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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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"Stein ist einen Tag zum Mittagsessen auf dem Landhaus seines Bankiers
Metzler und Comp. Als sie eben beim Kaffeetische sitzen, fährt ein prächtiger
Wagen vor, und der bairische Feldmarschall Graf Wrede läßt sich melden.
Bei diesem Ton springt Stein auf, öffnet die Thür und ruft seinen Leuten
zu sogleich anzuspannen. Metzlers wollen ihn halten, aber er eilt hinaus,
sagend: Mit einem solchen verfluchten Räuber sitze ich nicht in demselben
Zimmer, Er läßt den Baier an sich vorübergehen und fährt fort." Die¬
ser Zorn gegen Wrede hatte seine Veranlassung darin, daß von allen deut¬
schen Truppen unter französischem Kommando in Norddeutschland die Baiern
und die Darmstädter durch Rohheit, Zuchtlosigkeit und Plünderungssucht den
schlechtesten Ruf hinter sich gelassen hatten. "Wrede ward wol mit Recht
beschuldigt, den Seinigen nicht nur vieles nachgesehen, sondern ihnen auch
das böseste Beispiel gegeben zu haben. Bei einem solchen Beispiel hatte ihn
nun Stein erfaßt und zwar recht tüchtig angefaßt. Wrede war in Schloß
Oels in Schlesien einquartirt, im Schlosse des Herzogs von Braunschweig.
Hier hatte er es ganz den gierig unverschämten französischen Räubern nach¬
gemacht, dem Soult. Massen" und ihresgleichen, welche das Silber, womit
sie von ihren Wirthen bedient wurden, nach der Tafel gewöhnlich einpacken
und mit ihrem Gepäck wandern ließen. So hatte Wrede in Oels bei seinem
Abzüge alles herzogliche Schloßsilber mit zu seinem Feldgepück legen lassen.
Der arme Schloßvoigt hatte dem nicht wehren gekonnt, hatte aber, damit
er selbst nicht für den Räuber und Dieb des herzoglichen Silberschatzes ge¬
halten würde, den Marschall um einen Schein gebeten, daß er in Kraft des
Kriegsbefehls es sich habe ausliefern lassen. Und wirklich hatte der Feld-
Marschall ihm den genau specificirten Schein bei seinem Abmarsch in ein¬
fältiger deutscher Ueberraschung unterschrieben. Dieses Papierchen ward nun
im Jahr 1813 Steins Händen übergeben und Wrede hatte den Werth des
Raubes im folgenden Jahre mit einer hübschen Summe Geld zurückzahlen
müssen."

Stein war für Erhaltung von Familienbesitz und zu dem Zweck für Er¬
haltung von größern und kleinern Gutscomplexcn, als welche allein sich ver¬
erben. Er sah hierin nicht blos eine Befestigung des Glücks, sondern noch
Mehr eine Befestigung der Tugend, und klagte, daß mit der allgemeinen
Wandelbarkeit des Grundbesitzes auch eine Wandelbarkeit und Verflüchtigung
der Gemüther, eine Auflockerung der Sitten verbunden sein werde. Wir
theilen diese Ansicht nicht, finden es aber thöricht, wenn man ihn deshalb
einen Ultraaristokraten und nichts weiter gescholten hat. Er "war kein Jun¬
ker, der nur um sich greifen und auf Kosten der Bauern und Kleinen das
Gebiet seiner Schlösser und Forsten fein und schön schließen und abrunden
Wollte." Er wollte nur, daß die Familien der Bauern ebenso im Besitz der


Grenzb"den III. 135L. " ,., , 44

„Stein ist einen Tag zum Mittagsessen auf dem Landhaus seines Bankiers
Metzler und Comp. Als sie eben beim Kaffeetische sitzen, fährt ein prächtiger
Wagen vor, und der bairische Feldmarschall Graf Wrede läßt sich melden.
Bei diesem Ton springt Stein auf, öffnet die Thür und ruft seinen Leuten
zu sogleich anzuspannen. Metzlers wollen ihn halten, aber er eilt hinaus,
sagend: Mit einem solchen verfluchten Räuber sitze ich nicht in demselben
Zimmer, Er läßt den Baier an sich vorübergehen und fährt fort." Die¬
ser Zorn gegen Wrede hatte seine Veranlassung darin, daß von allen deut¬
schen Truppen unter französischem Kommando in Norddeutschland die Baiern
und die Darmstädter durch Rohheit, Zuchtlosigkeit und Plünderungssucht den
schlechtesten Ruf hinter sich gelassen hatten. „Wrede ward wol mit Recht
beschuldigt, den Seinigen nicht nur vieles nachgesehen, sondern ihnen auch
das böseste Beispiel gegeben zu haben. Bei einem solchen Beispiel hatte ihn
nun Stein erfaßt und zwar recht tüchtig angefaßt. Wrede war in Schloß
Oels in Schlesien einquartirt, im Schlosse des Herzogs von Braunschweig.
Hier hatte er es ganz den gierig unverschämten französischen Räubern nach¬
gemacht, dem Soult. Massen« und ihresgleichen, welche das Silber, womit
sie von ihren Wirthen bedient wurden, nach der Tafel gewöhnlich einpacken
und mit ihrem Gepäck wandern ließen. So hatte Wrede in Oels bei seinem
Abzüge alles herzogliche Schloßsilber mit zu seinem Feldgepück legen lassen.
Der arme Schloßvoigt hatte dem nicht wehren gekonnt, hatte aber, damit
er selbst nicht für den Räuber und Dieb des herzoglichen Silberschatzes ge¬
halten würde, den Marschall um einen Schein gebeten, daß er in Kraft des
Kriegsbefehls es sich habe ausliefern lassen. Und wirklich hatte der Feld-
Marschall ihm den genau specificirten Schein bei seinem Abmarsch in ein¬
fältiger deutscher Ueberraschung unterschrieben. Dieses Papierchen ward nun
im Jahr 1813 Steins Händen übergeben und Wrede hatte den Werth des
Raubes im folgenden Jahre mit einer hübschen Summe Geld zurückzahlen
müssen."

