Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

latinisirt worden; ursprünglich improvisirt, wurde sie in der sullanischen Zeit
in die Literatur eingeführt. Wechselnde Scenen knüpften sich hier an stehende
Charaktermasken, welche die Prototypen der modernen italienischen Charakter-
komödien sind. Man kennt aus Gozzi (dessen Turandot freilich in Schillers
Bearbeitung ein seltsames Zwittergeschöpf, halb sentimentales Rührstück, halb
Puppenspiel ist) und sonst diese Masken: die beiden Alten. Pantalon und Dot-
tore. jener der venetianische Kaufmann, dieser der bolognesische Rabulist, die
beiden bergamontischen Bedienten, den tölpischen und gefräßigen Arlechino
(auch Truffaldino) und den spitzbübischen Brighella u. s. w. Mit ihnen lassen
sich die Figuren der Atellane vergleichen, "die in Rom die Wonne der Käufer
von Nüssen und Kichererbsen wurden. Pappus, der geprellte dienstwillige
Alte, Bucco, der Pierrot, dem vor lauter Gedankenlosigkeit der Mund nie stille
steht, der Nimmersatte Fresser Maccus, der zur Freude des sympathetischen
Publicums heute wie damals seine Maccaroni verschlang" (Mommsen). end¬
lich Dossennus, der weise Mann, der dem Dottore entspricht und bald als
Schulmeister, bald als Wahrsager u. s. w. auftrat. Außer geringen Frag¬
menten lassen uns zahlreiche Titel von Atellanen noch eine Vorstellung von
den beliebtesten Gegenständen dieser Gattung gewinnen. Es waren ausnahms¬
weise auch mythologische wie "der untergeschobene Agamemnon" (man denke
an Holbergs Ulyß). Oefter wurden bestimmte Nationalitäten aus die Bühne
gebracht: "Die Campanen, die transalpinischen Gallier, die Soldaten aus
Pometia," deren provinzielle Sprache und Haltung ohne Zweifel großen Jubel
hervorrief. Den reichsten Stoff lieferte, wie es scheint, das Landleben: das
Zicklein, der kranke Eber, der gesunde Eber, die Kuh, der Hühnerhof, die
Winzer, die Holzhauer" u. s. w.; sodann die städtischen Gewerbe: Fischer,
Maler, Ausrufer "und vor allem die Walker, die in der römischen Narren-
Welt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen." Eine Anzahl
von Titeln zeigt die Hauptpersonen in allerlei komischen Situationen und Ver¬
wicklungen: die beiden Maccus, Maccus als Jungfer, als Soldat, als
Schenkwirt!), als Verbannter, die zwei Dossennus, Pappus als Landmann,
die Braut des Pappus, Bucco in der Gladiatorenschule u. s. w. "Daß der
Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten,
grobkörnige Bauernzoten. Kinder schreckende und gelegentlich fressende Ge¬
spenster gehörten hier einmal mit dazu und persönliche Anzüglichkeiten sogar
wie Nennung der Namen schlüpften nicht selten mit durch. Aber es fehlte
auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, schlagenden
Späßen, kernigen Sprüchen und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht
unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt und selbst in der Li¬
teratur." (Mommsen).

Auch der Mimus war ein lose zusammenhängendes Charakterbild aus


3? *

latinisirt worden; ursprünglich improvisirt, wurde sie in der sullanischen Zeit
in die Literatur eingeführt. Wechselnde Scenen knüpften sich hier an stehende
Charaktermasken, welche die Prototypen der modernen italienischen Charakter-
komödien sind. Man kennt aus Gozzi (dessen Turandot freilich in Schillers
Bearbeitung ein seltsames Zwittergeschöpf, halb sentimentales Rührstück, halb
Puppenspiel ist) und sonst diese Masken: die beiden Alten. Pantalon und Dot-
tore. jener der venetianische Kaufmann, dieser der bolognesische Rabulist, die
beiden bergamontischen Bedienten, den tölpischen und gefräßigen Arlechino
(auch Truffaldino) und den spitzbübischen Brighella u. s. w. Mit ihnen lassen
sich die Figuren der Atellane vergleichen, „die in Rom die Wonne der Käufer
von Nüssen und Kichererbsen wurden. Pappus, der geprellte dienstwillige
Alte, Bucco, der Pierrot, dem vor lauter Gedankenlosigkeit der Mund nie stille
steht, der Nimmersatte Fresser Maccus, der zur Freude des sympathetischen
Publicums heute wie damals seine Maccaroni verschlang" (Mommsen). end¬
lich Dossennus, der weise Mann, der dem Dottore entspricht und bald als
Schulmeister, bald als Wahrsager u. s. w. auftrat. Außer geringen Frag¬
menten lassen uns zahlreiche Titel von Atellanen noch eine Vorstellung von
den beliebtesten Gegenständen dieser Gattung gewinnen. Es waren ausnahms¬
weise auch mythologische wie „der untergeschobene Agamemnon" (man denke
an Holbergs Ulyß). Oefter wurden bestimmte Nationalitäten aus die Bühne
gebracht: „Die Campanen, die transalpinischen Gallier, die Soldaten aus
Pometia," deren provinzielle Sprache und Haltung ohne Zweifel großen Jubel
hervorrief. Den reichsten Stoff lieferte, wie es scheint, das Landleben: das
Zicklein, der kranke Eber, der gesunde Eber, die Kuh, der Hühnerhof, die
Winzer, die Holzhauer" u. s. w.; sodann die städtischen Gewerbe: Fischer,
Maler, Ausrufer „und vor allem die Walker, die in der römischen Narren-
Welt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen." Eine Anzahl
von Titeln zeigt die Hauptpersonen in allerlei komischen Situationen und Ver¬
wicklungen: die beiden Maccus, Maccus als Jungfer, als Soldat, als
Schenkwirt!), als Verbannter, die zwei Dossennus, Pappus als Landmann,
die Braut des Pappus, Bucco in der Gladiatorenschule u. s. w. „Daß der
Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten,
grobkörnige Bauernzoten. Kinder schreckende und gelegentlich fressende Ge¬
spenster gehörten hier einmal mit dazu und persönliche Anzüglichkeiten sogar
wie Nennung der Namen schlüpften nicht selten mit durch. Aber es fehlte
auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, schlagenden
Späßen, kernigen Sprüchen und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht
unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt und selbst in der Li¬
teratur." (Mommsen).

Auch der Mimus war ein lose zusammenhängendes Charakterbild aus


3? *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106110"/>
            <p xml:id="ID_824" prev="#ID_823"> latinisirt worden; ursprünglich improvisirt, wurde sie in der sullanischen Zeit<lb/>
in die Literatur eingeführt. Wechselnde Scenen knüpften sich hier an stehende<lb/>
Charaktermasken, welche die Prototypen der modernen italienischen Charakter-<lb/>
komödien sind. Man kennt aus Gozzi (dessen Turandot freilich in Schillers<lb/>
Bearbeitung ein seltsames Zwittergeschöpf, halb sentimentales Rührstück, halb<lb/>
Puppenspiel ist) und sonst diese Masken: die beiden Alten. Pantalon und Dot-<lb/>
tore. jener der venetianische Kaufmann, dieser der bolognesische Rabulist, die<lb/>
beiden bergamontischen Bedienten, den tölpischen und gefräßigen Arlechino<lb/>
(auch Truffaldino) und den spitzbübischen Brighella u. s. w. Mit ihnen lassen<lb/>
sich die Figuren der Atellane vergleichen, &#x201E;die in Rom die Wonne der Käufer<lb/>
von Nüssen und Kichererbsen wurden. Pappus, der geprellte dienstwillige<lb/>
Alte, Bucco, der Pierrot, dem vor lauter Gedankenlosigkeit der Mund nie stille<lb/>
steht, der Nimmersatte Fresser Maccus, der zur Freude des sympathetischen<lb/>
Publicums heute wie damals seine Maccaroni verschlang" (Mommsen). end¬<lb/>
lich Dossennus, der weise Mann, der dem Dottore entspricht und bald als<lb/>
Schulmeister, bald als Wahrsager u. s. w. auftrat. Außer geringen Frag¬<lb/>
menten lassen uns zahlreiche Titel von Atellanen noch eine Vorstellung von<lb/>
den beliebtesten Gegenständen dieser Gattung gewinnen. Es waren ausnahms¬<lb/>
weise auch mythologische wie &#x201E;der untergeschobene Agamemnon" (man denke<lb/>
an Holbergs Ulyß). Oefter wurden bestimmte Nationalitäten aus die Bühne<lb/>
gebracht: &#x201E;Die Campanen, die transalpinischen Gallier, die Soldaten aus<lb/>
Pometia," deren provinzielle Sprache und Haltung ohne Zweifel großen Jubel<lb/>
hervorrief. Den reichsten Stoff lieferte, wie es scheint, das Landleben: das<lb/>
Zicklein, der kranke Eber, der gesunde Eber, die Kuh, der Hühnerhof, die<lb/>
Winzer, die Holzhauer" u. s. w.; sodann die städtischen Gewerbe: Fischer,<lb/>
Maler, Ausrufer &#x201E;und vor allem die Walker, die in der römischen Narren-<lb/>
Welt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen." Eine Anzahl<lb/>
von Titeln zeigt die Hauptpersonen in allerlei komischen Situationen und Ver¬<lb/>
wicklungen: die beiden Maccus, Maccus als Jungfer, als Soldat, als<lb/>
Schenkwirt!), als Verbannter, die zwei Dossennus, Pappus als Landmann,<lb/>
die Braut des Pappus, Bucco in der Gladiatorenschule u. s. w. &#x201E;Daß der<lb/>
Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten,<lb/>
grobkörnige Bauernzoten. Kinder schreckende und gelegentlich fressende Ge¬<lb/>
spenster gehörten hier einmal mit dazu und persönliche Anzüglichkeiten sogar<lb/>
wie Nennung der Namen schlüpften nicht selten mit durch. Aber es fehlte<lb/>
auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, schlagenden<lb/>
Späßen, kernigen Sprüchen und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht<lb/>
unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt und selbst in der Li¬<lb/>
teratur." (Mommsen).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_825" next="#ID_826"> Auch der Mimus war ein lose zusammenhängendes Charakterbild aus</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 3? *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] latinisirt worden; ursprünglich improvisirt, wurde sie in der sullanischen Zeit in die Literatur eingeführt. Wechselnde Scenen knüpften sich hier an stehende Charaktermasken, welche die Prototypen der modernen italienischen Charakter- komödien sind. Man kennt aus Gozzi (dessen Turandot freilich in Schillers Bearbeitung ein seltsames Zwittergeschöpf, halb sentimentales Rührstück, halb Puppenspiel ist) und sonst diese Masken: die beiden Alten. Pantalon und Dot- tore. jener der venetianische Kaufmann, dieser der bolognesische Rabulist, die beiden bergamontischen Bedienten, den tölpischen und gefräßigen Arlechino (auch Truffaldino) und den spitzbübischen Brighella u. s. w. Mit ihnen lassen sich die Figuren der Atellane vergleichen, „die in Rom die Wonne der Käufer von Nüssen und Kichererbsen wurden. Pappus, der geprellte dienstwillige Alte, Bucco, der Pierrot, dem vor lauter Gedankenlosigkeit der Mund nie stille steht, der Nimmersatte Fresser Maccus, der zur Freude des sympathetischen Publicums heute wie damals seine Maccaroni verschlang" (Mommsen). end¬ lich Dossennus, der weise Mann, der dem Dottore entspricht und bald als Schulmeister, bald als Wahrsager u. s. w. auftrat. Außer geringen Frag¬ menten lassen uns zahlreiche Titel von Atellanen noch eine Vorstellung von den beliebtesten Gegenständen dieser Gattung gewinnen. Es waren ausnahms¬ weise auch mythologische wie „der untergeschobene Agamemnon" (man denke an Holbergs Ulyß). Oefter wurden bestimmte Nationalitäten aus die Bühne gebracht: „Die Campanen, die transalpinischen Gallier, die Soldaten aus Pometia," deren provinzielle Sprache und Haltung ohne Zweifel großen Jubel hervorrief. Den reichsten Stoff lieferte, wie es scheint, das Landleben: das Zicklein, der kranke Eber, der gesunde Eber, die Kuh, der Hühnerhof, die Winzer, die Holzhauer" u. s. w.; sodann die städtischen Gewerbe: Fischer, Maler, Ausrufer „und vor allem die Walker, die in der römischen Narren- Welt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen." Eine Anzahl von Titeln zeigt die Hauptpersonen in allerlei komischen Situationen und Ver¬ wicklungen: die beiden Maccus, Maccus als Jungfer, als Soldat, als Schenkwirt!), als Verbannter, die zwei Dossennus, Pappus als Landmann, die Braut des Pappus, Bucco in der Gladiatorenschule u. s. w. „Daß der Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkörnige Bauernzoten. Kinder schreckende und gelegentlich fressende Ge¬ spenster gehörten hier einmal mit dazu und persönliche Anzüglichkeiten sogar wie Nennung der Namen schlüpften nicht selten mit durch. Aber es fehlte auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfällen, schlagenden Späßen, kernigen Sprüchen und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Bühnenleben der Hauptstadt und selbst in der Li¬ teratur." (Mommsen). Auch der Mimus war ein lose zusammenhängendes Charakterbild aus 3? *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/299>, abgerufen am 22.07.2024.