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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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scharf getadelt und Bürger hatte in der That Grund sich zu beschweren, nickt
über die Ungerechtigkeit, wol aber über die Lieblosigkeit des Kritikers; aber
wenn dieser so scharf den Satz hervorhob, daß aus einem unharmonischen
Leben, aus einem unharmonischen Gefühl nothwendig auch unharmonische
Dichtungen hervorgehn, so meint er ebenso sehr den Dichter des Fiesco als
den Dichter der Lenore. Schon der Kritiker von 17 83 und 17 84 hatte das
stille Gefühl, daß in seinem Innern irgend etwas nicht richtig sei. Er hatte
zugleich, und das unterscheidet ihn von Bürger, das Gefühl seiner Kraft und
keines eisernen Willens, die Verwirrung zu lösen, sobald er sich nur mit seinem
Bewußtsein ins Klare gesetzt.

Man verstehe unter der Verwilderung seiner frühern Jahre nicht etwa
Verstoße gegen das äußere Sittengesetz; an denen hat es Goethe auch nicht
fehlen lassen: es ist vielmehr eine trübe Gährung des Gefühls, in der edle
und unedle Motive durcheinanderwogcn, ein lleberstürzen der Kraft, das
nicht selten in Schwäche übergeht, ein fortwährendes Schwanken zwischen Ex.
treuen, eine Unsicherheit des Gefühls, welche die größten Bedenken für die
Zukunft erregen mußte. Der Dichter des Werther war trotz seiner leidenschaft¬
lichen Regungen eine ebenso harmonische Natur als der Dichter des Tasso.
Ihm gab ein Gott zu sagen, was er litt und sich dadurch zu befreien. Schiller
wußte in seiner frühern Periode in seinen Dichtungen noch nicht bestimmt
auszudrücken, was ihn bewegte, und so wenig Karl Moor. Fiesco oder Don
Carlos sich klar machten, was sie eigentlich wollten, so wenig wußte es ihr
Dichter. Noch 1785, wo er mit dem Gedanken umging, Minister zu werden,
stand er auf einem gefährlichen Abwege, dann freilich folgte die Periode der
Läuterung, er hatte den, Verkehr mit Körner, mit Humboldt, mit Goethe, er
hatte seiner Heirath und seiner Stellung in Jena sehr viel zu danken, das
Meiste freilich seiner eignen Kraft.

Und hier war es die Aufgabe des Biographen, auch in den wüsten Ver-
irrungen der Jahre 1781 bis 1785 die Spuren der geistigen Kraft nachzu¬
weisen, die sich später so herrlich entfaltete. Dazu gehört freilich eine größere
Ruhe und Besonnenheit, als sie der Dichter des Monauls besitzt. Er spricht
in beständigen Superlativen, er ist in einer beständigen Begeisterung. Das
Verhältniß zu Laura, zu Margarethe, zu Lotte Wohlzogen, zu Fr. von Kalb
und die zahlreichen andern Verhältnisse, die man gelinde gesagt als Faseleien
bezeichnen muß, bespricht er in einer Weise, als handele es sich um das tiefste
Gefühl. Wenigstens Hütte er es doch humoristisch erzählen müssen , wie es
z. B. Schwab thut. Was das Verhältniß zu Fr. von Kalb betrifft, so wollen
wir mit dem Biographen darüber nicht rechten, da in solchen Dingen die
Ansichten sehr getheilt sind; obgleich wir nicht verhehlen können, daß a.und
uns das ganze Verhältniß von Anfang bis Ende einen widerwärtigen Ein-


scharf getadelt und Bürger hatte in der That Grund sich zu beschweren, nickt
über die Ungerechtigkeit, wol aber über die Lieblosigkeit des Kritikers; aber
wenn dieser so scharf den Satz hervorhob, daß aus einem unharmonischen
Leben, aus einem unharmonischen Gefühl nothwendig auch unharmonische
Dichtungen hervorgehn, so meint er ebenso sehr den Dichter des Fiesco als
den Dichter der Lenore. Schon der Kritiker von 17 83 und 17 84 hatte das
stille Gefühl, daß in seinem Innern irgend etwas nicht richtig sei. Er hatte
zugleich, und das unterscheidet ihn von Bürger, das Gefühl seiner Kraft und
keines eisernen Willens, die Verwirrung zu lösen, sobald er sich nur mit seinem
Bewußtsein ins Klare gesetzt.

Man verstehe unter der Verwilderung seiner frühern Jahre nicht etwa
Verstoße gegen das äußere Sittengesetz; an denen hat es Goethe auch nicht
fehlen lassen: es ist vielmehr eine trübe Gährung des Gefühls, in der edle
und unedle Motive durcheinanderwogcn, ein lleberstürzen der Kraft, das
nicht selten in Schwäche übergeht, ein fortwährendes Schwanken zwischen Ex.
treuen, eine Unsicherheit des Gefühls, welche die größten Bedenken für die
Zukunft erregen mußte. Der Dichter des Werther war trotz seiner leidenschaft¬
lichen Regungen eine ebenso harmonische Natur als der Dichter des Tasso.
Ihm gab ein Gott zu sagen, was er litt und sich dadurch zu befreien. Schiller
wußte in seiner frühern Periode in seinen Dichtungen noch nicht bestimmt
auszudrücken, was ihn bewegte, und so wenig Karl Moor. Fiesco oder Don
Carlos sich klar machten, was sie eigentlich wollten, so wenig wußte es ihr
Dichter. Noch 1785, wo er mit dem Gedanken umging, Minister zu werden,
stand er auf einem gefährlichen Abwege, dann freilich folgte die Periode der
Läuterung, er hatte den, Verkehr mit Körner, mit Humboldt, mit Goethe, er
hatte seiner Heirath und seiner Stellung in Jena sehr viel zu danken, das
Meiste freilich seiner eignen Kraft.

Und hier war es die Aufgabe des Biographen, auch in den wüsten Ver-
irrungen der Jahre 1781 bis 1785 die Spuren der geistigen Kraft nachzu¬
weisen, die sich später so herrlich entfaltete. Dazu gehört freilich eine größere
Ruhe und Besonnenheit, als sie der Dichter des Monauls besitzt. Er spricht
in beständigen Superlativen, er ist in einer beständigen Begeisterung. Das
Verhältniß zu Laura, zu Margarethe, zu Lotte Wohlzogen, zu Fr. von Kalb
und die zahlreichen andern Verhältnisse, die man gelinde gesagt als Faseleien
bezeichnen muß, bespricht er in einer Weise, als handele es sich um das tiefste
Gefühl. Wenigstens Hütte er es doch humoristisch erzählen müssen , wie es
z. B. Schwab thut. Was das Verhältniß zu Fr. von Kalb betrifft, so wollen
wir mit dem Biographen darüber nicht rechten, da in solchen Dingen die
Ansichten sehr getheilt sind; obgleich wir nicht verhehlen können, daß a.und
uns das ganze Verhältniß von Anfang bis Ende einen widerwärtigen Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/511>, abgerufen am 21.12.2024.