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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ten, die Staatskunde und Aesthetik auf theologische Begriffe zu begründen.
Die Entwicklung der Theologie charakterisirt Daub nach den drei Perioden
der Contemplation. der Reflexion und der Speculation; als seine Ausgabe
bezeichnet er, die Theologie aus der langen babylonischen Gefangenschaft der
Reflexion in das gelobte Land der Speculation überzuführen.

Nach langem Schweigen folgte 1816--1818: Judas Ischarioth oder
Betrachtungen über das Böse im Verhältniß zum Guten; hauptsächlich durch
Schellings Abhandlung über die Freiheit (nach welcher ein "dunkler Grund"
in Gott selbst der Quell des Bösen war), zum Theil aber auch durch Hegels
Phänomenologie hervorgerufen. Judas ist nach Daub, ziemlich willkürlich,
der Verbrecher im höchsten möglichen Sinn; in ihm zeigte sich das mit seinem
Werkzeug identificirte Böse d. h. der Teufel in Menschengestalt; daher ist für
ihn Begnadigung und Seligkeit ewig unmöglich. In den Theologumenen
waren die Wundererzählungen noch zu den mythologischen Bestandtheilen des
Christenthums gerechnet; jetzt wird ausdrücklich erklärt, daß der Satz: Wunder
sind in der Welt nie geschehen, falsch sei, und daß die Zuversicht, womit er
ausgesprochen wird, ihren Grund nicht weniger in einem Wahn und Irrthum
habe, wie die. mit welcher ein wundersüchtiger, übrigens ehrlicher Mensch
versichert, selbst hier und da ein Wunder gesehn und wirklich erlebt zu haben.
Das seltsame Buch, auf das wir nicht weiter eingehn, charakerisirt Strauß
als ein gnostisches: "Die formelle Grundeigenthümlichkeit des gnostischen
Denkens, jenes phantastische Umschlagen des Abstracten ins Eoncrete, der
Begriffe in Persönlichkeiten, bestimmt in Bezug auf den Gegenstand der Schrift,
den Begriff des Bösen, deren ganze Eigenthümlichkeit. Dies gibt ihr etwas
Unheimliches, Schauerliches: wo wir Hinsehen, in uns oder um uns, da grinst
eine Teufelslarve uns an; unsere Mahlzeiten sind unvermeidliche Greuel, und
verzaubert hebt sich der Boden unter unsern Füßen." "In den Jahren 132?
und 1828," erzählt Strauß weiter, "las man in den berliner Jahrbüchern, als
Anzeige von Marheinekes Dogmatik. eine Abhandlung von Daub, über welche
man sich damals den angeblichen Ausspruch des Erstem erzählte, er müsse
jeden ihrer Sätze dreimal lesen: auf das erstemal verstehe man ihn gar nicht;
das zweitemal ein wenig; das drittemal immer noch nicht." "Ohne mich
rühmen zu können, überall auch nur bis zur dritten Stufe eingedrungen zu
sein, blieb mir doch der Eindruck, das Verhältniß des neuern Supranaturalis-
mus zur alten Orthodoxie und zum Nationalismus nirgend zuvor aus solcher
Tiefe entwickelt gesunden zu haben." Die Abhandlung fand 1833 ihren Platz
in einer größern Schrift: die dogmatische Theologie jetziger Zeit, oder die
Selbstsucht in der Wissenschaft des Glaubens. Sie ist es hauptsächlich, die
ihm den Beinamen eines "Magus des Südens" (im Gegensatz zu Hamann)
verschafft hat, als welchen ihn Rosenkranz und Marheineke gefeiert haben.


ten, die Staatskunde und Aesthetik auf theologische Begriffe zu begründen.
Die Entwicklung der Theologie charakterisirt Daub nach den drei Perioden
der Contemplation. der Reflexion und der Speculation; als seine Ausgabe
bezeichnet er, die Theologie aus der langen babylonischen Gefangenschaft der
Reflexion in das gelobte Land der Speculation überzuführen.

Nach langem Schweigen folgte 1816—1818: Judas Ischarioth oder
Betrachtungen über das Böse im Verhältniß zum Guten; hauptsächlich durch
Schellings Abhandlung über die Freiheit (nach welcher ein „dunkler Grund"
in Gott selbst der Quell des Bösen war), zum Theil aber auch durch Hegels
Phänomenologie hervorgerufen. Judas ist nach Daub, ziemlich willkürlich,
der Verbrecher im höchsten möglichen Sinn; in ihm zeigte sich das mit seinem
Werkzeug identificirte Böse d. h. der Teufel in Menschengestalt; daher ist für
ihn Begnadigung und Seligkeit ewig unmöglich. In den Theologumenen
waren die Wundererzählungen noch zu den mythologischen Bestandtheilen des
Christenthums gerechnet; jetzt wird ausdrücklich erklärt, daß der Satz: Wunder
sind in der Welt nie geschehen, falsch sei, und daß die Zuversicht, womit er
ausgesprochen wird, ihren Grund nicht weniger in einem Wahn und Irrthum
habe, wie die. mit welcher ein wundersüchtiger, übrigens ehrlicher Mensch
versichert, selbst hier und da ein Wunder gesehn und wirklich erlebt zu haben.
Das seltsame Buch, auf das wir nicht weiter eingehn, charakerisirt Strauß
als ein gnostisches: „Die formelle Grundeigenthümlichkeit des gnostischen
Denkens, jenes phantastische Umschlagen des Abstracten ins Eoncrete, der
Begriffe in Persönlichkeiten, bestimmt in Bezug auf den Gegenstand der Schrift,
den Begriff des Bösen, deren ganze Eigenthümlichkeit. Dies gibt ihr etwas
Unheimliches, Schauerliches: wo wir Hinsehen, in uns oder um uns, da grinst
eine Teufelslarve uns an; unsere Mahlzeiten sind unvermeidliche Greuel, und
verzaubert hebt sich der Boden unter unsern Füßen." „In den Jahren 132?
und 1828," erzählt Strauß weiter, „las man in den berliner Jahrbüchern, als
Anzeige von Marheinekes Dogmatik. eine Abhandlung von Daub, über welche
man sich damals den angeblichen Ausspruch des Erstem erzählte, er müsse
jeden ihrer Sätze dreimal lesen: auf das erstemal verstehe man ihn gar nicht;
das zweitemal ein wenig; das drittemal immer noch nicht." „Ohne mich
rühmen zu können, überall auch nur bis zur dritten Stufe eingedrungen zu
sein, blieb mir doch der Eindruck, das Verhältniß des neuern Supranaturalis-
mus zur alten Orthodoxie und zum Nationalismus nirgend zuvor aus solcher
Tiefe entwickelt gesunden zu haben." Die Abhandlung fand 1833 ihren Platz
in einer größern Schrift: die dogmatische Theologie jetziger Zeit, oder die
Selbstsucht in der Wissenschaft des Glaubens. Sie ist es hauptsächlich, die
ihm den Beinamen eines „Magus des Südens" (im Gegensatz zu Hamann)
verschafft hat, als welchen ihn Rosenkranz und Marheineke gefeiert haben.


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/416>, abgerufen am 23.07.2024.