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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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die Schauspiele als die geeignetsten Orte zur Anknüpfung galanter Verhält¬
nisse empfiehlt. Doch dieser Gegenstand hat neben seiner heitern Seite auch
eine furchtbar ernste: die entsittlichenden Wirkungen der Schauspiele kann
man sich kaum groß, entsetzlich genug vorstellen. Der Circus, wo Pöbelmassen
von Parteileidenschaft bis zur Raserei entflammt gegeneinander tobten, bot
noch bei weitem unschuldigere Scenen, als Theater und Amphitheater. Wie
vollends die Gewöhnung an die Schlächtereien und Martersccnen der Arena die
Seelen verwüsten und jede zartere Empfindung abtödten mußte, das ist eine Vor-
stellung, vor der man zurückschaudert. In dieser Schule lernte man die
Grausamkeit gegen Sklaven und Sklavinnen üben, von der wir mehr als eine
empörende Schilderung haben. Das Interesse der Frauen an den Schau¬
spielen erstreckte sich auch aus die darin auftretenden Künstler. Selbst
Gladiatoren machten bei Damen der höchsten Stände Glück, noch mehr aber
die Schauspieler und Sänger, am meisten die gefeierten Pantomimen, denen
Frauen und Männer wetteifernd den Hof machten. Freilich setzten sie sich
auch der Gesahr aus, ihre Erfolge mit dem Dolchstoß eines Bravo zu büßen,
den ein beleidigter Gemahl gemiethet hatte. Domitian ließ den Pantomimen
Paris, der seine Eifersucht erregte, auf offener Straße niederstoßen, was in
Rom allgemeine Sensation hervorbrachte. Auf den Fleck, wo Paris gefallen
war, streuten viele seiner Verehrer Blumen und gössen Wohlgerüche aus.
Das Gerücht brachte sogar die spätere ErmordungDomitians mit der Leidenschaft
seiner Gemahlin für diesen oder einen andern Pantomnnen in Verbindung.
Tiber verwies einmal sämmtliche Pantomimen aus Rom wegen der skanda¬
lösen Verhältnisse, die sie mit angesehenen Frauen unterhielten. Daß die
Virtuosen des Gesanges, der Cither und der Flöte bei den musikalischen
Damen der höhern Stände nicht weniger eifrige Bewunderung fanden, ist
bereits in einem frühern Aufsatz erwähnt.

> Unter den Genüssen und Zerstreuungen, die in dem Leben einer vor¬
nehmen Römerin in stetiger Folge abwechselten, durfte eine Villeggiatur oder
der Besuch eines Luxusbades nicht fehlen. Schon das Klima Roms, wo
Sommer und Frühherbst unerträglich heiß und fiebergefährlich sind, machte
einen Sommeraufenthalt aus dem Lande zum dringenden Bedürfniß. Im
Juli begannen die Paläste leer zu werden und die hohen Straßen öde und
verlassen auszusehen. Auf allen Chausseen rasselten dann in Staubwirbel
gehüllt die eleganten Reisezüge der vornehmen Welt nach nahen und fernen
Villen und Bädern. Jene Zeit, welche die Kunst des schwelgerischen Genießens
mit einem Raffinement ausbildete und mit einer Virtuosität übte, wie keine
andere, verstand sich auf den Genuß der Natur nicht minder vortrefflich als
auf die Ausbeutung der Kunst zur Verschönerung des Daseins. Davon
zeugen noch heute die Trümmer römischer Pillen, auf die man meist an den


die Schauspiele als die geeignetsten Orte zur Anknüpfung galanter Verhält¬
nisse empfiehlt. Doch dieser Gegenstand hat neben seiner heitern Seite auch
eine furchtbar ernste: die entsittlichenden Wirkungen der Schauspiele kann
man sich kaum groß, entsetzlich genug vorstellen. Der Circus, wo Pöbelmassen
von Parteileidenschaft bis zur Raserei entflammt gegeneinander tobten, bot
noch bei weitem unschuldigere Scenen, als Theater und Amphitheater. Wie
vollends die Gewöhnung an die Schlächtereien und Martersccnen der Arena die
Seelen verwüsten und jede zartere Empfindung abtödten mußte, das ist eine Vor-
stellung, vor der man zurückschaudert. In dieser Schule lernte man die
Grausamkeit gegen Sklaven und Sklavinnen üben, von der wir mehr als eine
empörende Schilderung haben. Das Interesse der Frauen an den Schau¬
spielen erstreckte sich auch aus die darin auftretenden Künstler. Selbst
Gladiatoren machten bei Damen der höchsten Stände Glück, noch mehr aber
die Schauspieler und Sänger, am meisten die gefeierten Pantomimen, denen
Frauen und Männer wetteifernd den Hof machten. Freilich setzten sie sich
auch der Gesahr aus, ihre Erfolge mit dem Dolchstoß eines Bravo zu büßen,
den ein beleidigter Gemahl gemiethet hatte. Domitian ließ den Pantomimen
Paris, der seine Eifersucht erregte, auf offener Straße niederstoßen, was in
Rom allgemeine Sensation hervorbrachte. Auf den Fleck, wo Paris gefallen
war, streuten viele seiner Verehrer Blumen und gössen Wohlgerüche aus.
Das Gerücht brachte sogar die spätere ErmordungDomitians mit der Leidenschaft
seiner Gemahlin für diesen oder einen andern Pantomnnen in Verbindung.
Tiber verwies einmal sämmtliche Pantomimen aus Rom wegen der skanda¬
lösen Verhältnisse, die sie mit angesehenen Frauen unterhielten. Daß die
Virtuosen des Gesanges, der Cither und der Flöte bei den musikalischen
Damen der höhern Stände nicht weniger eifrige Bewunderung fanden, ist
bereits in einem frühern Aufsatz erwähnt.

