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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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wendige Erfordernisse des katholischen Porkämpfers. In Luthers Sprache und
Methode lernt er predigen und seine Streitschriften verfassen, selbst die schel¬
tenden Kraftausdrucke des großen Ketzers eignet er sich an. und sucht die volks-
thümliche Laune, welcher Luther nicht den kleinsten Theil seiner Erfolge ver¬
dankt, mit Glück nachzuahmen. Die Texte evangelischer Lieder. Titel und
Inhalt lutherischer Werke werden immer wieder parodirt. Vielleicht ist die
innere Achnlichkeit nirgend auffallender, als bei den kleinen Talenten der in-
golstadtcr Hochschule. Die Andrä, Scherer und ihre Freunde könnten, wenn
die Verschiedenheit in den Dogmen und vor allem der persönliche Haß nicht
wäre, ebenso gut Lutheraner als Katholiken sein. So ging mit vielem Andern
auch Luthers Teufels- und Hexenglaube auf das katholische Deutschland über.
Zwischen den Geistlichen beider Konfessionen entstand ein zuweilen lächerlicher,
oft widerlicher Wetteifer, den Teufel aus Besessenen auszutreiben und die Ab¬
gefallenen, welche ein Bündniß mit dem Teufel geschlossen hatten, zu bestrafen.
Wenn da, wo beide Kirchen zusammenstießen, ein Besessener auftrat, suchte
jede Confession die Macht ihres Glaubens dadurch zu beweisen,- daß sie sich
des Patienten bemächtigte und ihn heilte, -- die Evangelischen durch das
Gebet der Geistlichen und der Gemeinde, die Katholiken durch Exorcismus.
Die gerettete Seele gereichte dann der glücklichen Kirche zum Ruhm. Unter den
zahlreichen Berichten, welche über dergleichen Beschwörungen erschienen sind,
zeichnet sich der folgende, der aus dein katholischen Lager in der Nähe von
Ingolstadt stammt, durch seine Ausführlichkeit und durch einige psychologisch
interessante Züge aus. Er wird deshalb -- nach dem Brauch dieser Mitthei¬
lungen, -- mit einigen Auslassungen getreu in unsere Sprache übertragen
mitgetheilt. Er erschien fünf Jahre nach dem Ereigniß in einer Flugschrift
unter dem Titel: "Erschröcklich e. gantz wahrhafftige Geschieht, welche
sich mit Apolonin, Hannsen Geißlbrechts Bürgers zu Spalt inn dem Ey-
stättcr Bistumb, Haußfrawen verkauffen hat. Durch M. Sixtum Agricolam
ze. Ingolstadt 1587." Die Erzählung beainnt folgendermaßen:

Hans Gcißlbrecht, Bürger zu Spalt, hat sich nach Absterben seiner ersten
Hausfrau wiederum mit Apollonia, der Witwe von weiland Hans Francke,
aus Lautershausen im Markgrafenthum Brandenburg, verheirathet. allhier
seine Hochzeit gehalten und länger als ein Jahr mit ihr gehauset. Doch zu¬
letzt hat es der leidige Ehcteusel dahin gebracht, daß zwischen ihnen beiden
nichts Anderes als Tag und Nacht viel Zanken, Hadern. Grollen, Greiner,
Keifen und Nagen gewesen, daneben ij>, was am allerschrccklichsten war. großes
Gotteslästern und übles Schwören mit untergelaufen. Nun kam gedachter
Gcißlbrecht an einem Freitag, den 1". Oct. des vergangenen 82. Jahres,
wohl bezecht heim, fing seinem alten Gebrauch nach mit seiner Hausfrau zu
zanken und zu schwören an, und sie trieben solches, wie ihre meisten Nach-


wendige Erfordernisse des katholischen Porkämpfers. In Luthers Sprache und
Methode lernt er predigen und seine Streitschriften verfassen, selbst die schel¬
tenden Kraftausdrucke des großen Ketzers eignet er sich an. und sucht die volks-
thümliche Laune, welcher Luther nicht den kleinsten Theil seiner Erfolge ver¬
dankt, mit Glück nachzuahmen. Die Texte evangelischer Lieder. Titel und
Inhalt lutherischer Werke werden immer wieder parodirt. Vielleicht ist die
innere Achnlichkeit nirgend auffallender, als bei den kleinen Talenten der in-
golstadtcr Hochschule. Die Andrä, Scherer und ihre Freunde könnten, wenn
die Verschiedenheit in den Dogmen und vor allem der persönliche Haß nicht
wäre, ebenso gut Lutheraner als Katholiken sein. So ging mit vielem Andern
auch Luthers Teufels- und Hexenglaube auf das katholische Deutschland über.
Zwischen den Geistlichen beider Konfessionen entstand ein zuweilen lächerlicher,
oft widerlicher Wetteifer, den Teufel aus Besessenen auszutreiben und die Ab¬
gefallenen, welche ein Bündniß mit dem Teufel geschlossen hatten, zu bestrafen.
Wenn da, wo beide Kirchen zusammenstießen, ein Besessener auftrat, suchte
jede Confession die Macht ihres Glaubens dadurch zu beweisen,- daß sie sich
des Patienten bemächtigte und ihn heilte, — die Evangelischen durch das
Gebet der Geistlichen und der Gemeinde, die Katholiken durch Exorcismus.
Die gerettete Seele gereichte dann der glücklichen Kirche zum Ruhm. Unter den
zahlreichen Berichten, welche über dergleichen Beschwörungen erschienen sind,
zeichnet sich der folgende, der aus dein katholischen Lager in der Nähe von
Ingolstadt stammt, durch seine Ausführlichkeit und durch einige psychologisch
interessante Züge aus. Er wird deshalb — nach dem Brauch dieser Mitthei¬
lungen, — mit einigen Auslassungen getreu in unsere Sprache übertragen
mitgetheilt. Er erschien fünf Jahre nach dem Ereigniß in einer Flugschrift
unter dem Titel: „Erschröcklich e. gantz wahrhafftige Geschieht, welche
sich mit Apolonin, Hannsen Geißlbrechts Bürgers zu Spalt inn dem Ey-
stättcr Bistumb, Haußfrawen verkauffen hat. Durch M. Sixtum Agricolam
ze. Ingolstadt 1587." Die Erzählung beainnt folgendermaßen:

