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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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den kurtrierschen Hof gibN nur die vornehmsten Herrn besaßen eine silberne
Taschenuhr, seidne Regenschirme waren eine Seltenheit, der Adel speiste von
Zinn. Als Gegenstück dazu schildert Lady Montague das Leben der vornehmen
Kreise in Wien schon 171" als Kochst luxuriös, wie denn die Kaiserstadt sich
schon such durch sinnliches Wohlleben auszeichnete, Berlin dagegen einen
nüchtern bürgerlichen Eindruck machte.

Der erwähnten großen Ungleichheit der Stände lag zum großen Theil
die Unsicherheit ihres Erwerbes zu Grunde. Die häufigen Kriege, die oft den
Einwohnern ganz unvermuthet kamen, zerstörten wohlberechnete Plane, die
Sterblichkeit war größer, der Mißwachs häusiger, die Vorkehrungen gegen
Feuersgefahr waren mangelhaft und erst gegen Ende des Jahrhunderts faßten
die Versicherungsgesellschaften allmälig Fuß. Viele Tausende hingen allein
von den Höfen ab, wo ein Regierungswechsel, ja selbst eine Laune der Fürsten
alles änderte, die Aufhebung eines Monopols, die Sperrung einer der zahl¬
losen Grenzen war oft für viele eine wirtschaftliche Vernichtung. Am härtesten
lastete diese Unsicherheit auf den arbeitenden Classen, die kein Capital besaßen,
um eine günstigere Gestaltung der Verhältnisse nbznwarten oder sich anderswo
hin um Beschäftigung zu wenden. Die ländlichen Arbeiter standen in dieser
Hinsicht besser, dn ihre Abhängigkeit dem Herrn andrerseits die Verpflichtung
der Erhaltung auferlegte, indeß war diese immer nur nothdürftig und ließ
niemals zu einer etwas selbstständigem Existenz kommen. Die städtischen Ar¬
beiter unterschieden sich dadurch von denen der Jetztzeit, daß man eine an
einzelnen Punkten zusammengedrängte Fabrikvcvölkerung noch wenig kannte,
die Maschinen haben in dieser Beziehung alles geändert. Doch sind die Löhne
jetzt im Verhältniß ungleich besser; 1763 kostete eine Klafter Holz zu spalten
8 Gr., jetzt i Thlr., der Lohn eines Gesellen war durchschnittlich 7--8 Groschen,
jetzt 18--19 Groschen, für 10 Thlr. jährlich war ein Diener zu haben. Die
Angaben sind übrigens über diese Verhältnisse sehr dürftig, man bekümmerte
sich nicht um diese Thatsachen, welche jetzt die Statistik eifrig zu erforschen
sucht. "Die Humanitätsbestrebnngen jener Zeit," sagt Biedermann, "wie lebhaft
und ausgebreitet auch immer sie sein "kochten, waren noch nicht bis zu jener
Sphäre hinabgedrungen, in welcher sie heute ihre regste und ausgedehnteste
Wirksamkeit entfalten. Man hatte noch zu viel mit der Lockerung der Fesseln
des Bürger- und Bauernstandes zu thun, um an die Emancipation der untern
Classen zu denken. Die politische, gesellschaftliche und ökonomische Ungleichheit,
der Druck von oben, überhaupt die Mißstände aller Art waren zu allgemein,
als daß man hätte versucht sein können, einen einzelnen Stand als deren
ausschließlichen oder vornehmsten Träger und Märtyrer zum Gegenstand be¬
sondrer Aufmerksamkeit, Bemitleidung und Unterstützung z" machen." --

Wir sind weit entfernt die großen Uebelstände zu unterschützen, welche das


Ärenzboten II. 1LSL. V3

den kurtrierschen Hof gibN nur die vornehmsten Herrn besaßen eine silberne
Taschenuhr, seidne Regenschirme waren eine Seltenheit, der Adel speiste von
Zinn. Als Gegenstück dazu schildert Lady Montague das Leben der vornehmen
Kreise in Wien schon 171» als Kochst luxuriös, wie denn die Kaiserstadt sich
schon such durch sinnliches Wohlleben auszeichnete, Berlin dagegen einen
nüchtern bürgerlichen Eindruck machte.

