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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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hat. Sein'gänzliches Nichtverstehn unsres Verhältnisses geht aus mehren
Stellen der Lucinde klar hervor; aber er versteht auch mein Verhältniß zu
ihm nicht und deutet meine Demuth und meine ehrerbietige Stellung nicht recht,
aus der ich mir gar vieles versage." "Ein großes Wort hat er doch über
mich gesagt, ich weiß nicht recht, woher es bei ihm gekommen ist, aber wahr
ist es nach allen Seiten: ich müsse aus allen Kräften darauf arbeiten, mich
innerlich frisch und lebendig zu erhalten. Niemand ist dem Verwelken und
dem Tode immerfort so nahe als ich, ich kann das nicht demonstriren, aber
es ist leider wahr."

Schon im Juni 1799 kam Fichte nach Berlin; bald darauf Jean Paul,
zu beiden wollte sich kein inneres Verhältniß herausstellen. Dagegen trat
jetzt in dem Schicksal Friedrich Schlegels eine Katastrophe ein. Sein Verhält¬
niß zu Dorothea Veit hatte um so mehr Anstoß gegeben, da man mehre Stellen
der Lucinde darauf bezog, und ein so gefälliger Ehemann Veit auch war, die
Zustände waren doch unhaltbar geworden. Dorothea verlangte eine Schei¬
dung, Veit wollte nur unter der Bedingung darein willigen, daß ihm die
Kinder blieben. So zog sich die Sache hin, bis Dorothea im Spätsommer
einer Einladung A. W. Schlegels und seiner Gemahlin Caroline folgend,
sich mit Fr. Schlegel nach Jena begab. Die Sache wurde dadurch noch
schlimmer, daß auch dieses Paar in Unfrieden lebte und schon damals auf
dem Punkt stand sich scheiden zu lassen. Die Sache veranlaßte ein sehr böses
Gerede, unter dem namentlich Schleiermacher und Henriette Herz zu leiden
hatten. "Das sind unglückliche Verwicklungen." sagt Schleiermacher, "die aus den
Widersprüchen in unsern Gesetzen und unsern Sitten entspringen, und denen
oft die besten Menschen nicht entgehn können." "Ich muß sagen, daß Friedrich
mir Freuden und Leiden gewährt hat, die mir niemand schaffen konnte, und
wenn es jemals geschehen sollte, daß die Verschiedenheiten unsrer Denkungsart,
die tief in unserm Innern liegen, sich mehr und mehr entwickelten und uns
klarer würden, als unsre ebenso große und merkwürdige Uebereinstimmung in
manchen andern Punkten, wenn dies jemals, wie es bei Schlegels angeborner
Heftigkeit wol möglich ist. unser Verständniß aus eine Zeitlang unterbräche
und störte, so werde ich ihn doch immer'herzlich lieben und den großen Ein¬
fluß, den er aus mich gehabt hat, dankbar erkennen."*) -- Auf einer kleinen



*) Anfang 1801: "Vor der Welt kann und muß ich ihn wol meinen Freund nennen,
denn wir sind einander reichlich, was man unter diesem Namen zu begreife" Pflegt. Große
Gleichheit in den Resultaten unsers Denkens, in wissenschaftlichen und historischen Ansichten,
beide nach dem Höchsten strebend, dabei eine brüderliche Vereinigung, lebendige Theilnahme
eines jeden an des andern Thun, kein Geheimniß im Leben, in den Handlungen und Verhält¬
nissen; aber die gänzliche Verschiedenheit unsrer Empfindungsweise. sein rasches, heftiges Wesen
und seine tiefe, nie zu vertilgende Anlage zum Argwohn, dies macht, daß ich ihn nicht mit
der vollen Wahrheit behandeln kann, nach der ich mich sehne, daß ich alles anders gegen ihn

hat. Sein'gänzliches Nichtverstehn unsres Verhältnisses geht aus mehren
Stellen der Lucinde klar hervor; aber er versteht auch mein Verhältniß zu
ihm nicht und deutet meine Demuth und meine ehrerbietige Stellung nicht recht,
aus der ich mir gar vieles versage." „Ein großes Wort hat er doch über
mich gesagt, ich weiß nicht recht, woher es bei ihm gekommen ist, aber wahr
ist es nach allen Seiten: ich müsse aus allen Kräften darauf arbeiten, mich
innerlich frisch und lebendig zu erhalten. Niemand ist dem Verwelken und
dem Tode immerfort so nahe als ich, ich kann das nicht demonstriren, aber
es ist leider wahr."

Schon im Juni 1799 kam Fichte nach Berlin; bald darauf Jean Paul,
zu beiden wollte sich kein inneres Verhältniß herausstellen. Dagegen trat
jetzt in dem Schicksal Friedrich Schlegels eine Katastrophe ein. Sein Verhält¬
niß zu Dorothea Veit hatte um so mehr Anstoß gegeben, da man mehre Stellen
der Lucinde darauf bezog, und ein so gefälliger Ehemann Veit auch war, die
Zustände waren doch unhaltbar geworden. Dorothea verlangte eine Schei¬
dung, Veit wollte nur unter der Bedingung darein willigen, daß ihm die
Kinder blieben. So zog sich die Sache hin, bis Dorothea im Spätsommer
einer Einladung A. W. Schlegels und seiner Gemahlin Caroline folgend,
sich mit Fr. Schlegel nach Jena begab. Die Sache wurde dadurch noch
schlimmer, daß auch dieses Paar in Unfrieden lebte und schon damals auf
dem Punkt stand sich scheiden zu lassen. Die Sache veranlaßte ein sehr böses
Gerede, unter dem namentlich Schleiermacher und Henriette Herz zu leiden
hatten. „Das sind unglückliche Verwicklungen." sagt Schleiermacher, „die aus den
Widersprüchen in unsern Gesetzen und unsern Sitten entspringen, und denen
oft die besten Menschen nicht entgehn können." „Ich muß sagen, daß Friedrich
mir Freuden und Leiden gewährt hat, die mir niemand schaffen konnte, und
wenn es jemals geschehen sollte, daß die Verschiedenheiten unsrer Denkungsart,
die tief in unserm Innern liegen, sich mehr und mehr entwickelten und uns
klarer würden, als unsre ebenso große und merkwürdige Uebereinstimmung in
manchen andern Punkten, wenn dies jemals, wie es bei Schlegels angeborner
Heftigkeit wol möglich ist. unser Verständniß aus eine Zeitlang unterbräche
und störte, so werde ich ihn doch immer'herzlich lieben und den großen Ein¬
fluß, den er aus mich gehabt hat, dankbar erkennen."*) — Auf einer kleinen



*) Anfang 1801: „Vor der Welt kann und muß ich ihn wol meinen Freund nennen,
denn wir sind einander reichlich, was man unter diesem Namen zu begreife» Pflegt. Große
Gleichheit in den Resultaten unsers Denkens, in wissenschaftlichen und historischen Ansichten,
beide nach dem Höchsten strebend, dabei eine brüderliche Vereinigung, lebendige Theilnahme
eines jeden an des andern Thun, kein Geheimniß im Leben, in den Handlungen und Verhält¬
nissen; aber die gänzliche Verschiedenheit unsrer Empfindungsweise. sein rasches, heftiges Wesen
und seine tiefe, nie zu vertilgende Anlage zum Argwohn, dies macht, daß ich ihn nicht mit
der vollen Wahrheit behandeln kann, nach der ich mich sehne, daß ich alles anders gegen ihn
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/311>, abgerufen am 23.07.2024.