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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Um nun die Pedanterie der bloßen Gelehrsamkeit von sich abzustreifen,
stellte er für eine Zeit lang seine Excerpte der Thatsachen ein, "Waruni füh¬
ren die Philosophen das gemeine Wesen übel? Warum ist das Genie seltener
als im Alterthum? Weil Homer und Shakespeare nicht Advcrsaria stoppelten,
um unsterblich zu werden, weil ihr Genie nicht unter Folianten erstickte. Ich
will observiren, und die Bemerkungen tiefer in die Seele, seltener aufs Papier
schreiben. Die Weisheit, der Werth des freien Mannes von Genie soll in
ihm selbst sein, und die Tyrannen, welche Europa fesseln und fesseln wollen,
sind nicht strengere Unterdrücker, als unsere eigenen Vorurtheile und beschwer¬
lichen Gewohnheiten." Dagegen zeichnete er seit dem Mai 1774 nach dem
Vorbild des Macchiavell sin den Anmerkungen zu", Livius) alle politischen
und moralischen Maximen, die ihm bei seiner Lectüre einfielen, in einem gro¬
ßen Folioband auf. In wenigen Monaten hatte er es bis zu I80U gebracht.
Diese Notizen, die er bis t77ki fortsetzte, sind noch vorhanden und wenn er
sie auch zum großen Theil in seine allgemeine Geschichte aufgenommen hat,
so haben sie doch insofern Interesse, als sie die Stimmung jener Periode
versinnlichen.

"Ein alter Philosoph stach sich die Augen aus, damit er in seinen Spe-
culationen nicht gestört würde. So wollen idealische Politiker der Menschen
und gemeiner Wesen wahre Gestalt nicht sehen, damit ihre Traume ihnen selbst
nicht unstatthaft erscheinen." -- "Ein System der Politik ist ein schönes
Schauspiel. Ab^r ehe man vom Berg herunter unter einen Blick alles ver¬
einigt, muß die Ebene im Detail gesehen werden, sonst verwirren sich die
Objecte, und das Gemälde befriedigt nicht." -- "Es muß in keiner Geschichte
erwogen werden, was in allgemeinen Ausdrücken bei uns von der Unterneh¬
mung geurtheilt werde; sondern die Veranlassung nebst dem Ausgang müssen
unser Urtheil bestimmen. Bestes Mittel zur Verbannung aller allgemeinen
Urtheile. Hüte dich besonders vor llniversalbüchern, Universalideen und
Decisionen!" --"Das Präliminarcapitel jeder wahren Politik ist die Be¬
schreibung des Charakters der Nation;'jedes Land trägt eine eigene Gattung
Geschöpfe, und auch Fremde naturalisiren nach demselben, -- Ohne die phy¬
sische und moralische Naturgeschichte der Völker wird der Gesetzgeber im Geist
und Detail immer irren," -- "In der Moral sollte von Menschenliebe und
andern Tugenden im Allgemeinen keine Rede sein, sondern von dein Detail
der Pflichten jedes Bürgers in seiner besondern Lage. Allgemeine Monum



") I" einer Recension ,773 bittet M. sämmtliche Geschichtschreiber: "Charaktere ihrer
Helden entweder garnicht zu schildern: wir wollen sie lieber aus historischer Erzählung ihrer
Thatsachen herauslesen; oder wenigstens, statt ein langes Verzeichnis, ihrer Tugenden und
Laster aus dem nächsten besten Compendium der Moral zu verfertigen. lieber bcwnlnte Anek¬
doten von ihrem Charakter, welche an andern Stellen ihrer Geschichte leinen Platz finde", mit
Anführung der Quellen in den letzten Paragraphen ihrer Biographie zusammen werfen."

Um nun die Pedanterie der bloßen Gelehrsamkeit von sich abzustreifen,
stellte er für eine Zeit lang seine Excerpte der Thatsachen ein, „Waruni füh¬
ren die Philosophen das gemeine Wesen übel? Warum ist das Genie seltener
als im Alterthum? Weil Homer und Shakespeare nicht Advcrsaria stoppelten,
um unsterblich zu werden, weil ihr Genie nicht unter Folianten erstickte. Ich
will observiren, und die Bemerkungen tiefer in die Seele, seltener aufs Papier
schreiben. Die Weisheit, der Werth des freien Mannes von Genie soll in
ihm selbst sein, und die Tyrannen, welche Europa fesseln und fesseln wollen,
sind nicht strengere Unterdrücker, als unsere eigenen Vorurtheile und beschwer¬
lichen Gewohnheiten." Dagegen zeichnete er seit dem Mai 1774 nach dem
Vorbild des Macchiavell sin den Anmerkungen zu», Livius) alle politischen
und moralischen Maximen, die ihm bei seiner Lectüre einfielen, in einem gro¬
ßen Folioband auf. In wenigen Monaten hatte er es bis zu I80U gebracht.
Diese Notizen, die er bis t77ki fortsetzte, sind noch vorhanden und wenn er
sie auch zum großen Theil in seine allgemeine Geschichte aufgenommen hat,
so haben sie doch insofern Interesse, als sie die Stimmung jener Periode
versinnlichen.

„Ein alter Philosoph stach sich die Augen aus, damit er in seinen Spe-
culationen nicht gestört würde. So wollen idealische Politiker der Menschen
und gemeiner Wesen wahre Gestalt nicht sehen, damit ihre Traume ihnen selbst
nicht unstatthaft erscheinen." — „Ein System der Politik ist ein schönes
Schauspiel. Ab^r ehe man vom Berg herunter unter einen Blick alles ver¬
einigt, muß die Ebene im Detail gesehen werden, sonst verwirren sich die
Objecte, und das Gemälde befriedigt nicht." — „Es muß in keiner Geschichte
erwogen werden, was in allgemeinen Ausdrücken bei uns von der Unterneh¬
mung geurtheilt werde; sondern die Veranlassung nebst dem Ausgang müssen
unser Urtheil bestimmen. Bestes Mittel zur Verbannung aller allgemeinen
Urtheile. Hüte dich besonders vor llniversalbüchern, Universalideen und
Decisionen!" —„Das Präliminarcapitel jeder wahren Politik ist die Be¬
schreibung des Charakters der Nation;'jedes Land trägt eine eigene Gattung
Geschöpfe, und auch Fremde naturalisiren nach demselben, — Ohne die phy¬
sische und moralische Naturgeschichte der Völker wird der Gesetzgeber im Geist
und Detail immer irren," — „In der Moral sollte von Menschenliebe und
andern Tugenden im Allgemeinen keine Rede sein, sondern von dein Detail
der Pflichten jedes Bürgers in seiner besondern Lage. Allgemeine Monum



") I» einer Recension ,773 bittet M. sämmtliche Geschichtschreiber: „Charaktere ihrer
Helden entweder garnicht zu schildern: wir wollen sie lieber aus historischer Erzählung ihrer
Thatsachen herauslesen; oder wenigstens, statt ein langes Verzeichnis, ihrer Tugenden und
Laster aus dem nächsten besten Compendium der Moral zu verfertigen. lieber bcwnlnte Anek¬
doten von ihrem Charakter, welche an andern Stellen ihrer Geschichte leinen Platz finde», mit
Anführung der Quellen in den letzten Paragraphen ihrer Biographie zusammen werfen."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/71>, abgerufen am 21.12.2024.