Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.andres sein, als ein sehr trocken realistisches. Hatte es sich ausgewiesen, daß andres sein, als ein sehr trocken realistisches. Hatte es sich ausgewiesen, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186443"/> <p xml:id="ID_77" prev="#ID_76" next="#ID_78"> andres sein, als ein sehr trocken realistisches. Hatte es sich ausgewiesen, daß<lb/> wir nicht so waren wie wir uns eingebildet, das; die Natur und die Dinge<lb/> um uns wesentlich anders sich verhielten, als wir geglaubt, und daß sie die<lb/> idealistische Form nicht vertrugen, die wir ihnen aufzwingen wollten, so war<lb/> es nicht mehr als billig, daß wir zum Studium dieser Natur zurückkehrten,<lb/> ihre Gesetze, ihre Bedürfnisse besser kennen zu lernen suchten, kurz daß wir<lb/> die gesetzvorschreibendc idealistische mit der realistischen gesetzsuchenden Ge¬<lb/> sinnung vertauschten, die bei der Masse, die nicht zum Untersuchen berufen ist,<lb/> sogar in eine materialistische vielfach umschlagen mußte. Kann man es u»e><lb/> verargen, daß wir, nachdem uns alle unsre Heiligen im Stich gelassen, vor¬<lb/> läufig nun einmal gar nichts mehr von Heiligen wissen wollen? Daß w>r<lb/> in der Kunst wenigstens an keine andere Offenbarung glauben als an die, welche<lb/> die Natur uns täglich durch unsre Sinne predigt. Diese leidenschaftliche<lb/> Liebe, die durchaus objective Hingabe an Natur und Geschichte sind der wohlbe¬<lb/> gründete geistige Inhalt der großen realistischen Revolution, die wir dermalen<lb/> auf dem Gebiete der Malerei vor sich gehen sehen, nachdem ihr die Wissen¬<lb/> schaft die schöne Literatur, ja selbst die Architektur und Sculptur in den Nutz¬<lb/> bauten und der Nauchschen Bildhauerschule dazu bereits früher den Weg<lb/> gezeigt haben. Oder wäre das Vorwiegen der historischen und nntur-<lb/> histonschcn Bestrebungen in der Wissenschaft, das Auftreten eines Ger-<lb/> vinus, Mommsen, Sybel, Liebig u. s. w. und wie sie alle heißen,<lb/> der Dichter Gotthelf. Auerbach, Freytag, Otto Ludwig ihr genaustes Zu¬<lb/> sammentreffen in Tendenz und Methode mit der realistischen Schule in der<lb/> Kunst so zufällig und bei letzterer unberechtigt, was man bei den andern<lb/> längst mit Jubel anerkannt? Mau muß merkwürdig verblendet sein, um<lb/> dergleichen zu behaupten und nicht zu sehen, baß die deutsche Kunst und<lb/> Wissenschaft damit dermalen nur den alten Antänsprozeß vollführen, und<lb/> nachdem sie in der Lust besiegt worden, ans der Erde wieder neue Kraft<lb/> holen, die ihnen sicherlich nicht ausbleiben wird. Es erübrigt uns nur<lb/> noch den Beweis zu liefern, daß diese just so berechtigte, weil eben so noth<lb/> wendige und unausbleibliche Revolution in der Malerei als jede vorher¬<lb/> gegangene, auch wirklich schon stattfindet. Wer die Verhältnisse näher kennt, kann<lb/> darüber freilich nicht im Zweifel sein, zur Orientirung für das große Publi-<lb/> cum mögen einige rein statistische Notizen nicht ganz überflüssig erscheinen,<lb/> um die Allgemeinheit derselben zu zeigen. Indem wir aber hier eine Menge<lb/> Namen nennen, verwahren wir uns im voraus dagegen, als ob wir in jedem<lb/> diejer mehr oder weniger begabten Künstler einen Raphael im Keime sähen,<lb/> indem wir den Irrthum zu bekämpfen suchen als wäre die dahingehende<lb/> classicirende Schule eine wirklich classische Periode gewesen, müssen wir<lb/> von vmneherei» erklären, daß wir eine solche überhaupt erst dann für möglich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
andres sein, als ein sehr trocken realistisches. Hatte es sich ausgewiesen, daß
wir nicht so waren wie wir uns eingebildet, das; die Natur und die Dinge
um uns wesentlich anders sich verhielten, als wir geglaubt, und daß sie die
idealistische Form nicht vertrugen, die wir ihnen aufzwingen wollten, so war
es nicht mehr als billig, daß wir zum Studium dieser Natur zurückkehrten,
ihre Gesetze, ihre Bedürfnisse besser kennen zu lernen suchten, kurz daß wir
die gesetzvorschreibendc idealistische mit der realistischen gesetzsuchenden Ge¬
sinnung vertauschten, die bei der Masse, die nicht zum Untersuchen berufen ist,
sogar in eine materialistische vielfach umschlagen mußte. Kann man es u»e>
verargen, daß wir, nachdem uns alle unsre Heiligen im Stich gelassen, vor¬
läufig nun einmal gar nichts mehr von Heiligen wissen wollen? Daß w>r
in der Kunst wenigstens an keine andere Offenbarung glauben als an die, welche
die Natur uns täglich durch unsre Sinne predigt. Diese leidenschaftliche
Liebe, die durchaus objective Hingabe an Natur und Geschichte sind der wohlbe¬
gründete geistige Inhalt der großen realistischen Revolution, die wir dermalen
auf dem Gebiete der Malerei vor sich gehen sehen, nachdem ihr die Wissen¬
schaft die schöne Literatur, ja selbst die Architektur und Sculptur in den Nutz¬
bauten und der Nauchschen Bildhauerschule dazu bereits früher den Weg
gezeigt haben. Oder wäre das Vorwiegen der historischen und nntur-
histonschcn Bestrebungen in der Wissenschaft, das Auftreten eines Ger-
vinus, Mommsen, Sybel, Liebig u. s. w. und wie sie alle heißen,
der Dichter Gotthelf. Auerbach, Freytag, Otto Ludwig ihr genaustes Zu¬
sammentreffen in Tendenz und Methode mit der realistischen Schule in der
Kunst so zufällig und bei letzterer unberechtigt, was man bei den andern
längst mit Jubel anerkannt? Mau muß merkwürdig verblendet sein, um
dergleichen zu behaupten und nicht zu sehen, baß die deutsche Kunst und
Wissenschaft damit dermalen nur den alten Antänsprozeß vollführen, und
nachdem sie in der Lust besiegt worden, ans der Erde wieder neue Kraft
holen, die ihnen sicherlich nicht ausbleiben wird. Es erübrigt uns nur
noch den Beweis zu liefern, daß diese just so berechtigte, weil eben so noth
wendige und unausbleibliche Revolution in der Malerei als jede vorher¬
gegangene, auch wirklich schon stattfindet. Wer die Verhältnisse näher kennt, kann
darüber freilich nicht im Zweifel sein, zur Orientirung für das große Publi-
cum mögen einige rein statistische Notizen nicht ganz überflüssig erscheinen,
um die Allgemeinheit derselben zu zeigen. Indem wir aber hier eine Menge
Namen nennen, verwahren wir uns im voraus dagegen, als ob wir in jedem
diejer mehr oder weniger begabten Künstler einen Raphael im Keime sähen,
indem wir den Irrthum zu bekämpfen suchen als wäre die dahingehende
classicirende Schule eine wirklich classische Periode gewesen, müssen wir
von vmneherei» erklären, daß wir eine solche überhaupt erst dann für möglich
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