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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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zur englischen und französischen, den Schlüssel zum Verständniß dieses eigen¬
thümlichen Bildungsganges. In der Vorrede verspricht er bei dem folgenden
Dichter nicht so ausführlich zu sein, wie wir hoffen in der stillen Absicht
sein Wort nicht zu halten, denn so viel Vortreffliches bisher über Lessing,
Goethe und Schiller gesagt worden ist, für die Nebenpartien jener Periode
bleibt immer noch sehr viel zu thun.

Daß das Leben Goethes von Schäfer eine zweite Auflage erlebt, trotz
der Concurrenz von Lewes und Viehoff, freut uns sehr; theils wegen der
großen Theilnahme für Goethe, wofür dieser Erfolg ein glänzendes Zeugniß
ablegt, theils weil es wirtlich ein gutes Buch ist. Der Versasser hat dem
neusten Stande der Goethewissenschaft gemäß manches berichtet und er hat
dabei den richtigen Takt gehabt, die Polemik fast ganz zu unterlassen. Nur
einigemal behauptet er Lewes gegenüber die Priorität seiner Entdeckungen,
wozu er auch die vollste Veranlassung hat, da Lewes, wie wir früher bemerkt,
so manche Umstände seiner Forschung zuschreibt, die schon früher durch die
deutschen Kritiker bekannt waren. Was das Urtheil über die einzelnen Werke
betrifft, so möchten wir uns im Ganzen mehr den Ansichten von Lewes zu¬
neigen, obgleich auch Schäfer sich vor jeder Uebertreibung hütet.

Zu den dankbarsten Aufgaben unserer Tage gehört ein Leben Schillers
zu schreiben. Seit Hofmeister ist nichts Bleibendes darin geleistet worden,
denn die Arbeiten von Hinrichs und Schwab können auch die bescheidensten An¬
sprüche nicht befriedigen. Wir möchten bei dieser Gelegenheit an die vortreff¬
liche Parallele erinnern, die Strauß in seinen Charakteristiken zwischen Hin¬
richs und Hofmeister zieht. Seit Hofmeister hat sich aber das Material reißend
vermehrt und wir sind fast, wie bei Goethe, in Stand gesetzt, dem Dichter
aus Schritt und Tritt zu folgen. Da ferner das Interesse für Schiller fort¬
während zunimmt, so ist die Zeit für eine solche Arbeit so günstig wie
möglich.

Wir wünschen dem vorliegenden Versuch, dessen ehrenwerthes Streben und
warme Begeisterung für die Sache wir gern und freudig anerkennen, einen
guten Erfolg, können aber die Bedenken nicht verschweigen. die uns schon in
diesem ersten Band Form und Inhalt einflößen. Der Verfasser sagt in der
Vorrede, die Kritiker hätten gegen Schiller viel Einwendungen gemacht; "aber
wer viel unter Menschen kommt, kann sich überzeugen, sie drangen nicht ins Volk.
Wie durch eine stille Uebereinkunft hat sich das Publicum verschworen, weder
auf die strenge Meisterin Kritik, noch auf den Vorwurf des Heidenthums, noch
auf das Gerede, er sei kein Dichter, zu achten . . . einer solchen Stimmung
gegenüber hat jeder Biograph eine herrliche, eine verzweifelte Aufgabe, wenn er nicht
gewiß ist. daß alle Schatten in seinem Bilde nur dazu dienen das Licht zu erhöhen,
so werfe er den Pinsel weg" u. s. w. Zunächst ist das wol eine wunderliche


zur englischen und französischen, den Schlüssel zum Verständniß dieses eigen¬
thümlichen Bildungsganges. In der Vorrede verspricht er bei dem folgenden
Dichter nicht so ausführlich zu sein, wie wir hoffen in der stillen Absicht
sein Wort nicht zu halten, denn so viel Vortreffliches bisher über Lessing,
Goethe und Schiller gesagt worden ist, für die Nebenpartien jener Periode
bleibt immer noch sehr viel zu thun.

Daß das Leben Goethes von Schäfer eine zweite Auflage erlebt, trotz
der Concurrenz von Lewes und Viehoff, freut uns sehr; theils wegen der
großen Theilnahme für Goethe, wofür dieser Erfolg ein glänzendes Zeugniß
ablegt, theils weil es wirtlich ein gutes Buch ist. Der Versasser hat dem
neusten Stande der Goethewissenschaft gemäß manches berichtet und er hat
dabei den richtigen Takt gehabt, die Polemik fast ganz zu unterlassen. Nur
einigemal behauptet er Lewes gegenüber die Priorität seiner Entdeckungen,
wozu er auch die vollste Veranlassung hat, da Lewes, wie wir früher bemerkt,
so manche Umstände seiner Forschung zuschreibt, die schon früher durch die
deutschen Kritiker bekannt waren. Was das Urtheil über die einzelnen Werke
betrifft, so möchten wir uns im Ganzen mehr den Ansichten von Lewes zu¬
neigen, obgleich auch Schäfer sich vor jeder Uebertreibung hütet.

