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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Wenn es Sterblichen vergönnt ist, sich Wege des Schicksals, der Vorsehung,
der Gottheit zu denken, so sind es gewiß nicht die armseligen Combinationen,
die eine menschliche Klugheit dafür ausgibt; sondern die Geschichte des Ver¬
gangenen sann sie lehren, wo sie uns Revolutionen aufbewahrt, die den allzu
sichern Frevler überraschten."

In derselben Zeit übersetzte er die Sakontala nach der englischen Bear¬
beitung, eins der ersten Bücher, welches die Freunde der deutschen Dichtkunst
auf jene exotische Pflanze der indischen Poesie aufmerksam machte, die später
bei uns einen so großen Boden gewinnen sollte.

Die politische Aufregung wurde immer größer, seitdem die Emigranten
ihren Hauptsiy in Mainz aufgeschlagen hatten. Die Aristokraten wurden immer
rücksichtsloser und dem entsprechend wuchs die Unzufriedenheit im Volk. Förster
suchte sich neutral zu halten. "Wie sollte es mir einfallen." schreibt er. "einen
Umsturz herbeiführen zu wollen, den ich selbst nicht wünsche, sondern vielmehr
für ein so großes Unglück in Deutschland halte, daß ich alles aufbiete, um
es abzuwenden." Noch 1792 erhielt er eine nicht unbedeutende Gehaltzulage
und gleichzeitig eröffneten sich ihm andere Aussichten. Er hatte für einen
berliner Buchhändler die Darstellung der Begebenheiten von 1790 übernommen.
Dies brachte ihn in Verbindung mit dem ehemaligen preußischen Minister
Herzberg, der ihm reichliche Materialien gab und ihm Hoffnungen für den
preußischen Dienst machte. Wir zweifeln nicht, sagt König mit Recht, daß
Forster einem solchen Rufe unter günstigen Bedingungen gefolgt wäre. Wir
haben ihn bisher durch äußere Bedrängnisse nur allzu geneigt gefunden, im
Gefühle der mit umfassenden Weltansichten verbundenen großen Fügsamkeit
seiner Arbeitskräfte jeden dargebotenen Weg zur Verbesserung seiner Lage zu
ergreifen. Ohne Freude ant Lehrerberuf war er Professor in Kassel geworden,
war bereit, Iacobis Zolladministrator zu werden, als Professor der Philosophie
nach Mitau zu gehen, das haager Cabinet zu übernehmen und in Wilna die
ärztliche Praxis zu ergreifen. Dabei herrschte, wie es scheint, über seinem
Leben ein ungünstiger Planet, so daß er sich mit seinem Kopf in alle Rich¬
tungen desselben finden, mit seinem Herzen aber in keiner von allen die volle
Zufriedenheit gewinnen konnte. Und zu diesem Zwiespalte kam nun noch ein
wunderbares Spiel des Verhängnisses mit jenen entzweiten Kräften, indem
dasselbe, wie eben jetzt wieder, ihm immer nur halbe Gelegenheiten, sich zu
helfen und zu retten, immer nur neckische Winke von entgegengesetzten Seiten
gab, die ihn nur verwirren, nicht aber mit sich fortreißen konnten, dessen er
doch öfter so sehr bedurft hätte.

Ein Zwischenspiel war der Besuch Goethes auf seinem Feldzug nach der
Champagne, wo im Anfang die Gegensätze sich sehr scharf aussprachen, bis
Goethe nach schnell abgelegter steifer Haltung den geselligen Ton milder, leichter


Wenn es Sterblichen vergönnt ist, sich Wege des Schicksals, der Vorsehung,
der Gottheit zu denken, so sind es gewiß nicht die armseligen Combinationen,
die eine menschliche Klugheit dafür ausgibt; sondern die Geschichte des Ver¬
gangenen sann sie lehren, wo sie uns Revolutionen aufbewahrt, die den allzu
sichern Frevler überraschten."

In derselben Zeit übersetzte er die Sakontala nach der englischen Bear¬
beitung, eins der ersten Bücher, welches die Freunde der deutschen Dichtkunst
auf jene exotische Pflanze der indischen Poesie aufmerksam machte, die später
bei uns einen so großen Boden gewinnen sollte.

Die politische Aufregung wurde immer größer, seitdem die Emigranten
ihren Hauptsiy in Mainz aufgeschlagen hatten. Die Aristokraten wurden immer
rücksichtsloser und dem entsprechend wuchs die Unzufriedenheit im Volk. Förster
suchte sich neutral zu halten. „Wie sollte es mir einfallen." schreibt er. „einen
Umsturz herbeiführen zu wollen, den ich selbst nicht wünsche, sondern vielmehr
für ein so großes Unglück in Deutschland halte, daß ich alles aufbiete, um
es abzuwenden." Noch 1792 erhielt er eine nicht unbedeutende Gehaltzulage
und gleichzeitig eröffneten sich ihm andere Aussichten. Er hatte für einen
berliner Buchhändler die Darstellung der Begebenheiten von 1790 übernommen.
Dies brachte ihn in Verbindung mit dem ehemaligen preußischen Minister
Herzberg, der ihm reichliche Materialien gab und ihm Hoffnungen für den
preußischen Dienst machte. Wir zweifeln nicht, sagt König mit Recht, daß
Forster einem solchen Rufe unter günstigen Bedingungen gefolgt wäre. Wir
haben ihn bisher durch äußere Bedrängnisse nur allzu geneigt gefunden, im
Gefühle der mit umfassenden Weltansichten verbundenen großen Fügsamkeit
seiner Arbeitskräfte jeden dargebotenen Weg zur Verbesserung seiner Lage zu
ergreifen. Ohne Freude ant Lehrerberuf war er Professor in Kassel geworden,
war bereit, Iacobis Zolladministrator zu werden, als Professor der Philosophie
nach Mitau zu gehen, das haager Cabinet zu übernehmen und in Wilna die
ärztliche Praxis zu ergreifen. Dabei herrschte, wie es scheint, über seinem
Leben ein ungünstiger Planet, so daß er sich mit seinem Kopf in alle Rich¬
tungen desselben finden, mit seinem Herzen aber in keiner von allen die volle
Zufriedenheit gewinnen konnte. Und zu diesem Zwiespalte kam nun noch ein
wunderbares Spiel des Verhängnisses mit jenen entzweiten Kräften, indem
dasselbe, wie eben jetzt wieder, ihm immer nur halbe Gelegenheiten, sich zu
helfen und zu retten, immer nur neckische Winke von entgegengesetzten Seiten
gab, die ihn nur verwirren, nicht aber mit sich fortreißen konnten, dessen er
doch öfter so sehr bedurft hätte.

Ein Zwischenspiel war der Besuch Goethes auf seinem Feldzug nach der
Champagne, wo im Anfang die Gegensätze sich sehr scharf aussprachen, bis
Goethe nach schnell abgelegter steifer Haltung den geselligen Ton milder, leichter


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[0032] Wenn es Sterblichen vergönnt ist, sich Wege des Schicksals, der Vorsehung, der Gottheit zu denken, so sind es gewiß nicht die armseligen Combinationen, die eine menschliche Klugheit dafür ausgibt; sondern die Geschichte des Ver¬ gangenen sann sie lehren, wo sie uns Revolutionen aufbewahrt, die den allzu sichern Frevler überraschten." In derselben Zeit übersetzte er die Sakontala nach der englischen Bear¬ beitung, eins der ersten Bücher, welches die Freunde der deutschen Dichtkunst auf jene exotische Pflanze der indischen Poesie aufmerksam machte, die später bei uns einen so großen Boden gewinnen sollte. Die politische Aufregung wurde immer größer, seitdem die Emigranten ihren Hauptsiy in Mainz aufgeschlagen hatten. Die Aristokraten wurden immer rücksichtsloser und dem entsprechend wuchs die Unzufriedenheit im Volk. Förster suchte sich neutral zu halten. „Wie sollte es mir einfallen." schreibt er. „einen Umsturz herbeiführen zu wollen, den ich selbst nicht wünsche, sondern vielmehr für ein so großes Unglück in Deutschland halte, daß ich alles aufbiete, um es abzuwenden." Noch 1792 erhielt er eine nicht unbedeutende Gehaltzulage und gleichzeitig eröffneten sich ihm andere Aussichten. Er hatte für einen berliner Buchhändler die Darstellung der Begebenheiten von 1790 übernommen. Dies brachte ihn in Verbindung mit dem ehemaligen preußischen Minister Herzberg, der ihm reichliche Materialien gab und ihm Hoffnungen für den preußischen Dienst machte. Wir zweifeln nicht, sagt König mit Recht, daß Forster einem solchen Rufe unter günstigen Bedingungen gefolgt wäre. Wir haben ihn bisher durch äußere Bedrängnisse nur allzu geneigt gefunden, im Gefühle der mit umfassenden Weltansichten verbundenen großen Fügsamkeit seiner Arbeitskräfte jeden dargebotenen Weg zur Verbesserung seiner Lage zu ergreifen. Ohne Freude ant Lehrerberuf war er Professor in Kassel geworden, war bereit, Iacobis Zolladministrator zu werden, als Professor der Philosophie nach Mitau zu gehen, das haager Cabinet zu übernehmen und in Wilna die ärztliche Praxis zu ergreifen. Dabei herrschte, wie es scheint, über seinem Leben ein ungünstiger Planet, so daß er sich mit seinem Kopf in alle Rich¬ tungen desselben finden, mit seinem Herzen aber in keiner von allen die volle Zufriedenheit gewinnen konnte. Und zu diesem Zwiespalte kam nun noch ein wunderbares Spiel des Verhängnisses mit jenen entzweiten Kräften, indem dasselbe, wie eben jetzt wieder, ihm immer nur halbe Gelegenheiten, sich zu helfen und zu retten, immer nur neckische Winke von entgegengesetzten Seiten gab, die ihn nur verwirren, nicht aber mit sich fortreißen konnten, dessen er doch öfter so sehr bedurft hätte. Ein Zwischenspiel war der Besuch Goethes auf seinem Feldzug nach der Champagne, wo im Anfang die Gegensätze sich sehr scharf aussprachen, bis Goethe nach schnell abgelegter steifer Haltung den geselligen Ton milder, leichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/32>, abgerufen am 22.07.2024.