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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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daß meine politische Laufbahn beendigt ist. Die Periode, wo man sich schmei¬
cheln dürfte, absolute Freiheit in Europa und besonders hier ruhig und fest
gegründet zu sehen, ist vorüber; es ist keinem kaltblütigen, keinem hellsehen¬
der Beobachter verhohlen, daß wir uns täglich weiter davon entfernen . . .
Die Leidenschaften müssen entweder einen Zügel bekommen, oder die Anar¬
chie verewigt sich. Das Letztere ist unmöglich auf die Länge: also das Erste.
-- Hätte ich! vor acht Monaten gewußt, was ich jetzt weiß, ich wäre ohne
allen Zweifel nach Hamburg, nach Altona gegangen, und nicht in den Club.
Das ist ein Wort, dessen Stärke ich wohl und ganz erwäge, indem ich es
ausspreche. - Also gehe ich freiwillig in meine schriftstellerische Laufbahn zu¬
rück." Auch diesmal bewahrte ihn sein sanguinisches Temperament vor der
Verzweiflung, denn noch immer sah er seine Lage günstiger als sie war.

Zu Anfang November sah er seine Familie mit Huber auf der französischen
Grenze ; mit großer Porsicht, denn es war wirkliche Gefahr dabei. Noch da¬
mals hatte er die Idee, die ganze Familie nach Paris herüberzuziehen und
sprach sich so aus. als ob das Bewußtsein, die Vortheile, welche der Mensch¬
heit aus der Revolution entspringen müßten, über die individuelle Noth ent-,
schädigen könne. Es war vollkommen richtig vom philosophischen Standpunkt,
aber auf ihn nicht anwendbar, den das furchtbare Ereigniß in Schuld ver¬
wickelt hatte. Auch traten von Zeit zu Zeit immer wieder Ausbrüche der
Verzweiflung ein. "Aller Aufwand von Kräften, was vermag er im Schick¬
sal des ganzen Geschlechts, was im Schicksal eines Einzigen zu ändern? Wird
nicht alles unaufhaltsam fortgerissen, zu leiden und leiden zu machen, bis die
Federkraft abgenutzt oder zersprengt ist? Wenn ich täglich frühstücke, zu Mittag
esse. Thee trinke, zu Bette gehe und aus hunderterleiweise meine Abhängig¬
keit von der Natur erkennen muß. erschrecke ich vor mir selbst, wen" ich das
Wort Tugend oder Sittlichkeit ausspreche. Alles dies ist so gefährlich nicht.
Wie es scheint, ober es führt auf keinen hohen Gesichtspunkt, aus welchem
die Vorurtheile und die geschwätzigen Moralprediger unseres Zeitalters mir so
unbeschreiblich klein und verächtlich werden." -- Und ähnliche Stimmungen
kehren in seinen Briefen sehr häufig wieder. Man weiß daher kaum, ob
man seinen frühen Tod 12. Jan. 17>>4 beklagen soll. Therese verheiratete
sich gleich daraus mit Huber. mit dem sie noch zehn Jahr zusammenlebte.
Der alte Henne, der Försters Schwächen wohl durchschaute, zeigte anat hier
wieder durch die herzliche Theilnahme, die er laut und offen erklärte, seine
ehrenwerthe Gesinnung.

Ueber Försters wissenschaftliche Bedeutung spricht sich der Mann, dem
vor allem ein Urtheil zusteht. A. v. Humboldt aus: "Durch ihn begann eine
neue Aera wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Länder- und Völker¬
kunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühle begabt, in sich dewas-


daß meine politische Laufbahn beendigt ist. Die Periode, wo man sich schmei¬
cheln dürfte, absolute Freiheit in Europa und besonders hier ruhig und fest
gegründet zu sehen, ist vorüber; es ist keinem kaltblütigen, keinem hellsehen¬
der Beobachter verhohlen, daß wir uns täglich weiter davon entfernen . . .
Die Leidenschaften müssen entweder einen Zügel bekommen, oder die Anar¬
chie verewigt sich. Das Letztere ist unmöglich auf die Länge: also das Erste.
— Hätte ich! vor acht Monaten gewußt, was ich jetzt weiß, ich wäre ohne
allen Zweifel nach Hamburg, nach Altona gegangen, und nicht in den Club.
Das ist ein Wort, dessen Stärke ich wohl und ganz erwäge, indem ich es
ausspreche. - Also gehe ich freiwillig in meine schriftstellerische Laufbahn zu¬
rück." Auch diesmal bewahrte ihn sein sanguinisches Temperament vor der
Verzweiflung, denn noch immer sah er seine Lage günstiger als sie war.

