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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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eiden die Blicke auf sich. Es bedeckt der Mythe nach die Stelle, wo Athene,
sich zugleich mit Poseidon um die Herrschaft über die Stadt bewerbend, die
Athener mit Erschaffung des Oelbaums beschenkte, während der Meeresgott
mit dem Dreizack eine Salzquelle öffnete. Die Göttin siegte, aber auch ihr
Nebenbuhler erhielt in dem Haus des Erechtheus einen Altar. Ein anderer
Theil des Tempels war dem Kekrops und seiner Tochter Pandrosos geweiht.
Ferner hatte der Zeus Hypatos hier eine Opferstätte. Endlich hat auch das
Christenthum, weiches in das alte HeUigthum eine byzantinische Kirche hin¬
einschob, auf die jetzige Gestalt des Tempels eingewirkt. Die Türken wußten
aus der Kirche nichts Besseres zu machen, als einen Harem. Auch die Grie¬
chen benutzten das Gebäude während der Belagerung der Akropolis durch
Reschid Pascha als Frauenwohnung. In dieser Eigenschaft zerstörte es 1827
eine Bombe, wobei eine große Anzahl von vornehmen Griechinnen von den
einstürzenden Mauern erschlagen wurde. Im Jahre 1838 stellte man den Bau
so gut man es vermochte wieder zusammen.

Das Hauptgebäude ist ein längliches Viereck, dessen schmale Seiten nach
Osten und Westen gerichtet sind. Am westlichen Ende haben die Langseiten
einen größeren nach Norden, und einen kleineren nach Süden gerichteten Vor¬
bau. Unter dem Dache bemerkt man Reste eines Frieses aus dunkelgrauen
Marmor. Im Osten beginnt der Tempel mit einer Vorhalle, nach welcher
drei Stufen führen und von deren sechs schönen jonischen Säulen gegenwärtig
noch fünf stehen. Im Innern des Heiligthums hat der Umbau desselben in
eine Kirche alles Ursprüngliche so weit verändert, daß man nur noch den
Gang erkennt, durch den man längs der nördlichen Mauer in eine Art Krypte
gelangte, in deren Steinboden wir vier mit Erde angefüllte Löcher bemerken
-- die Spuren des Dreizacks Poseidons, an denen die Alten bei Südwind
den Schall der Meereswogen vernahmen. Ueber diesem unterirdischen Raume
erhebt sich der genannte nördliche Vorbau, mit seiner graziösen Leichtigkeit
und seinen geschmackvollen Verzierungen ein Meisterwerk der Baukunst. Vier
ionische Säulen, höher und verhältnißmäßig stärker als die der Vorhalle im
Osten, treten nach Norden vor. je eine trägt das Dach aus der Ost- und West¬
seite. Wunderbar anmuthig ragen sie über den umherliegenden Trümmern in
den blauen Himmel empor, und trotz des Reichthums an Schmuck, der ihre
Capitäle, ihre Gürtelbünder. ihre Basen, die Gebälkstücke und die Decke
Ziere, beleidigt nirgend Ueberladung das Auge.

Aus diesem halb über, halb unter der Erde befindlichen Haus des Erech¬
theus trat man im Alterthum durch die noch jetzt vorhandene Prachtthüre,
die aus der großen Nordhalle in das Innere des Gebäudes führt, in das
Heiligthum der Athene Polias, in dem sich eine Cisterne aus späterer Zeit be¬
findet, und in deren westlicher Wand man eine zweite Thür gewahrt, durch


Grenzboten III. 1658. 35

eiden die Blicke auf sich. Es bedeckt der Mythe nach die Stelle, wo Athene,
sich zugleich mit Poseidon um die Herrschaft über die Stadt bewerbend, die
Athener mit Erschaffung des Oelbaums beschenkte, während der Meeresgott
mit dem Dreizack eine Salzquelle öffnete. Die Göttin siegte, aber auch ihr
Nebenbuhler erhielt in dem Haus des Erechtheus einen Altar. Ein anderer
Theil des Tempels war dem Kekrops und seiner Tochter Pandrosos geweiht.
Ferner hatte der Zeus Hypatos hier eine Opferstätte. Endlich hat auch das
Christenthum, weiches in das alte HeUigthum eine byzantinische Kirche hin¬
einschob, auf die jetzige Gestalt des Tempels eingewirkt. Die Türken wußten
aus der Kirche nichts Besseres zu machen, als einen Harem. Auch die Grie¬
chen benutzten das Gebäude während der Belagerung der Akropolis durch
Reschid Pascha als Frauenwohnung. In dieser Eigenschaft zerstörte es 1827
eine Bombe, wobei eine große Anzahl von vornehmen Griechinnen von den
einstürzenden Mauern erschlagen wurde. Im Jahre 1838 stellte man den Bau
so gut man es vermochte wieder zusammen.

Das Hauptgebäude ist ein längliches Viereck, dessen schmale Seiten nach
Osten und Westen gerichtet sind. Am westlichen Ende haben die Langseiten
einen größeren nach Norden, und einen kleineren nach Süden gerichteten Vor¬
bau. Unter dem Dache bemerkt man Reste eines Frieses aus dunkelgrauen
Marmor. Im Osten beginnt der Tempel mit einer Vorhalle, nach welcher
drei Stufen führen und von deren sechs schönen jonischen Säulen gegenwärtig
noch fünf stehen. Im Innern des Heiligthums hat der Umbau desselben in
eine Kirche alles Ursprüngliche so weit verändert, daß man nur noch den
Gang erkennt, durch den man längs der nördlichen Mauer in eine Art Krypte
gelangte, in deren Steinboden wir vier mit Erde angefüllte Löcher bemerken
— die Spuren des Dreizacks Poseidons, an denen die Alten bei Südwind
den Schall der Meereswogen vernahmen. Ueber diesem unterirdischen Raume
erhebt sich der genannte nördliche Vorbau, mit seiner graziösen Leichtigkeit
und seinen geschmackvollen Verzierungen ein Meisterwerk der Baukunst. Vier
ionische Säulen, höher und verhältnißmäßig stärker als die der Vorhalle im
Osten, treten nach Norden vor. je eine trägt das Dach aus der Ost- und West¬
seite. Wunderbar anmuthig ragen sie über den umherliegenden Trümmern in
den blauen Himmel empor, und trotz des Reichthums an Schmuck, der ihre
Capitäle, ihre Gürtelbünder. ihre Basen, die Gebälkstücke und die Decke
Ziere, beleidigt nirgend Ueberladung das Auge.

Aus diesem halb über, halb unter der Erde befindlichen Haus des Erech¬
theus trat man im Alterthum durch die noch jetzt vorhandene Prachtthüre,
die aus der großen Nordhalle in das Innere des Gebäudes führt, in das
Heiligthum der Athene Polias, in dem sich eine Cisterne aus späterer Zeit be¬
findet, und in deren westlicher Wand man eine zweite Thür gewahrt, durch


Grenzboten III. 1658. 35
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/281>, abgerufen am 23.07.2024.