Hans Gcißlbrecht, Bürger zu Spalt, hat sich nach Absterben seiner ersten
Hausfrau wiederum mit Apollonia, der Witwe von weiland Hans Francke,
aus Lautershausen im Markgrafenthum Brandenburg, verheirathet. allhier
seine Hochzeit gehalten und länger als ein Jahr mit ihr gehauset. Doch zu¬
letzt hat es der leidige Ehcteusel dahin gebracht, daß zwischen ihnen beiden
nichts Anderes als Tag und Nacht viel Zanken, Hadern. Grollen, Greiner,
Keifen und Nagen gewesen, daneben ij>, was am allerschrccklichsten war. großes
Gotteslästern und übles Schwören mit untergelaufen. Nun kam gedachter
Gcißlbrecht an einem Freitag, den 1». Oct. des vergangenen 82. Jahres,
wohl bezecht heim, fing seinem alten Gebrauch nach mit seiner Hausfrau zu
zanken und zu schwören an, und sie trieben solches, wie ihre meisten Nach-


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[0380] wendige Erfordernisse des katholischen Porkämpfers. In Luthers Sprache und Methode lernt er predigen und seine Streitschriften verfassen, selbst die schel¬ tenden Kraftausdrucke des großen Ketzers eignet er sich an. und sucht die volks- thümliche Laune, welcher Luther nicht den kleinsten Theil seiner Erfolge ver¬ dankt, mit Glück nachzuahmen. Die Texte evangelischer Lieder. Titel und Inhalt lutherischer Werke werden immer wieder parodirt. Vielleicht ist die innere Achnlichkeit nirgend auffallender, als bei den kleinen Talenten der in- golstadtcr Hochschule. Die Andrä, Scherer und ihre Freunde könnten, wenn die Verschiedenheit in den Dogmen und vor allem der persönliche Haß nicht wäre, ebenso gut Lutheraner als Katholiken sein. So ging mit vielem Andern auch Luthers Teufels- und Hexenglaube auf das katholische Deutschland über. Zwischen den Geistlichen beider Konfessionen entstand ein zuweilen lächerlicher, oft widerlicher Wetteifer, den Teufel aus Besessenen auszutreiben und die Ab¬ gefallenen, welche ein Bündniß mit dem Teufel geschlossen hatten, zu bestrafen. Wenn da, wo beide Kirchen zusammenstießen, ein Besessener auftrat, suchte jede Confession die Macht ihres Glaubens dadurch zu beweisen,- daß sie sich des Patienten bemächtigte und ihn heilte, — die Evangelischen durch das Gebet der Geistlichen und der Gemeinde, die Katholiken durch Exorcismus. Die gerettete Seele gereichte dann der glücklichen Kirche zum Ruhm. Unter den zahlreichen Berichten, welche über dergleichen Beschwörungen erschienen sind, zeichnet sich der folgende, der aus dein katholischen Lager in der Nähe von Ingolstadt stammt, durch seine Ausführlichkeit und durch einige psychologisch interessante Züge aus. Er wird deshalb — nach dem Brauch dieser Mitthei¬ lungen, — mit einigen Auslassungen getreu in unsere Sprache übertragen mitgetheilt. Er erschien fünf Jahre nach dem Ereigniß in einer Flugschrift unter dem Titel: „Erschröcklich e. gantz wahrhafftige Geschieht, welche sich mit Apolonin, Hannsen Geißlbrechts Bürgers zu Spalt inn dem Ey- stättcr Bistumb, Haußfrawen verkauffen hat. Durch M. Sixtum Agricolam ze. Ingolstadt 1587." Die Erzählung beainnt folgendermaßen: Hans Gcißlbrecht, Bürger zu Spalt, hat sich nach Absterben seiner ersten Hausfrau wiederum mit Apollonia, der Witwe von weiland Hans Francke, aus Lautershausen im Markgrafenthum Brandenburg, verheirathet. allhier seine Hochzeit gehalten und länger als ein Jahr mit ihr gehauset. Doch zu¬ letzt hat es der leidige Ehcteusel dahin gebracht, daß zwischen ihnen beiden nichts Anderes als Tag und Nacht viel Zanken, Hadern. Grollen, Greiner, Keifen und Nagen gewesen, daneben ij>, was am allerschrccklichsten war. großes Gotteslästern und übles Schwören mit untergelaufen. Nun kam gedachter Gcißlbrecht an einem Freitag, den 1». Oct. des vergangenen 82. Jahres, wohl bezecht heim, fing seinem alten Gebrauch nach mit seiner Hausfrau zu zanken und zu schwören an, und sie trieben solches, wie ihre meisten Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/380>, abgerufen am 21.12.2024.