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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Aeußerung machten. Belgien, ein als neutral erklärter Staat, sei zu solchen
Rüstungen (im Interesse der eignen Vertheidigung!) nicht "berechtigt", nach¬
dem so von allen Seiten die kaiserliche Friedensliebe kräftige Unterstützung
erhielt, kam sie denn endlich in jenem Rundschreiben zu ihrem natürlichen
Ausbruch und Europa kann wieder ruhig einschlafen.

Kann es? Will es? Nein. In ganz Europa ist jetzt der Gedanke des
französischen Kaiserthums. "offene Fragen" wo möglich nicht zu schließen, und
wenn erforderlich, selbst solche zu schaffen, ein offenes Geheimniß. Jener
unwandelbare kaiserliche Gedanke hat sich nirgend deutlicher als bei den jüngsten
montenegrinischen Händeln gezeigt. Man muß das Christenthum schon zu
einem bloßen Namen, zu einer Karte im diplomatischen Spiele herabgewürdigt
haben, um für die Abällinos der schwarzen Berge, weil sie sich Christen
nennen, mehr Sympathien zu empfinden, als für die türkischen Bewohner
der umliegenden Ebenen, deren Vorräthe und Vieh sie mit gewappneter Hand
abholen und je nach Gelegenheit einige Dutzend türkischer Köpfe dazu. Und
was hat Frankreich dabei zu gewinnen, wenn dieser idyllische Zustand aufrecht
erhalten und nach Kräften erweitert wird? Der schließliche Vortheil würde
jedenfalls doch auf russische Seite fallen, dem ein Stamm- und, wie man es
nennt, glaubensverwandter Bundesgenosse in unmittelbarer Nähe eines der
schönsten Häfen am mittelländischen Meere allerdings nur genehm sein kann.
Aber kaum will die Türkei sich ihre eignen unbestrittenen Grenzen wahren, so
macht man in Paris dazu eine sehr bedenkliche Miene, und kaum ist es den
Montenegrinern gelungen, durch verrätherischen Ueberfall ein türkisches Corps
zu sprengen und sich in den Besitz seiner Vorräthe zu setzen, so erklärt man
in Paris jeden Versuch einer Züchtigung durch die Türken als ein nicht zu
duldendes Attentat gegen Schützlinge der französischen Regierung. Oestreich,
welches das "ritterliche Heldenvolk der Montenegriner" aus größerer Nähe kennt,
leistet nun den Türken allen möglichen Vorschub, damit sie die schwarzen
Berge mindestens cerniren können. Das ist nicht in der Ordnung, ruft man
in Paris, was sollen die braven Montenegriner thun, wenn sie im Lande
bleiben und sich redlich nähren müssen? Also wird als Gegendemonstration
eine französische Flotte flugs nach Cattaro geschickt, an deren Flaggen die
Bergbewohner erkennen mögen, daß der Helfer in der Noth nahe sei. Oest¬
reich macht darauf der französischen Regierung bemerklich, daß Cattaro ein
Kriegshafen, und dessen Commandant verpflichtet sei, dort eine fremde Kriegs¬
flotte nicht zu dulden; der Hafen wird wieder verlassen, aber die Flotte bleibt in
der Nähe. Endlich wird die Welt durch die Nachricht überrascht, ein russisches
Kriegsschiff habe sich derselben angeschlossen, um sich erforderlichen Falls unter die
Befehle des französischen Admirals zu stellen; bei näherer Erkundigung ergibt sich
aber, daß der Russe keine weitere Absicht hat, als etwaige Vorkommenheiten sich


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Grenzboten III. 18S8. 14

Aeußerung machten. Belgien, ein als neutral erklärter Staat, sei zu solchen
Rüstungen (im Interesse der eignen Vertheidigung!) nicht „berechtigt", nach¬
dem so von allen Seiten die kaiserliche Friedensliebe kräftige Unterstützung
erhielt, kam sie denn endlich in jenem Rundschreiben zu ihrem natürlichen
Ausbruch und Europa kann wieder ruhig einschlafen.

