Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.Spccksuppe. Buchweizenbrei oder wol gar einen Schweinebraten errathen Heute kann man übrigens nur wenig Zeit aus die Freuden des Mahles Bis zum Angelus muß alles in Ordnung sein, darum beeilt sich jeder so Sobald diese Ceremonie vorüber ist, drängt sich die Menge in die Kirchen¬ Spccksuppe. Buchweizenbrei oder wol gar einen Schweinebraten errathen Heute kann man übrigens nur wenig Zeit aus die Freuden des Mahles Bis zum Angelus muß alles in Ordnung sein, darum beeilt sich jeder so Sobald diese Ceremonie vorüber ist, drängt sich die Menge in die Kirchen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106274"/> <p xml:id="ID_1289" prev="#ID_1288"> Spccksuppe. Buchweizenbrei oder wol gar einen Schweinebraten errathen<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Heute kann man übrigens nur wenig Zeit aus die Freuden des Mahles<lb/> verwenden. Die Männer verlangen danach, Ställe, Scheunen und Obstgärten<lb/> zu besichtigen; die Frauen haben noch dies und jenes für Verschönerung des<lb/> Hauses zu thun. Burschen und Mädchen sind mit dem Bekränzen der Kirche<lb/> oder dem Aufputz der Stationsaltäre beschäftigt, und die Kinder müssen zu¬<lb/> sehen, wie der Schenkwirt!), der Tabulettkrämer, die Kuchenverkäuferin ihren<lb/> Stand auf dem Anger einrichten, müssen den Wunderdoctor mit Jubelgeschrei<lb/> begrüßen, wenn er auf seinem tcppichbehangnen Karren einzieht, oder müssen<lb/> dem Vater K6ry, dem beliebtesten Sänger und Erzähler der Umgegend, ent¬<lb/> gegenlaufen, sobald seine hohe Gestalt in der Ferne sichtbar wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> Bis zum Angelus muß alles in Ordnung sein, darum beeilt sich jeder so<lb/> viel er kann, und hoffentlich wird es Se. Anne vergeben, daß der Küster<lb/> mit dem Läuten zögert, bis die letzte Guirlande über dem Portal der Kirche<lb/> befestigt ist. Jetzt ist es geschehen; in demselben Augenblicke stimmt die<lb/> große Glocke ihre Festgeläut an, die beiden kleinern Glocken fallen harmonisch<lb/> ein — und jeder entblößt das Haupt, wo er geht und steht, bekreuzt sich und<lb/> spricht sein Gebet; dann eilt alles dem Gotteshause zu, um der Patronin des<lb/> Dorfes zur Unterstützung der Herzenswünsche eine Gabe zu Füßen zu legen<lb/> oder ihr ein Dank- oder Sühnopfer zu bringen. Aber für den Augenblick<lb/> darf nur die Gwenola, des Pfarrers alte Magd, die Schwelle überschreiten.<lb/> Mit einem neuen Besen in der Hand kommt sie feierlich vom Pfarrhause'her,<lb/> geht mit gesenkten Blicken, ohne zu grüßen, geradeswegs in die Kirche hinein, und<lb/> beginnt, nachdem sie sich selbst sowol wie die Birkenreiser reichlich mit Weihwasser<lb/> besprengt hat, das Heiligthum noch einmal auszukehren. Sorgfältig sammelt<lb/> sie dann den Staub in ihrer weißen Schürze, trägt ihn auf den Gottesacker<lb/> und streut ihn nach den vier Himmelsgegenden aus, während die Anwesenden<lb/> ein Ave Maria sprechen. Die Winde werden den heiligen Staub über Fel¬<lb/> der, Moor und Haide nach dem Meere tragen, und seine Kraft wird die Be¬<lb/> wohner der Inseln, die morgen zum Feste kommen, vor Schaden bewahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Sobald diese Ceremonie vorüber ist, drängt sich die Menge in die Kirchen¬<lb/> thür, und' jeder sucht sür seine Gabe einen möglichst in die Augen fallenden<lb/> Platz. Die Reichen, die ganze Säcke voll Korn oder Schafwolle darbringen<lb/> können, haben freilich nichts zu fürchten, aber wie soll sich Se. Anne unter<lb/> dieser Menge kleiner Flachs-und Garnbündel, diesen Butter- und Honigtöpfchen,<lb/> diesen Eiern, Nüssen und Wachskerzen zurechtfinden? — Jeder legt der Hei¬<lb/> ligen seine Bitten und Gelübde noch einmal ans Herz, dann wird es leer<lb/> in der Kirche und still auf dem Gottesacker. Alles strömt dem Anger zu, wo<lb/> das ländliche Orchester, das aus ein paar klangvollen Binious, einer Bom-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0463]
Spccksuppe. Buchweizenbrei oder wol gar einen Schweinebraten errathen
lassen.