> Unter den Genüssen und Zerstreuungen, die in dem Leben einer vor¬
nehmen Römerin in stetiger Folge abwechselten, durfte eine Villeggiatur oder
der Besuch eines Luxusbades nicht fehlen. Schon das Klima Roms, wo
Sommer und Frühherbst unerträglich heiß und fiebergefährlich sind, machte
einen Sommeraufenthalt aus dem Lande zum dringenden Bedürfniß. Im
Juli begannen die Paläste leer zu werden und die hohen Straßen öde und
verlassen auszusehen. Auf allen Chausseen rasselten dann in Staubwirbel
gehüllt die eleganten Reisezüge der vornehmen Welt nach nahen und fernen
Villen und Bädern. Jene Zeit, welche die Kunst des schwelgerischen Genießens
mit einem Raffinement ausbildete und mit einer Virtuosität übte, wie keine
andere, verstand sich auf den Genuß der Natur nicht minder vortrefflich als
auf die Ausbeutung der Kunst zur Verschönerung des Daseins. Davon
zeugen noch heute die Trümmer römischer Pillen, auf die man meist an den


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[0094] die Schauspiele als die geeignetsten Orte zur Anknüpfung galanter Verhält¬ nisse empfiehlt. Doch dieser Gegenstand hat neben seiner heitern Seite auch eine furchtbar ernste: die entsittlichenden Wirkungen der Schauspiele kann man sich kaum groß, entsetzlich genug vorstellen. Der Circus, wo Pöbelmassen von Parteileidenschaft bis zur Raserei entflammt gegeneinander tobten, bot noch bei weitem unschuldigere Scenen, als Theater und Amphitheater. Wie vollends die Gewöhnung an die Schlächtereien und Martersccnen der Arena die Seelen verwüsten und jede zartere Empfindung abtödten mußte, das ist eine Vor- stellung, vor der man zurückschaudert. In dieser Schule lernte man die Grausamkeit gegen Sklaven und Sklavinnen üben, von der wir mehr als eine empörende Schilderung haben. Das Interesse der Frauen an den Schau¬ spielen erstreckte sich auch aus die darin auftretenden Künstler. Selbst Gladiatoren machten bei Damen der höchsten Stände Glück, noch mehr aber die Schauspieler und Sänger, am meisten die gefeierten Pantomimen, denen Frauen und Männer wetteifernd den Hof machten. Freilich setzten sie sich auch der Gesahr aus, ihre Erfolge mit dem Dolchstoß eines Bravo zu büßen, den ein beleidigter Gemahl gemiethet hatte. Domitian ließ den Pantomimen Paris, der seine Eifersucht erregte, auf offener Straße niederstoßen, was in Rom allgemeine Sensation hervorbrachte. Auf den Fleck, wo Paris gefallen war, streuten viele seiner Verehrer Blumen und gössen Wohlgerüche aus. Das Gerücht brachte sogar die spätere ErmordungDomitians mit der Leidenschaft seiner Gemahlin für diesen oder einen andern Pantomnnen in Verbindung. Tiber verwies einmal sämmtliche Pantomimen aus Rom wegen der skanda¬ lösen Verhältnisse, die sie mit angesehenen Frauen unterhielten. Daß die Virtuosen des Gesanges, der Cither und der Flöte bei den musikalischen Damen der höhern Stände nicht weniger eifrige Bewunderung fanden, ist bereits in einem frühern Aufsatz erwähnt. > Unter den Genüssen und Zerstreuungen, die in dem Leben einer vor¬ nehmen Römerin in stetiger Folge abwechselten, durfte eine Villeggiatur oder der Besuch eines Luxusbades nicht fehlen. Schon das Klima Roms, wo Sommer und Frühherbst unerträglich heiß und fiebergefährlich sind, machte einen Sommeraufenthalt aus dem Lande zum dringenden Bedürfniß. Im Juli begannen die Paläste leer zu werden und die hohen Straßen öde und verlassen auszusehen. Auf allen Chausseen rasselten dann in Staubwirbel gehüllt die eleganten Reisezüge der vornehmen Welt nach nahen und fernen Villen und Bädern. Jene Zeit, welche die Kunst des schwelgerischen Genießens mit einem Raffinement ausbildete und mit einer Virtuosität übte, wie keine andere, verstand sich auf den Genuß der Natur nicht minder vortrefflich als auf die Ausbeutung der Kunst zur Verschönerung des Daseins. Davon zeugen noch heute die Trümmer römischer Pillen, auf die man meist an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/94>, abgerufen am 21.12.2024.