Zu den dankbarsten Aufgaben unserer Tage gehört ein Leben Schillers
zu schreiben. Seit Hofmeister ist nichts Bleibendes darin geleistet worden,
denn die Arbeiten von Hinrichs und Schwab können auch die bescheidensten An¬
sprüche nicht befriedigen. Wir möchten bei dieser Gelegenheit an die vortreff¬
liche Parallele erinnern, die Strauß in seinen Charakteristiken zwischen Hin¬
richs und Hofmeister zieht. Seit Hofmeister hat sich aber das Material reißend
vermehrt und wir sind fast, wie bei Goethe, in Stand gesetzt, dem Dichter
aus Schritt und Tritt zu folgen. Da ferner das Interesse für Schiller fort¬
während zunimmt, so ist die Zeit für eine solche Arbeit so günstig wie
möglich.

Wir wünschen dem vorliegenden Versuch, dessen ehrenwerthes Streben und
warme Begeisterung für die Sache wir gern und freudig anerkennen, einen
guten Erfolg, können aber die Bedenken nicht verschweigen. die uns schon in
diesem ersten Band Form und Inhalt einflößen. Der Verfasser sagt in der
Vorrede, die Kritiker hätten gegen Schiller viel Einwendungen gemacht; „aber
wer viel unter Menschen kommt, kann sich überzeugen, sie drangen nicht ins Volk.
Wie durch eine stille Uebereinkunft hat sich das Publicum verschworen, weder
auf die strenge Meisterin Kritik, noch auf den Vorwurf des Heidenthums, noch
auf das Gerede, er sei kein Dichter, zu achten . . . einer solchen Stimmung
gegenüber hat jeder Biograph eine herrliche, eine verzweifelte Aufgabe, wenn er nicht
gewiß ist. daß alle Schatten in seinem Bilde nur dazu dienen das Licht zu erhöhen,
so werfe er den Pinsel weg" u. s. w. Zunächst ist das wol eine wunderliche


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[0509] zur englischen und französischen, den Schlüssel zum Verständniß dieses eigen¬ thümlichen Bildungsganges. In der Vorrede verspricht er bei dem folgenden Dichter nicht so ausführlich zu sein, wie wir hoffen in der stillen Absicht sein Wort nicht zu halten, denn so viel Vortreffliches bisher über Lessing, Goethe und Schiller gesagt worden ist, für die Nebenpartien jener Periode bleibt immer noch sehr viel zu thun. Daß das Leben Goethes von Schäfer eine zweite Auflage erlebt, trotz der Concurrenz von Lewes und Viehoff, freut uns sehr; theils wegen der großen Theilnahme für Goethe, wofür dieser Erfolg ein glänzendes Zeugniß ablegt, theils weil es wirtlich ein gutes Buch ist. Der Versasser hat dem neusten Stande der Goethewissenschaft gemäß manches berichtet und er hat dabei den richtigen Takt gehabt, die Polemik fast ganz zu unterlassen. Nur einigemal behauptet er Lewes gegenüber die Priorität seiner Entdeckungen, wozu er auch die vollste Veranlassung hat, da Lewes, wie wir früher bemerkt, so manche Umstände seiner Forschung zuschreibt, die schon früher durch die deutschen Kritiker bekannt waren. Was das Urtheil über die einzelnen Werke betrifft, so möchten wir uns im Ganzen mehr den Ansichten von Lewes zu¬ neigen, obgleich auch Schäfer sich vor jeder Uebertreibung hütet. Zu den dankbarsten Aufgaben unserer Tage gehört ein Leben Schillers zu schreiben. Seit Hofmeister ist nichts Bleibendes darin geleistet worden, denn die Arbeiten von Hinrichs und Schwab können auch die bescheidensten An¬ sprüche nicht befriedigen. Wir möchten bei dieser Gelegenheit an die vortreff¬ liche Parallele erinnern, die Strauß in seinen Charakteristiken zwischen Hin¬ richs und Hofmeister zieht. Seit Hofmeister hat sich aber das Material reißend vermehrt und wir sind fast, wie bei Goethe, in Stand gesetzt, dem Dichter aus Schritt und Tritt zu folgen. Da ferner das Interesse für Schiller fort¬ während zunimmt, so ist die Zeit für eine solche Arbeit so günstig wie möglich. Wir wünschen dem vorliegenden Versuch, dessen ehrenwerthes Streben und warme Begeisterung für die Sache wir gern und freudig anerkennen, einen guten Erfolg, können aber die Bedenken nicht verschweigen. die uns schon in diesem ersten Band Form und Inhalt einflößen. Der Verfasser sagt in der Vorrede, die Kritiker hätten gegen Schiller viel Einwendungen gemacht; „aber wer viel unter Menschen kommt, kann sich überzeugen, sie drangen nicht ins Volk. Wie durch eine stille Uebereinkunft hat sich das Publicum verschworen, weder auf die strenge Meisterin Kritik, noch auf den Vorwurf des Heidenthums, noch auf das Gerede, er sei kein Dichter, zu achten . . . einer solchen Stimmung gegenüber hat jeder Biograph eine herrliche, eine verzweifelte Aufgabe, wenn er nicht gewiß ist. daß alle Schatten in seinem Bilde nur dazu dienen das Licht zu erhöhen, so werfe er den Pinsel weg" u. s. w. Zunächst ist das wol eine wunderliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/509>, abgerufen am 21.12.2024.