Heute kann man übrigens nur wenig Zeit aus die Freuden des Mahles
verwenden. Die Männer verlangen danach, Ställe, Scheunen und Obstgärten
zu besichtigen; die Frauen haben noch dies und jenes für Verschönerung des
Hauses zu thun. Burschen und Mädchen sind mit dem Bekränzen der Kirche
oder dem Aufputz der Stationsaltäre beschäftigt, und die Kinder müssen zu¬
sehen, wie der Schenkwirt!), der Tabulettkrämer, die Kuchenverkäuferin ihren
Stand auf dem Anger einrichten, müssen den Wunderdoctor mit Jubelgeschrei
begrüßen, wenn er auf seinem tcppichbehangnen Karren einzieht, oder müssen
dem Vater K6ry, dem beliebtesten Sänger und Erzähler der Umgegend, ent¬
gegenlaufen, sobald seine hohe Gestalt in der Ferne sichtbar wird.
Bis zum Angelus muß alles in Ordnung sein, darum beeilt sich jeder so
viel er kann, und hoffentlich wird es Se. Anne vergeben, daß der Küster
mit dem Läuten zögert, bis die letzte Guirlande über dem Portal der Kirche
befestigt ist. Jetzt ist es geschehen; in demselben Augenblicke stimmt die
große Glocke ihre Festgeläut an, die beiden kleinern Glocken fallen harmonisch
ein — und jeder entblößt das Haupt, wo er geht und steht, bekreuzt sich und
spricht sein Gebet; dann eilt alles dem Gotteshause zu, um der Patronin des
Dorfes zur Unterstützung der Herzenswünsche eine Gabe zu Füßen zu legen
oder ihr ein Dank- oder Sühnopfer zu bringen. Aber für den Augenblick
darf nur die Gwenola, des Pfarrers alte Magd, die Schwelle überschreiten.
Mit einem neuen Besen in der Hand kommt sie feierlich vom Pfarrhause'her,
geht mit gesenkten Blicken, ohne zu grüßen, geradeswegs in die Kirche hinein, und
beginnt, nachdem sie sich selbst sowol wie die Birkenreiser reichlich mit Weihwasser
besprengt hat, das Heiligthum noch einmal auszukehren. Sorgfältig sammelt
sie dann den Staub in ihrer weißen Schürze, trägt ihn auf den Gottesacker
und streut ihn nach den vier Himmelsgegenden aus, während die Anwesenden
ein Ave Maria sprechen. Die Winde werden den heiligen Staub über Fel¬
der, Moor und Haide nach dem Meere tragen, und seine Kraft wird die Be¬
wohner der Inseln, die morgen zum Feste kommen, vor Schaden bewahren.
Sobald diese Ceremonie vorüber ist, drängt sich die Menge in die Kirchen¬
thür, und' jeder sucht sür seine Gabe einen möglichst in die Augen fallenden
Platz. Die Reichen, die ganze Säcke voll Korn oder Schafwolle darbringen
können, haben freilich nichts zu fürchten, aber wie soll sich Se. Anne unter
dieser Menge kleiner Flachs-und Garnbündel, diesen Butter- und Honigtöpfchen,
diesen Eiern, Nüssen und Wachskerzen zurechtfinden? — Jeder legt der Hei¬
ligen seine Bitten und Gelübde noch einmal ans Herz, dann wird es leer
in der Kirche und still auf dem Gottesacker. Alles strömt dem Anger zu, wo
das ländliche Orchester, das aus ein paar klangvollen Binious, einer Bom-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |