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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Musik ist nur eine Stimme, auch die enthusiastischen Vertheidiger des Panto-
mimus gaben sie Preis, sie war weichlich, würdelos und unzüchtig, nur auf
gemeinen Ohrenkitzel berechnet, und man glaubte (wie schon in einem
frühern Aufsätze bemerkt ist), den Verfall der Musik überhaupt von der Herr¬
schaft des Pantomimus auf der Bühne herleiten zu müssen.

Auffallend ist es, daß bei einem so ganz auf Sinnenreiz berechneten
Schauspiel niemals von der Pracht der Scenerie die Rede ist, weder die Geg¬
ner noch die Freunde der Pantomimen erwähnen sie. Man muß dies wol
daraus erklären, daß die Librettos nach Tragödien bearbeitet oder doch in
einer entsprechender Form gehalten wurden. Da nun in der antiken Tragödie
die Einheit des Orts in der Regel festgehalten zu werden pflegte, trat auch
im Pantomimus kein Coulissenwechsel ein; die Veranlassung zu sonstiger Pracht
der scenischen Ausstattung aber wurde durch die Concentration des Schauspiels
aus einen einzigen Darsteller mindestens sehr eingeschränkt.

Die Pantomimen, die das PubUcum Roms entzückten, waren in der
Regel Griechen, Asiaten und Aegypter, dem Stande nach Sklaven oder Frei¬
gelassene, und ihr Gewerbe wie das aller übrigen Bühnenkünstler nach dem
Gesetz ein ehrloses. Das Recht der Magistrate, die Schauspieler jeder Zeit
und an jedem Ort körperlich zu züchtigen, beschränkte August zwar auf die
Zeit des Schauspiels, doch ließ er selbst den oben genannten Hylas auf eine
Klage des Prätors in dem Atrium seines Hauses vor Aller Augen peitschen.
Mit dieser durch das Gesetz verhängten Ehrlosigkeit stand die Stellung, die
die Pantomimen in der That einnahmen, in grellem Widerspruch. Die Lei¬
denschaft des Publicums sür das Schauspiel machte sie zu Personen von Wich¬
tigkeit, denen gegenüber selbst die Kaiser Rücksichten nahmen. Schon früher
ist jene angebliche Aeußerung des P^lades gegen August angeführt: "Es ist
dein Vortheil, Cäsar, wenn sich das Volk mit uns beschäftigt." Die Partei-
ungen, in die das Publicum durch die Rivalität beliebter Tänzer gespalten
wurde, reichten bis in sehr hohe Kreise hinaus. Im Anfang von Tibers Re¬
gierung führte der Streit zwischen den Anhängern verschiedener Künstler im
Theater selbst zu einem blutigen Tumult, in dem mehre Zuschauer und Sol¬
daten von der Wache erschlagen wurden; es erfolgte zur Verhütung solchen
Unfugs ein strenger Senatsbeschluß, aber die leidenschaftliche Gunst, die Ti-
berius Sohn, Drusus, den Tänzern zu Theil werden ließ, bewirkte, daß die
erlassenen Verordnungen bald übertreten wurden. Nero, der am Anfange
seiner Negierung die rivalisirenden Pantomimen sammt ihren Anhängern hatte
verbannen lassen, nahm später an den Tumulten im Theater sogar als An¬
führer Theil und als bei einem Handgemenge Steine und zerbrochene Bänke
als Wurfwaffen gebraucht wurden, warf er selbst mit und verwundete einen
Prätor am Kopf. Zu diesem leidenschaftlichen Interesse, das die Pantomimen


-Grenzboten III. 1858. 37

Musik ist nur eine Stimme, auch die enthusiastischen Vertheidiger des Panto-
mimus gaben sie Preis, sie war weichlich, würdelos und unzüchtig, nur auf
gemeinen Ohrenkitzel berechnet, und man glaubte (wie schon in einem
frühern Aufsätze bemerkt ist), den Verfall der Musik überhaupt von der Herr¬
schaft des Pantomimus auf der Bühne herleiten zu müssen.

Auffallend ist es, daß bei einem so ganz auf Sinnenreiz berechneten
Schauspiel niemals von der Pracht der Scenerie die Rede ist, weder die Geg¬
ner noch die Freunde der Pantomimen erwähnen sie. Man muß dies wol
daraus erklären, daß die Librettos nach Tragödien bearbeitet oder doch in
einer entsprechender Form gehalten wurden. Da nun in der antiken Tragödie
die Einheit des Orts in der Regel festgehalten zu werden pflegte, trat auch
im Pantomimus kein Coulissenwechsel ein; die Veranlassung zu sonstiger Pracht
der scenischen Ausstattung aber wurde durch die Concentration des Schauspiels
aus einen einzigen Darsteller mindestens sehr eingeschränkt.

