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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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wirklichung jener Zwecke bestimmt waren, ausgeführt worden, wie viele
von diesen wenigen wieder nach einem kurzen und verkümmerten Dasein be¬
seitigt sind. Was trotzdem Großes und Bleibendes, was Gemeines und Ver¬
gängliches in dem Streben jener Zeit lag, das nach vollem Umfang zu wür¬
digen, muß späteren Tagen überlassen bleiben, in denen man den Sachen
und Personen ferner und doch mit gründlicherer Kenntniß der Verhältnisse und
Motive gegenüberstehen wird. Aber auch heute schon, glauben wir, wird das
Urtheil über das, was wir dem Jahre 48 im Allgemeinen zu danken haben,
ein gerechtes sein können, und kein gewissenhafter Mann, er mag gehören zu
welcher Partei er wolle, wird unterschiedslos alle damaligen Bestrebungen
rechtfertigen, keiner die ganze Bewegung für einen bloßen wüsten Traum er¬
klären wollen, oder darüber streiten, ob sie den Namen einer Revolution oder
Rebellion verdiene. Was damals geschaffen und vorbereitet worden ist, nimmt
noch einen hinlänglichen Raum ein, um jeder Fortleugnung zu spotten. Auf
dem Gebiet der Einheitsbestrebungen, wo ein Erfolg am wenigsten in die
Augen fällt, meinen wir ihn doch sehr bestimmt in den Resultaten wieder¬
zuerkennen, welche die jüngsten Jahre in der Ausgleichung wirthschaftlicher
Unterschiede zwischen den deutschen Ländern gebracht haben. Und in unsern
staatsrechtlichen Zuständen, in unserm Handel, unsrer Industrie, in dem ge¬
summten geistigen Leben, namentlich in Tagespresse und neuer historischer Li¬
teratur merkt auch ein Blinder, daß das Jahr 48 einen folgenschweren Wende¬
punkt in der Geschichte des deutschen Volks bildet. Gibt es doch schon in
dem individuellen Leben keinen Ersatz für den Mangel eines regen Verkehrs
und Austausches von Gesinnungen und Ansichten! Ein Staat vollends ist zum
politischen Tode verdammt, wenn er die schaffenden Mächte des öffentlichen
Lebens nicht in der rechten Zeit zu befreien versteht. Tuche Befreiung aber
danken wir jener Bewegung, und was sie in dieser Hinsicht geschaffen hat,
mag es sonst so sehr den Stempel des Uebereilten und Umreisen tragen, wird
dauern und Früchte bringen.

Zu den bedeutendsten Einrichtungen mit dieser Tendenz gehören wol die
Justizreformen, welche in fa§ allen deutschen Staaten seit 1849 das geheime
schriftliche Verfahren in ein öffentliches und mündliches verwandelt und die
schweigende Göttin der Gerechtigkeit hinter verschlossenen Thüren und Unter¬
berger hervor auf den Markt des Lebens geführt hahen. Preußen that hierin
durch die Verordnungen vom 2. und 3. Jan. 1849 den ersten Schritt. Mit
Ausnahme der beim Alten gebliebenen Hansestädte, Braunschweigs, das sich
an England, Sachsens und Altenbnrgs, die sich an Oestreich anschlössen, folgte
das übrige Deutschland dann in den nächsten Jahren mehr oder weniger ge¬
nau dem Beispiel Preußens, so daß wir in seinen Justizreformen zugleich
einen allgemein deutschen Typus vor uns haben.


wirklichung jener Zwecke bestimmt waren, ausgeführt worden, wie viele
von diesen wenigen wieder nach einem kurzen und verkümmerten Dasein be¬
seitigt sind. Was trotzdem Großes und Bleibendes, was Gemeines und Ver¬
gängliches in dem Streben jener Zeit lag, das nach vollem Umfang zu wür¬
digen, muß späteren Tagen überlassen bleiben, in denen man den Sachen
und Personen ferner und doch mit gründlicherer Kenntniß der Verhältnisse und
Motive gegenüberstehen wird. Aber auch heute schon, glauben wir, wird das
Urtheil über das, was wir dem Jahre 48 im Allgemeinen zu danken haben,
ein gerechtes sein können, und kein gewissenhafter Mann, er mag gehören zu
welcher Partei er wolle, wird unterschiedslos alle damaligen Bestrebungen
rechtfertigen, keiner die ganze Bewegung für einen bloßen wüsten Traum er¬
klären wollen, oder darüber streiten, ob sie den Namen einer Revolution oder
Rebellion verdiene. Was damals geschaffen und vorbereitet worden ist, nimmt
noch einen hinlänglichen Raum ein, um jeder Fortleugnung zu spotten. Auf
dem Gebiet der Einheitsbestrebungen, wo ein Erfolg am wenigsten in die
Augen fällt, meinen wir ihn doch sehr bestimmt in den Resultaten wieder¬
zuerkennen, welche die jüngsten Jahre in der Ausgleichung wirthschaftlicher
Unterschiede zwischen den deutschen Ländern gebracht haben. Und in unsern
staatsrechtlichen Zuständen, in unserm Handel, unsrer Industrie, in dem ge¬
summten geistigen Leben, namentlich in Tagespresse und neuer historischer Li¬
teratur merkt auch ein Blinder, daß das Jahr 48 einen folgenschweren Wende¬
punkt in der Geschichte des deutschen Volks bildet. Gibt es doch schon in
dem individuellen Leben keinen Ersatz für den Mangel eines regen Verkehrs
und Austausches von Gesinnungen und Ansichten! Ein Staat vollends ist zum
politischen Tode verdammt, wenn er die schaffenden Mächte des öffentlichen
Lebens nicht in der rechten Zeit zu befreien versteht. Tuche Befreiung aber
danken wir jener Bewegung, und was sie in dieser Hinsicht geschaffen hat,
mag es sonst so sehr den Stempel des Uebereilten und Umreisen tragen, wird
dauern und Früchte bringen.

Zu den bedeutendsten Einrichtungen mit dieser Tendenz gehören wol die
Justizreformen, welche in fa§ allen deutschen Staaten seit 1849 das geheime
schriftliche Verfahren in ein öffentliches und mündliches verwandelt und die
schweigende Göttin der Gerechtigkeit hinter verschlossenen Thüren und Unter¬
berger hervor auf den Markt des Lebens geführt hahen. Preußen that hierin
durch die Verordnungen vom 2. und 3. Jan. 1849 den ersten Schritt. Mit
Ausnahme der beim Alten gebliebenen Hansestädte, Braunschweigs, das sich
an England, Sachsens und Altenbnrgs, die sich an Oestreich anschlössen, folgte
das übrige Deutschland dann in den nächsten Jahren mehr oder weniger ge¬
nau dem Beispiel Preußens, so daß wir in seinen Justizreformen zugleich
einen allgemein deutschen Typus vor uns haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/290>, abgerufen am 30.12.2024.