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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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der ärgsten Verwilderung ist der Ausgnng fast immer tragisch und die deut¬
schen Dichter, die meistens dem Bürgerstand angehörten und denen es doch
bedenklich vorkommen mußte, dem reichen liederlichen Adel das Heiligthum
ihrer Familie gar zu unbedingt Preis zu geben, dachten in diesem Punkte sehr
streng. Wenn der Junker von Falkenstein der Pfarrerstochter von Tauben¬
hain zurief: "Lieb Närrchen, so wars nicht gemeint, wenn dir mein schmucker
Jäger gefällt, so las; ichs nur kosten ein gutes Stück Geld, dann tonnen wirs
weiter so treiben!" wenn der Junker sich so ausdrückte, so war der Dichter
keineswegs damit einverstanden, er verfehlte niemals seine sittliche Entrüstung
so laut als möglich an den Tag zu legen.

Jetzt hat sich die Stimmung geändert, man findet, daß gegen den Jun¬
ker von Falkenstein nichts einzuwenden sei, und das Röschen muß sich damit
zufrieden geben, die Umarmungen eines Halbgotts genossen zu haben. Der
neue Roman Alfred Meißnerö. der uns vorliegt, die Sansara (4 Bde.
Leipzig, Herbig) beginnt mit einer Geschichte, die sehr lebhaft an die Ballade
von Taubenhain erinnert. Ein Don Juan von echtem Wasser, schön, muthig,
entschlossen, reich, Besitzer von so und so viel Schlössern in Böhmen, entführt
unter erschwerenden Umständen ein steierschcs Fischcrnmdchen, indem er bei
der Gelegenheit noch einigen adeligen Fräulein das Herz bricht: nämlich
gleichzeitig drückt er verschiedenen Damen seine glühende Liebe aus und
bringt sie dadurch aus ihrer sittlichen Ordnung. Nachdem er nnn das Fischer¬
mädchen einige Monate lang einsam auf seinem Schlosse gehalten, erklärt er
ihr eines Morgens, sie langweile ihn, sie könne gehn; er wolle sie übrigens
nicht im Stich lassen: "wenn dir mein schmucker Jäger gefällt, so laß ichs
mir kosten ein gutes Stück Geld u. f. w." Dies Factum veranlaßt Alfred
Meißner zu folgenden Bemerkungen. "Sollte man glauben, daß eine Leiden¬
schaft, welche in so hohen Wellen brauste, wie die Hostiwins, welche auf
der Höhe ihrer Empfindung es wahr und ehrlich meinte, welche alles vergas;,
alles aufs Spiel setzte, um ihr Ziel zu erreichen, so bald in Sättigung über¬
gehn, so bald in jenen Ueberdruß versinken könne, in welchen wir Hostiwin
zu Anfang dieser Erzählung finden? Doch ist es so. Für diesen Menschen ist
das Ziel nichts mehr, wenn er es erreicht hat. Jede Liebe scheint ihm die
letzte, die tiefste und glühendste seines Lebens, die, die sein Wesen ausfüllen
soll; jede labt ihn nur kurz und läßt ihn nnr wieder durstiger fahre". Tau¬
send Ströme fallen ins Meer und füllen es nicht . . Hostiwins Liebe ist eine
unermeßliche Sehnsucht und diese Sehnsucht stirbt, wenn sie ihr Ziel erreicht
hat, stirbt, um wieder neu zu erstehen. Wol ist er, wie er es vorhergesagt
hat. eines Tages müde und wie verwandelt aufgestanden, aber nicht um sich
fester mit Cilly zu verbinden, nein, um sie zurückzustoße". Diese fast ideale
Schönheit reizt ihn nicht mehr, sie ist ihm ein Bleigewicht an den Schwinge",


der ärgsten Verwilderung ist der Ausgnng fast immer tragisch und die deut¬
schen Dichter, die meistens dem Bürgerstand angehörten und denen es doch
bedenklich vorkommen mußte, dem reichen liederlichen Adel das Heiligthum
ihrer Familie gar zu unbedingt Preis zu geben, dachten in diesem Punkte sehr
streng. Wenn der Junker von Falkenstein der Pfarrerstochter von Tauben¬
hain zurief: „Lieb Närrchen, so wars nicht gemeint, wenn dir mein schmucker
Jäger gefällt, so las; ichs nur kosten ein gutes Stück Geld, dann tonnen wirs
weiter so treiben!" wenn der Junker sich so ausdrückte, so war der Dichter
keineswegs damit einverstanden, er verfehlte niemals seine sittliche Entrüstung
so laut als möglich an den Tag zu legen.

