisung des Fechtiehrers gegen einen in die Erde gerammten Pfahl in vor¬ schriftsmäßiger Stellung aus. Andere zechten mit den Münnern um die Wette die Nächte durch, und man bemerkte, daß infolge dieser närrischen Aus¬ schweifungen die Frauen von Uebeln der Männer befallen wurden, nämlich Kahlköpsigteit und Podagra, welchen sie nach Hippokrates nicht unterworfen sein sollten. Wieder andere hatten die Leidenschaft, unaufhörlich zu proces- siren und waren im Recht so erfahren, daß sie selbst die Anklageschriften aus¬ arbeiteten. Am natürlichsten war es. daß Frauen in hoher Stellung nach Einfluß trachteten. Der Ehrgeiz, in den Gang der Dinge einzugreifen, miß- fleidete wenigstens höher organisirte Naturen nicht so wie die übrigen Eman-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/98>, abgerufen am 21.12.2024.