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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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für das gnuzcLand publicirt wurde, und äußerte wiederholentlich seine Freude
darüber, daß binnen 8 Monaten 2400 alte Processe "aus eine rechtliche und
solide Weise abgethan worden seien,"'Lange aber bewährte die Neuerung ihren
segensreichen Einfluß nicht, und so gab endlich der König 1 780 einem alten
Lieblingsplan des Justizminister von Carmer Gehör, durch welchen die sogenannte
Inguisitionsmar.une in den Civilproceß eingeführt und die Anwälte überflüssig
gemacht wurden, indem es nun Pflicht des Richters wurde, den wahren Sach¬
verhalt von den persönlich erscheinenden Parteien zu ermitteln und, wenn ein
Vergleich nicht zu Stande gebracht werden konnte, danach zu entscheiden. Das
scheint dem Nichtjuriste" aus den ersten Blick eine ganz vortreffliche Einrichtung.
Erwägt man aber nur. wie dadurch der Richter mit in das Parteiinteresse
hineingezogen wird, wie seinen Fähigkeiten und Kräften, die durch hundert
Processe gleichzeitig in Anspruch genommen sind, die wichtigsten Sachen allein
anvertraut, denen aber, welche das meiste Interesse daran haben, gänzlich aus
den Händen genommen werden, so sieht auch der Laie, daß die I8ü3 und 184">
erfolgte Rückkehr zum alten Pnncip, welches die Parteien oder ihre Ve>-
treter wieder selbst thätig macht, eine Wohlthat sein mußte. Trotzdem
aber, daß die Anwälte schon unter der Jnquisitionsmaxime nicht gänzlich
hatten entbehrt werden können, scheint bis heute ein gewisses Odium
gegen ihre Stellung im Proceß zu herrschen, welches dies nothwendige
Uebel wenigstens aus eine möglichst geringe Zahl beschränken will. Mitt¬
lerweile macht sich das Bedürfniß nach Erweiterung oder Befreiung der Ad-
vocaten unmer fühlbarer. Nicht uur die Masse aussichtsloser junger Juristen,
welchen sich hier eine lohnende Thätigkeit öffnen würde, auch das Verlangen
des Publicums drängt dahin, welches bei unerheblichen Streitobjekten nur
mit Mühe einen Rechtsbeistand findet und, wie die Entwicklung des Rechts
heute einmal ist, zu seinem eignen Schaden und zu des Richters Qual oft
die begründetste!, Ansprüche mit den ungeschicktesten Mitteln verfolgt. Sobald
die nöthige Auswahl da ist. wird dies fortfallen und der Zwang, einen An¬
walt zu nehmen, jeder nicht rechtsverständigen Partei auferlegt werden tonnen.
Darin liegt durchaus leine Beschränkung der Bürgerrechte, vorausgesetzt, daß
die Partei neben ihrem Anwalt gehört werden und diesen vor den Richter
begleiten darf, wie es schon im Begriff der Öffentlichkeit des Verfahrens
gegeben ist. Außer den wenigen proceßltlstigen Originalen, zu deren Comfort
auch die leichte Aufregung eines schwebenden'Processes zu gehören scheint, hat
heute kaum eine Privatperson die Kenntnisse, sich selbst in Civilsachen vor
Gericht zu vertreten. Man wendet sich also, wenn Anwälte schwer zu haben
sind, an den ersten besten Winkclconsulenten, der einen guten Anspruch oft
schlecht genug versieht, und stets bereit ist. auch schlechte oder thörichte Klagen
einzuleiten, deren ein ordentlicher Rechtsanwalt sich schon aus Rücksicht für


Gnuzboten II. ItBö, Z?

für das gnuzcLand publicirt wurde, und äußerte wiederholentlich seine Freude
darüber, daß binnen 8 Monaten 2400 alte Processe „aus eine rechtliche und
solide Weise abgethan worden seien,"'Lange aber bewährte die Neuerung ihren
segensreichen Einfluß nicht, und so gab endlich der König 1 780 einem alten
Lieblingsplan des Justizminister von Carmer Gehör, durch welchen die sogenannte
Inguisitionsmar.une in den Civilproceß eingeführt und die Anwälte überflüssig
gemacht wurden, indem es nun Pflicht des Richters wurde, den wahren Sach¬
verhalt von den persönlich erscheinenden Parteien zu ermitteln und, wenn ein
Vergleich nicht zu Stande gebracht werden konnte, danach zu entscheiden. Das
scheint dem Nichtjuriste» aus den ersten Blick eine ganz vortreffliche Einrichtung.
Erwägt man aber nur. wie dadurch der Richter mit in das Parteiinteresse
hineingezogen wird, wie seinen Fähigkeiten und Kräften, die durch hundert
Processe gleichzeitig in Anspruch genommen sind, die wichtigsten Sachen allein
anvertraut, denen aber, welche das meiste Interesse daran haben, gänzlich aus
den Händen genommen werden, so sieht auch der Laie, daß die I8ü3 und 184«>
erfolgte Rückkehr zum alten Pnncip, welches die Parteien oder ihre Ve>-
treter wieder selbst thätig macht, eine Wohlthat sein mußte. Trotzdem
aber, daß die Anwälte schon unter der Jnquisitionsmaxime nicht gänzlich
hatten entbehrt werden können, scheint bis heute ein gewisses Odium
gegen ihre Stellung im Proceß zu herrschen, welches dies nothwendige
Uebel wenigstens aus eine möglichst geringe Zahl beschränken will. Mitt¬
lerweile macht sich das Bedürfniß nach Erweiterung oder Befreiung der Ad-
vocaten unmer fühlbarer. Nicht uur die Masse aussichtsloser junger Juristen,
welchen sich hier eine lohnende Thätigkeit öffnen würde, auch das Verlangen
des Publicums drängt dahin, welches bei unerheblichen Streitobjekten nur
mit Mühe einen Rechtsbeistand findet und, wie die Entwicklung des Rechts
heute einmal ist, zu seinem eignen Schaden und zu des Richters Qual oft
die begründetste!, Ansprüche mit den ungeschicktesten Mitteln verfolgt. Sobald
die nöthige Auswahl da ist. wird dies fortfallen und der Zwang, einen An¬
walt zu nehmen, jeder nicht rechtsverständigen Partei auferlegt werden tonnen.
Darin liegt durchaus leine Beschränkung der Bürgerrechte, vorausgesetzt, daß
die Partei neben ihrem Anwalt gehört werden und diesen vor den Richter
begleiten darf, wie es schon im Begriff der Öffentlichkeit des Verfahrens
gegeben ist. Außer den wenigen proceßltlstigen Originalen, zu deren Comfort
auch die leichte Aufregung eines schwebenden'Processes zu gehören scheint, hat
heute kaum eine Privatperson die Kenntnisse, sich selbst in Civilsachen vor
Gericht zu vertreten. Man wendet sich also, wenn Anwälte schwer zu haben
sind, an den ersten besten Winkclconsulenten, der einen guten Anspruch oft
schlecht genug versieht, und stets bereit ist. auch schlechte oder thörichte Klagen
einzuleiten, deren ein ordentlicher Rechtsanwalt sich schon aus Rücksicht für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/297>, abgerufen am 21.12.2024.