Der erwähnten großen Ungleichheit der Stände lag zum großen Theil
die Unsicherheit ihres Erwerbes zu Grunde. Die häufigen Kriege, die oft den
Einwohnern ganz unvermuthet kamen, zerstörten wohlberechnete Plane, die
Sterblichkeit war größer, der Mißwachs häusiger, die Vorkehrungen gegen
Feuersgefahr waren mangelhaft und erst gegen Ende des Jahrhunderts faßten
die Versicherungsgesellschaften allmälig Fuß. Viele Tausende hingen allein
von den Höfen ab, wo ein Regierungswechsel, ja selbst eine Laune der Fürsten
alles änderte, die Aufhebung eines Monopols, die Sperrung einer der zahl¬
losen Grenzen war oft für viele eine wirtschaftliche Vernichtung. Am härtesten
lastete diese Unsicherheit auf den arbeitenden Classen, die kein Capital besaßen,
um eine günstigere Gestaltung der Verhältnisse nbznwarten oder sich anderswo
hin um Beschäftigung zu wenden. Die ländlichen Arbeiter standen in dieser
Hinsicht besser, dn ihre Abhängigkeit dem Herrn andrerseits die Verpflichtung
der Erhaltung auferlegte, indeß war diese immer nur nothdürftig und ließ
niemals zu einer etwas selbstständigem Existenz kommen. Die städtischen Ar¬
beiter unterschieden sich dadurch von denen der Jetztzeit, daß man eine an
einzelnen Punkten zusammengedrängte Fabrikvcvölkerung noch wenig kannte,
die Maschinen haben in dieser Beziehung alles geändert. Doch sind die Löhne
jetzt im Verhältniß ungleich besser; 1763 kostete eine Klafter Holz zu spalten
8 Gr., jetzt i Thlr., der Lohn eines Gesellen war durchschnittlich 7—8 Groschen,
jetzt 18—19 Groschen, für 10 Thlr. jährlich war ein Diener zu haben. Die
Angaben sind übrigens über diese Verhältnisse sehr dürftig, man bekümmerte
sich nicht um diese Thatsachen, welche jetzt die Statistik eifrig zu erforschen
sucht. „Die Humanitätsbestrebnngen jener Zeit," sagt Biedermann, „wie lebhaft
und ausgebreitet auch immer sie sein »kochten, waren noch nicht bis zu jener
Sphäre hinabgedrungen, in welcher sie heute ihre regste und ausgedehnteste
Wirksamkeit entfalten. Man hatte noch zu viel mit der Lockerung der Fesseln
des Bürger- und Bauernstandes zu thun, um an die Emancipation der untern
Classen zu denken. Die politische, gesellschaftliche und ökonomische Ungleichheit,
der Druck von oben, überhaupt die Mißstände aller Art waren zu allgemein,
als daß man hätte versucht sein können, einen einzelnen Stand als deren
ausschließlichen oder vornehmsten Träger und Märtyrer zum Gegenstand be¬
sondrer Aufmerksamkeit, Bemitleidung und Unterstützung z" machen." —

Wir sind weit entfernt die großen Uebelstände zu unterschützen, welche das


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[0505] den kurtrierschen Hof gibN nur die vornehmsten Herrn besaßen eine silberne Taschenuhr, seidne Regenschirme waren eine Seltenheit, der Adel speiste von Zinn. Als Gegenstück dazu schildert Lady Montague das Leben der vornehmen Kreise in Wien schon 171» als Kochst luxuriös, wie denn die Kaiserstadt sich schon such durch sinnliches Wohlleben auszeichnete, Berlin dagegen einen nüchtern bürgerlichen Eindruck machte. Der erwähnten großen Ungleichheit der Stände lag zum großen Theil die Unsicherheit ihres Erwerbes zu Grunde. Die häufigen Kriege, die oft den Einwohnern ganz unvermuthet kamen, zerstörten wohlberechnete Plane, die Sterblichkeit war größer, der Mißwachs häusiger, die Vorkehrungen gegen Feuersgefahr waren mangelhaft und erst gegen Ende des Jahrhunderts faßten die Versicherungsgesellschaften allmälig Fuß. Viele Tausende hingen allein von den Höfen ab, wo ein Regierungswechsel, ja selbst eine Laune der Fürsten alles änderte, die Aufhebung eines Monopols, die Sperrung einer der zahl¬ losen Grenzen war oft für viele eine wirtschaftliche Vernichtung. Am härtesten lastete diese Unsicherheit auf den arbeitenden Classen, die kein Capital besaßen, um eine günstigere Gestaltung der Verhältnisse nbznwarten oder sich anderswo hin um Beschäftigung zu wenden. Die ländlichen Arbeiter standen in dieser Hinsicht besser, dn ihre Abhängigkeit dem Herrn andrerseits die Verpflichtung der Erhaltung auferlegte, indeß war diese immer nur nothdürftig und ließ niemals zu einer etwas selbstständigem Existenz kommen. Die städtischen Ar¬ beiter unterschieden sich dadurch von denen der Jetztzeit, daß man eine an einzelnen Punkten zusammengedrängte Fabrikvcvölkerung noch wenig kannte, die Maschinen haben in dieser Beziehung alles geändert. Doch sind die Löhne jetzt im Verhältniß ungleich besser; 1763 kostete eine Klafter Holz zu spalten 8 Gr., jetzt i Thlr., der Lohn eines Gesellen war durchschnittlich 7—8 Groschen, jetzt 18—19 Groschen, für 10 Thlr. jährlich war ein Diener zu haben. Die Angaben sind übrigens über diese Verhältnisse sehr dürftig, man bekümmerte sich nicht um diese Thatsachen, welche jetzt die Statistik eifrig zu erforschen sucht. „Die Humanitätsbestrebnngen jener Zeit," sagt Biedermann, „wie lebhaft und ausgebreitet auch immer sie sein »kochten, waren noch nicht bis zu jener Sphäre hinabgedrungen, in welcher sie heute ihre regste und ausgedehnteste Wirksamkeit entfalten. Man hatte noch zu viel mit der Lockerung der Fesseln des Bürger- und Bauernstandes zu thun, um an die Emancipation der untern Classen zu denken. Die politische, gesellschaftliche und ökonomische Ungleichheit, der Druck von oben, überhaupt die Mißstände aller Art waren zu allgemein, als daß man hätte versucht sein können, einen einzelnen Stand als deren ausschließlichen oder vornehmsten Träger und Märtyrer zum Gegenstand be¬ sondrer Aufmerksamkeit, Bemitleidung und Unterstützung z" machen." — Wir sind weit entfernt die großen Uebelstände zu unterschützen, welche das Ärenzboten II. 1LSL. V3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/505>, abgerufen am 21.12.2024.