Stein war für Erhaltung von Familienbesitz und zu dem Zweck für Er¬
haltung von größern und kleinern Gutscomplexcn, als welche allein sich ver¬
erben. Er sah hierin nicht blos eine Befestigung des Glücks, sondern noch
Mehr eine Befestigung der Tugend, und klagte, daß mit der allgemeinen
Wandelbarkeit des Grundbesitzes auch eine Wandelbarkeit und Verflüchtigung
der Gemüther, eine Auflockerung der Sitten verbunden sein werde. Wir
theilen diese Ansicht nicht, finden es aber thöricht, wenn man ihn deshalb
einen Ultraaristokraten und nichts weiter gescholten hat. Er „war kein Jun¬
ker, der nur um sich greifen und auf Kosten der Bauern und Kleinen das
Gebiet seiner Schlösser und Forsten fein und schön schließen und abrunden
Wollte." Er wollte nur, daß die Familien der Bauern ebenso im Besitz der


Grenzb»den III. 135L. " ,., , 44
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[0353] „Stein ist einen Tag zum Mittagsessen auf dem Landhaus seines Bankiers Metzler und Comp. Als sie eben beim Kaffeetische sitzen, fährt ein prächtiger Wagen vor, und der bairische Feldmarschall Graf Wrede läßt sich melden. Bei diesem Ton springt Stein auf, öffnet die Thür und ruft seinen Leuten zu sogleich anzuspannen. Metzlers wollen ihn halten, aber er eilt hinaus, sagend: Mit einem solchen verfluchten Räuber sitze ich nicht in demselben Zimmer, Er läßt den Baier an sich vorübergehen und fährt fort." Die¬ ser Zorn gegen Wrede hatte seine Veranlassung darin, daß von allen deut¬ schen Truppen unter französischem Kommando in Norddeutschland die Baiern und die Darmstädter durch Rohheit, Zuchtlosigkeit und Plünderungssucht den schlechtesten Ruf hinter sich gelassen hatten. „Wrede ward wol mit Recht beschuldigt, den Seinigen nicht nur vieles nachgesehen, sondern ihnen auch das böseste Beispiel gegeben zu haben. Bei einem solchen Beispiel hatte ihn nun Stein erfaßt und zwar recht tüchtig angefaßt. Wrede war in Schloß Oels in Schlesien einquartirt, im Schlosse des Herzogs von Braunschweig. Hier hatte er es ganz den gierig unverschämten französischen Räubern nach¬ gemacht, dem Soult. Massen« und ihresgleichen, welche das Silber, womit sie von ihren Wirthen bedient wurden, nach der Tafel gewöhnlich einpacken und mit ihrem Gepäck wandern ließen. So hatte Wrede in Oels bei seinem Abzüge alles herzogliche Schloßsilber mit zu seinem Feldgepück legen lassen. Der arme Schloßvoigt hatte dem nicht wehren gekonnt, hatte aber, damit er selbst nicht für den Räuber und Dieb des herzoglichen Silberschatzes ge¬ halten würde, den Marschall um einen Schein gebeten, daß er in Kraft des Kriegsbefehls es sich habe ausliefern lassen. Und wirklich hatte der Feld- Marschall ihm den genau specificirten Schein bei seinem Abmarsch in ein¬ fältiger deutscher Ueberraschung unterschrieben. Dieses Papierchen ward nun im Jahr 1813 Steins Händen übergeben und Wrede hatte den Werth des Raubes im folgenden Jahre mit einer hübschen Summe Geld zurückzahlen müssen." Stein war für Erhaltung von Familienbesitz und zu dem Zweck für Er¬ haltung von größern und kleinern Gutscomplexcn, als welche allein sich ver¬ erben. Er sah hierin nicht blos eine Befestigung des Glücks, sondern noch Mehr eine Befestigung der Tugend, und klagte, daß mit der allgemeinen Wandelbarkeit des Grundbesitzes auch eine Wandelbarkeit und Verflüchtigung der Gemüther, eine Auflockerung der Sitten verbunden sein werde. Wir theilen diese Ansicht nicht, finden es aber thöricht, wenn man ihn deshalb einen Ultraaristokraten und nichts weiter gescholten hat. Er „war kein Jun¬ ker, der nur um sich greifen und auf Kosten der Bauern und Kleinen das Gebiet seiner Schlösser und Forsten fein und schön schließen und abrunden Wollte." Er wollte nur, daß die Familien der Bauern ebenso im Besitz der Grenzb»den III. 135L. " ,., , 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/353>, abgerufen am 22.07.2024.