Die Pantomimen, die das PubUcum Roms entzückten, waren in der
Regel Griechen, Asiaten und Aegypter, dem Stande nach Sklaven oder Frei¬
gelassene, und ihr Gewerbe wie das aller übrigen Bühnenkünstler nach dem
Gesetz ein ehrloses. Das Recht der Magistrate, die Schauspieler jeder Zeit
und an jedem Ort körperlich zu züchtigen, beschränkte August zwar auf die
Zeit des Schauspiels, doch ließ er selbst den oben genannten Hylas auf eine
Klage des Prätors in dem Atrium seines Hauses vor Aller Augen peitschen.
Mit dieser durch das Gesetz verhängten Ehrlosigkeit stand die Stellung, die
die Pantomimen in der That einnahmen, in grellem Widerspruch. Die Lei¬
denschaft des Publicums sür das Schauspiel machte sie zu Personen von Wich¬
tigkeit, denen gegenüber selbst die Kaiser Rücksichten nahmen. Schon früher
ist jene angebliche Aeußerung des P^lades gegen August angeführt: „Es ist
dein Vortheil, Cäsar, wenn sich das Volk mit uns beschäftigt." Die Partei-
ungen, in die das Publicum durch die Rivalität beliebter Tänzer gespalten
wurde, reichten bis in sehr hohe Kreise hinaus. Im Anfang von Tibers Re¬
gierung führte der Streit zwischen den Anhängern verschiedener Künstler im
Theater selbst zu einem blutigen Tumult, in dem mehre Zuschauer und Sol¬
daten von der Wache erschlagen wurden; es erfolgte zur Verhütung solchen
Unfugs ein strenger Senatsbeschluß, aber die leidenschaftliche Gunst, die Ti-
berius Sohn, Drusus, den Tänzern zu Theil werden ließ, bewirkte, daß die
erlassenen Verordnungen bald übertreten wurden. Nero, der am Anfange
seiner Negierung die rivalisirenden Pantomimen sammt ihren Anhängern hatte
verbannen lassen, nahm später an den Tumulten im Theater sogar als An¬
führer Theil und als bei einem Handgemenge Steine und zerbrochene Bänke
als Wurfwaffen gebraucht wurden, warf er selbst mit und verwundete einen
Prätor am Kopf. Zu diesem leidenschaftlichen Interesse, das die Pantomimen


-Grenzboten III. 1858. 37
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[0297] Musik ist nur eine Stimme, auch die enthusiastischen Vertheidiger des Panto- mimus gaben sie Preis, sie war weichlich, würdelos und unzüchtig, nur auf gemeinen Ohrenkitzel berechnet, und man glaubte (wie schon in einem frühern Aufsätze bemerkt ist), den Verfall der Musik überhaupt von der Herr¬ schaft des Pantomimus auf der Bühne herleiten zu müssen. Auffallend ist es, daß bei einem so ganz auf Sinnenreiz berechneten Schauspiel niemals von der Pracht der Scenerie die Rede ist, weder die Geg¬ ner noch die Freunde der Pantomimen erwähnen sie. Man muß dies wol daraus erklären, daß die Librettos nach Tragödien bearbeitet oder doch in einer entsprechender Form gehalten wurden. Da nun in der antiken Tragödie die Einheit des Orts in der Regel festgehalten zu werden pflegte, trat auch im Pantomimus kein Coulissenwechsel ein; die Veranlassung zu sonstiger Pracht der scenischen Ausstattung aber wurde durch die Concentration des Schauspiels aus einen einzigen Darsteller mindestens sehr eingeschränkt. Die Pantomimen, die das PubUcum Roms entzückten, waren in der Regel Griechen, Asiaten und Aegypter, dem Stande nach Sklaven oder Frei¬ gelassene, und ihr Gewerbe wie das aller übrigen Bühnenkünstler nach dem Gesetz ein ehrloses. Das Recht der Magistrate, die Schauspieler jeder Zeit und an jedem Ort körperlich zu züchtigen, beschränkte August zwar auf die Zeit des Schauspiels, doch ließ er selbst den oben genannten Hylas auf eine Klage des Prätors in dem Atrium seines Hauses vor Aller Augen peitschen. Mit dieser durch das Gesetz verhängten Ehrlosigkeit stand die Stellung, die die Pantomimen in der That einnahmen, in grellem Widerspruch. Die Lei¬ denschaft des Publicums sür das Schauspiel machte sie zu Personen von Wich¬ tigkeit, denen gegenüber selbst die Kaiser Rücksichten nahmen. Schon früher ist jene angebliche Aeußerung des P^lades gegen August angeführt: „Es ist dein Vortheil, Cäsar, wenn sich das Volk mit uns beschäftigt." Die Partei- ungen, in die das Publicum durch die Rivalität beliebter Tänzer gespalten wurde, reichten bis in sehr hohe Kreise hinaus. Im Anfang von Tibers Re¬ gierung führte der Streit zwischen den Anhängern verschiedener Künstler im Theater selbst zu einem blutigen Tumult, in dem mehre Zuschauer und Sol¬ daten von der Wache erschlagen wurden; es erfolgte zur Verhütung solchen Unfugs ein strenger Senatsbeschluß, aber die leidenschaftliche Gunst, die Ti- berius Sohn, Drusus, den Tänzern zu Theil werden ließ, bewirkte, daß die erlassenen Verordnungen bald übertreten wurden. Nero, der am Anfange seiner Negierung die rivalisirenden Pantomimen sammt ihren Anhängern hatte verbannen lassen, nahm später an den Tumulten im Theater sogar als An¬ führer Theil und als bei einem Handgemenge Steine und zerbrochene Bänke als Wurfwaffen gebraucht wurden, warf er selbst mit und verwundete einen Prätor am Kopf. Zu diesem leidenschaftlichen Interesse, das die Pantomimen -Grenzboten III. 1858. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/297>, abgerufen am 23.07.2024.