Zu Anfang November sah er seine Familie mit Huber auf der französischen
Grenze ; mit großer Porsicht, denn es war wirkliche Gefahr dabei. Noch da¬
mals hatte er die Idee, die ganze Familie nach Paris herüberzuziehen und
sprach sich so aus. als ob das Bewußtsein, die Vortheile, welche der Mensch¬
heit aus der Revolution entspringen müßten, über die individuelle Noth ent-,
schädigen könne. Es war vollkommen richtig vom philosophischen Standpunkt,
aber auf ihn nicht anwendbar, den das furchtbare Ereigniß in Schuld ver¬
wickelt hatte. Auch traten von Zeit zu Zeit immer wieder Ausbrüche der
Verzweiflung ein. „Aller Aufwand von Kräften, was vermag er im Schick¬
sal des ganzen Geschlechts, was im Schicksal eines Einzigen zu ändern? Wird
nicht alles unaufhaltsam fortgerissen, zu leiden und leiden zu machen, bis die
Federkraft abgenutzt oder zersprengt ist? Wenn ich täglich frühstücke, zu Mittag
esse. Thee trinke, zu Bette gehe und aus hunderterleiweise meine Abhängig¬
keit von der Natur erkennen muß. erschrecke ich vor mir selbst, wen» ich das
Wort Tugend oder Sittlichkeit ausspreche. Alles dies ist so gefährlich nicht.
Wie es scheint, ober es führt auf keinen hohen Gesichtspunkt, aus welchem
die Vorurtheile und die geschwätzigen Moralprediger unseres Zeitalters mir so
unbeschreiblich klein und verächtlich werden." — Und ähnliche Stimmungen
kehren in seinen Briefen sehr häufig wieder. Man weiß daher kaum, ob
man seinen frühen Tod 12. Jan. 17>>4 beklagen soll. Therese verheiratete
sich gleich daraus mit Huber. mit dem sie noch zehn Jahr zusammenlebte.
Der alte Henne, der Försters Schwächen wohl durchschaute, zeigte anat hier
wieder durch die herzliche Theilnahme, die er laut und offen erklärte, seine
ehrenwerthe Gesinnung.

Ueber Försters wissenschaftliche Bedeutung spricht sich der Mann, dem
vor allem ein Urtheil zusteht. A. v. Humboldt aus: „Durch ihn begann eine
neue Aera wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Länder- und Völker¬
kunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühle begabt, in sich dewas-


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[0037] daß meine politische Laufbahn beendigt ist. Die Periode, wo man sich schmei¬ cheln dürfte, absolute Freiheit in Europa und besonders hier ruhig und fest gegründet zu sehen, ist vorüber; es ist keinem kaltblütigen, keinem hellsehen¬ der Beobachter verhohlen, daß wir uns täglich weiter davon entfernen . . . Die Leidenschaften müssen entweder einen Zügel bekommen, oder die Anar¬ chie verewigt sich. Das Letztere ist unmöglich auf die Länge: also das Erste. — Hätte ich! vor acht Monaten gewußt, was ich jetzt weiß, ich wäre ohne allen Zweifel nach Hamburg, nach Altona gegangen, und nicht in den Club. Das ist ein Wort, dessen Stärke ich wohl und ganz erwäge, indem ich es ausspreche. - Also gehe ich freiwillig in meine schriftstellerische Laufbahn zu¬ rück." Auch diesmal bewahrte ihn sein sanguinisches Temperament vor der Verzweiflung, denn noch immer sah er seine Lage günstiger als sie war. Zu Anfang November sah er seine Familie mit Huber auf der französischen Grenze ; mit großer Porsicht, denn es war wirkliche Gefahr dabei. Noch da¬ mals hatte er die Idee, die ganze Familie nach Paris herüberzuziehen und sprach sich so aus. als ob das Bewußtsein, die Vortheile, welche der Mensch¬ heit aus der Revolution entspringen müßten, über die individuelle Noth ent-, schädigen könne. Es war vollkommen richtig vom philosophischen Standpunkt, aber auf ihn nicht anwendbar, den das furchtbare Ereigniß in Schuld ver¬ wickelt hatte. Auch traten von Zeit zu Zeit immer wieder Ausbrüche der Verzweiflung ein. „Aller Aufwand von Kräften, was vermag er im Schick¬ sal des ganzen Geschlechts, was im Schicksal eines Einzigen zu ändern? Wird nicht alles unaufhaltsam fortgerissen, zu leiden und leiden zu machen, bis die Federkraft abgenutzt oder zersprengt ist? Wenn ich täglich frühstücke, zu Mittag esse. Thee trinke, zu Bette gehe und aus hunderterleiweise meine Abhängig¬ keit von der Natur erkennen muß. erschrecke ich vor mir selbst, wen» ich das Wort Tugend oder Sittlichkeit ausspreche. Alles dies ist so gefährlich nicht. Wie es scheint, ober es führt auf keinen hohen Gesichtspunkt, aus welchem die Vorurtheile und die geschwätzigen Moralprediger unseres Zeitalters mir so unbeschreiblich klein und verächtlich werden." — Und ähnliche Stimmungen kehren in seinen Briefen sehr häufig wieder. Man weiß daher kaum, ob man seinen frühen Tod 12. Jan. 17>>4 beklagen soll. Therese verheiratete sich gleich daraus mit Huber. mit dem sie noch zehn Jahr zusammenlebte. Der alte Henne, der Försters Schwächen wohl durchschaute, zeigte anat hier wieder durch die herzliche Theilnahme, die er laut und offen erklärte, seine ehrenwerthe Gesinnung. Ueber Försters wissenschaftliche Bedeutung spricht sich der Mann, dem vor allem ein Urtheil zusteht. A. v. Humboldt aus: „Durch ihn begann eine neue Aera wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Länder- und Völker¬ kunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühle begabt, in sich dewas-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/37>, abgerufen am 22.07.2024.