Jetzt hat sich die Stimmung geändert, man findet, daß gegen den Jun¬
ker von Falkenstein nichts einzuwenden sei, und das Röschen muß sich damit
zufrieden geben, die Umarmungen eines Halbgotts genossen zu haben. Der
neue Roman Alfred Meißnerö. der uns vorliegt, die Sansara (4 Bde.
Leipzig, Herbig) beginnt mit einer Geschichte, die sehr lebhaft an die Ballade
von Taubenhain erinnert. Ein Don Juan von echtem Wasser, schön, muthig,
entschlossen, reich, Besitzer von so und so viel Schlössern in Böhmen, entführt
unter erschwerenden Umständen ein steierschcs Fischcrnmdchen, indem er bei
der Gelegenheit noch einigen adeligen Fräulein das Herz bricht: nämlich
gleichzeitig drückt er verschiedenen Damen seine glühende Liebe aus und
bringt sie dadurch aus ihrer sittlichen Ordnung. Nachdem er nnn das Fischer¬
mädchen einige Monate lang einsam auf seinem Schlosse gehalten, erklärt er
ihr eines Morgens, sie langweile ihn, sie könne gehn; er wolle sie übrigens
nicht im Stich lassen: „wenn dir mein schmucker Jäger gefällt, so laß ichs
mir kosten ein gutes Stück Geld u. f. w." Dies Factum veranlaßt Alfred
Meißner zu folgenden Bemerkungen. „Sollte man glauben, daß eine Leiden¬
schaft, welche in so hohen Wellen brauste, wie die Hostiwins, welche auf
der Höhe ihrer Empfindung es wahr und ehrlich meinte, welche alles vergas;,
alles aufs Spiel setzte, um ihr Ziel zu erreichen, so bald in Sättigung über¬
gehn, so bald in jenen Ueberdruß versinken könne, in welchen wir Hostiwin
zu Anfang dieser Erzählung finden? Doch ist es so. Für diesen Menschen ist
das Ziel nichts mehr, wenn er es erreicht hat. Jede Liebe scheint ihm die
letzte, die tiefste und glühendste seines Lebens, die, die sein Wesen ausfüllen
soll; jede labt ihn nur kurz und läßt ihn nnr wieder durstiger fahre». Tau¬
send Ströme fallen ins Meer und füllen es nicht . . Hostiwins Liebe ist eine
unermeßliche Sehnsucht und diese Sehnsucht stirbt, wenn sie ihr Ziel erreicht
hat, stirbt, um wieder neu zu erstehen. Wol ist er, wie er es vorhergesagt
hat. eines Tages müde und wie verwandelt aufgestanden, aber nicht um sich
fester mit Cilly zu verbinden, nein, um sie zurückzustoße». Diese fast ideale
Schönheit reizt ihn nicht mehr, sie ist ihm ein Bleigewicht an den Schwinge»,


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[0495] der ärgsten Verwilderung ist der Ausgnng fast immer tragisch und die deut¬ schen Dichter, die meistens dem Bürgerstand angehörten und denen es doch bedenklich vorkommen mußte, dem reichen liederlichen Adel das Heiligthum ihrer Familie gar zu unbedingt Preis zu geben, dachten in diesem Punkte sehr streng. Wenn der Junker von Falkenstein der Pfarrerstochter von Tauben¬ hain zurief: „Lieb Närrchen, so wars nicht gemeint, wenn dir mein schmucker Jäger gefällt, so las; ichs nur kosten ein gutes Stück Geld, dann tonnen wirs weiter so treiben!" wenn der Junker sich so ausdrückte, so war der Dichter keineswegs damit einverstanden, er verfehlte niemals seine sittliche Entrüstung so laut als möglich an den Tag zu legen. Jetzt hat sich die Stimmung geändert, man findet, daß gegen den Jun¬ ker von Falkenstein nichts einzuwenden sei, und das Röschen muß sich damit zufrieden geben, die Umarmungen eines Halbgotts genossen zu haben. Der neue Roman Alfred Meißnerö. der uns vorliegt, die Sansara (4 Bde. Leipzig, Herbig) beginnt mit einer Geschichte, die sehr lebhaft an die Ballade von Taubenhain erinnert. Ein Don Juan von echtem Wasser, schön, muthig, entschlossen, reich, Besitzer von so und so viel Schlössern in Böhmen, entführt unter erschwerenden Umständen ein steierschcs Fischcrnmdchen, indem er bei der Gelegenheit noch einigen adeligen Fräulein das Herz bricht: nämlich gleichzeitig drückt er verschiedenen Damen seine glühende Liebe aus und bringt sie dadurch aus ihrer sittlichen Ordnung. Nachdem er nnn das Fischer¬ mädchen einige Monate lang einsam auf seinem Schlosse gehalten, erklärt er ihr eines Morgens, sie langweile ihn, sie könne gehn; er wolle sie übrigens nicht im Stich lassen: „wenn dir mein schmucker Jäger gefällt, so laß ichs mir kosten ein gutes Stück Geld u. f. w." Dies Factum veranlaßt Alfred Meißner zu folgenden Bemerkungen. „Sollte man glauben, daß eine Leiden¬ schaft, welche in so hohen Wellen brauste, wie die Hostiwins, welche auf der Höhe ihrer Empfindung es wahr und ehrlich meinte, welche alles vergas;, alles aufs Spiel setzte, um ihr Ziel zu erreichen, so bald in Sättigung über¬ gehn, so bald in jenen Ueberdruß versinken könne, in welchen wir Hostiwin zu Anfang dieser Erzählung finden? Doch ist es so. Für diesen Menschen ist das Ziel nichts mehr, wenn er es erreicht hat. Jede Liebe scheint ihm die letzte, die tiefste und glühendste seines Lebens, die, die sein Wesen ausfüllen soll; jede labt ihn nur kurz und läßt ihn nnr wieder durstiger fahre». Tau¬ send Ströme fallen ins Meer und füllen es nicht . . Hostiwins Liebe ist eine unermeßliche Sehnsucht und diese Sehnsucht stirbt, wenn sie ihr Ziel erreicht hat, stirbt, um wieder neu zu erstehen. Wol ist er, wie er es vorhergesagt hat. eines Tages müde und wie verwandelt aufgestanden, aber nicht um sich fester mit Cilly zu verbinden, nein, um sie zurückzustoße». Diese fast ideale Schönheit reizt ihn nicht mehr, sie ist ihm ein Bleigewicht an den Schwinge»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/495>, abgerufen am 22.12.2024.