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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die bevorstehenden Wahlen in Preußen.

Es gab eine Zeit, wo man in Deutschland von nichts Anderem reden
mochte, als von Politik. Ließ man sich ein neues Kleid anmessen, so mußte
man die Ansichten des wackern Meisters über die beste Staatsverfassung mit
in den Kauf nehmen; ging man ins Theater, so hörte man Hymnen auf die
Freiheit und Satiren auf Metternich; es gab keinen auch noch so geheimen
Ort, in dem man vor den Jnfluenzen dieses allgemeinen Fiebers sicher war.
Auch war es nicht zu verwundern, denn seit einem Menschenalter hatten die
Deutschen über Staatsangelegenheiten schweigen müssen, sie hatten in der
Zeit fleißig darüber nachgedacht und die lange verhaltenen Ansichten wollten
sich Luft machen. Aber ein Gegenstand mag noch so ausgiebig sein, wenn,
man längere Zeit von nichts Anderem dort, so erlahmt zuletzt das Interesse.
Zwar kamen auch äußere Gründe dazu, die alte Formel: "nicht raisonnirt!"
wurde wieder sehr lebhaft in Anwendung gebracht, aber es wäre der Polizei
niemals gelungen, die Menge zum Schweigen zu bringen, es wäre den Führern
der Demokratie nie gelungen, ihren Anhängern zu beweisen, daß imponirendes
Schweigen die größte politische That sei. wenn die Menge nicht wirklich der
Politik überdrüssig gewesen wäre. Es kamen andere Gegenstände auf: die
Frage, ob wir eine Seele haben, das Tischrücken und Geisterklopfen, die In¬
dustrie, der Credit Mobilier, und wie in Deutschland jede augenblickliche
Neigung zu einer dogmatischen Abrundung führt, so wurde die Theorie auf¬
gestellt, der beste Fortschritt sei, wenn man sich um den Staat gar nicht
kümmere und nur für seine eignen Interessen sorge. Allein wenn man sich
um >den Staat nicht kümmert, so bestimmt man den Staat dadurch noch keines¬
wegs, seinerseits die materiellen Interessen aus dem Spiel zu lassen: das hat
sich am schlagendsten in unserm Nachbarlande Hannover gezeigt, wo man die
Opposition tadelte, fortwährend' auf die Rechtsfrage zurückzukommen, anstatt
für die materiellen Interessen zu sorgen, bis man endlich mir einiger Verwun-


Grcnzboten III. 1858. t>1
Die bevorstehenden Wahlen in Preußen.

Es gab eine Zeit, wo man in Deutschland von nichts Anderem reden
mochte, als von Politik. Ließ man sich ein neues Kleid anmessen, so mußte
man die Ansichten des wackern Meisters über die beste Staatsverfassung mit
in den Kauf nehmen; ging man ins Theater, so hörte man Hymnen auf die
Freiheit und Satiren auf Metternich; es gab keinen auch noch so geheimen
Ort, in dem man vor den Jnfluenzen dieses allgemeinen Fiebers sicher war.
Auch war es nicht zu verwundern, denn seit einem Menschenalter hatten die
Deutschen über Staatsangelegenheiten schweigen müssen, sie hatten in der
Zeit fleißig darüber nachgedacht und die lange verhaltenen Ansichten wollten
sich Luft machen. Aber ein Gegenstand mag noch so ausgiebig sein, wenn,
man längere Zeit von nichts Anderem dort, so erlahmt zuletzt das Interesse.
Zwar kamen auch äußere Gründe dazu, die alte Formel: „nicht raisonnirt!"
wurde wieder sehr lebhaft in Anwendung gebracht, aber es wäre der Polizei
niemals gelungen, die Menge zum Schweigen zu bringen, es wäre den Führern
der Demokratie nie gelungen, ihren Anhängern zu beweisen, daß imponirendes
Schweigen die größte politische That sei. wenn die Menge nicht wirklich der
Politik überdrüssig gewesen wäre. Es kamen andere Gegenstände auf: die
Frage, ob wir eine Seele haben, das Tischrücken und Geisterklopfen, die In¬
dustrie, der Credit Mobilier, und wie in Deutschland jede augenblickliche
Neigung zu einer dogmatischen Abrundung führt, so wurde die Theorie auf¬
gestellt, der beste Fortschritt sei, wenn man sich um den Staat gar nicht
kümmere und nur für seine eignen Interessen sorge. Allein wenn man sich
um >den Staat nicht kümmert, so bestimmt man den Staat dadurch noch keines¬
wegs, seinerseits die materiellen Interessen aus dem Spiel zu lassen: das hat
sich am schlagendsten in unserm Nachbarlande Hannover gezeigt, wo man die
Opposition tadelte, fortwährend' auf die Rechtsfrage zurückzukommen, anstatt
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[0489] Die bevorstehenden Wahlen in Preußen. Es gab eine Zeit, wo man in Deutschland von nichts Anderem reden mochte, als von Politik. Ließ man sich ein neues Kleid anmessen, so mußte man die Ansichten des wackern Meisters über die beste Staatsverfassung mit in den Kauf nehmen; ging man ins Theater, so hörte man Hymnen auf die Freiheit und Satiren auf Metternich; es gab keinen auch noch so geheimen Ort, in dem man vor den Jnfluenzen dieses allgemeinen Fiebers sicher war. Auch war es nicht zu verwundern, denn seit einem Menschenalter hatten die Deutschen über Staatsangelegenheiten schweigen müssen, sie hatten in der Zeit fleißig darüber nachgedacht und die lange verhaltenen Ansichten wollten sich Luft machen. Aber ein Gegenstand mag noch so ausgiebig sein, wenn, man längere Zeit von nichts Anderem dort, so erlahmt zuletzt das Interesse. Zwar kamen auch äußere Gründe dazu, die alte Formel: „nicht raisonnirt!" wurde wieder sehr lebhaft in Anwendung gebracht, aber es wäre der Polizei niemals gelungen, die Menge zum Schweigen zu bringen, es wäre den Führern der Demokratie nie gelungen, ihren Anhängern zu beweisen, daß imponirendes Schweigen die größte politische That sei. wenn die Menge nicht wirklich der Politik überdrüssig gewesen wäre. Es kamen andere Gegenstände auf: die Frage, ob wir eine Seele haben, das Tischrücken und Geisterklopfen, die In¬ dustrie, der Credit Mobilier, und wie in Deutschland jede augenblickliche Neigung zu einer dogmatischen Abrundung führt, so wurde die Theorie auf¬ gestellt, der beste Fortschritt sei, wenn man sich um den Staat gar nicht kümmere und nur für seine eignen Interessen sorge. Allein wenn man sich um >den Staat nicht kümmert, so bestimmt man den Staat dadurch noch keines¬ wegs, seinerseits die materiellen Interessen aus dem Spiel zu lassen: das hat sich am schlagendsten in unserm Nachbarlande Hannover gezeigt, wo man die Opposition tadelte, fortwährend' auf die Rechtsfrage zurückzukommen, anstatt für die materiellen Interessen zu sorgen, bis man endlich mir einiger Verwun- Grcnzboten III. 1858. t>1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/489>, abgerufen am 22.07.2024.