Kann es? Will es? Nein. In ganz Europa ist jetzt der Gedanke des
französischen Kaiserthums. „offene Fragen" wo möglich nicht zu schließen, und
wenn erforderlich, selbst solche zu schaffen, ein offenes Geheimniß. Jener
unwandelbare kaiserliche Gedanke hat sich nirgend deutlicher als bei den jüngsten
montenegrinischen Händeln gezeigt. Man muß das Christenthum schon zu
einem bloßen Namen, zu einer Karte im diplomatischen Spiele herabgewürdigt
haben, um für die Abällinos der schwarzen Berge, weil sie sich Christen
nennen, mehr Sympathien zu empfinden, als für die türkischen Bewohner
der umliegenden Ebenen, deren Vorräthe und Vieh sie mit gewappneter Hand
abholen und je nach Gelegenheit einige Dutzend türkischer Köpfe dazu. Und
was hat Frankreich dabei zu gewinnen, wenn dieser idyllische Zustand aufrecht
erhalten und nach Kräften erweitert wird? Der schließliche Vortheil würde
jedenfalls doch auf russische Seite fallen, dem ein Stamm- und, wie man es
nennt, glaubensverwandter Bundesgenosse in unmittelbarer Nähe eines der
schönsten Häfen am mittelländischen Meere allerdings nur genehm sein kann.
Aber kaum will die Türkei sich ihre eignen unbestrittenen Grenzen wahren, so
macht man in Paris dazu eine sehr bedenkliche Miene, und kaum ist es den
Montenegrinern gelungen, durch verrätherischen Ueberfall ein türkisches Corps
zu sprengen und sich in den Besitz seiner Vorräthe zu setzen, so erklärt man
in Paris jeden Versuch einer Züchtigung durch die Türken als ein nicht zu
duldendes Attentat gegen Schützlinge der französischen Regierung. Oestreich,
welches das „ritterliche Heldenvolk der Montenegriner" aus größerer Nähe kennt,
leistet nun den Türken allen möglichen Vorschub, damit sie die schwarzen
Berge mindestens cerniren können. Das ist nicht in der Ordnung, ruft man
in Paris, was sollen die braven Montenegriner thun, wenn sie im Lande
bleiben und sich redlich nähren müssen? Also wird als Gegendemonstration
eine französische Flotte flugs nach Cattaro geschickt, an deren Flaggen die
Bergbewohner erkennen mögen, daß der Helfer in der Noth nahe sei. Oest¬
reich macht darauf der französischen Regierung bemerklich, daß Cattaro ein
Kriegshafen, und dessen Commandant verpflichtet sei, dort eine fremde Kriegs¬
flotte nicht zu dulden; der Hafen wird wieder verlassen, aber die Flotte bleibt in
der Nähe. Endlich wird die Welt durch die Nachricht überrascht, ein russisches
Kriegsschiff habe sich derselben angeschlossen, um sich erforderlichen Falls unter die
Befehle des französischen Admirals zu stellen; bei näherer Erkundigung ergibt sich
aber, daß der Russe keine weitere Absicht hat, als etwaige Vorkommenheiten sich


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[0113] Aeußerung machten. Belgien, ein als neutral erklärter Staat, sei zu solchen Rüstungen (im Interesse der eignen Vertheidigung!) nicht „berechtigt", nach¬ dem so von allen Seiten die kaiserliche Friedensliebe kräftige Unterstützung erhielt, kam sie denn endlich in jenem Rundschreiben zu ihrem natürlichen Ausbruch und Europa kann wieder ruhig einschlafen. Kann es? Will es? Nein. In ganz Europa ist jetzt der Gedanke des französischen Kaiserthums. „offene Fragen" wo möglich nicht zu schließen, und wenn erforderlich, selbst solche zu schaffen, ein offenes Geheimniß. Jener unwandelbare kaiserliche Gedanke hat sich nirgend deutlicher als bei den jüngsten montenegrinischen Händeln gezeigt. Man muß das Christenthum schon zu einem bloßen Namen, zu einer Karte im diplomatischen Spiele herabgewürdigt haben, um für die Abällinos der schwarzen Berge, weil sie sich Christen nennen, mehr Sympathien zu empfinden, als für die türkischen Bewohner der umliegenden Ebenen, deren Vorräthe und Vieh sie mit gewappneter Hand abholen und je nach Gelegenheit einige Dutzend türkischer Köpfe dazu. Und was hat Frankreich dabei zu gewinnen, wenn dieser idyllische Zustand aufrecht erhalten und nach Kräften erweitert wird? Der schließliche Vortheil würde jedenfalls doch auf russische Seite fallen, dem ein Stamm- und, wie man es nennt, glaubensverwandter Bundesgenosse in unmittelbarer Nähe eines der schönsten Häfen am mittelländischen Meere allerdings nur genehm sein kann. Aber kaum will die Türkei sich ihre eignen unbestrittenen Grenzen wahren, so macht man in Paris dazu eine sehr bedenkliche Miene, und kaum ist es den Montenegrinern gelungen, durch verrätherischen Ueberfall ein türkisches Corps zu sprengen und sich in den Besitz seiner Vorräthe zu setzen, so erklärt man in Paris jeden Versuch einer Züchtigung durch die Türken als ein nicht zu duldendes Attentat gegen Schützlinge der französischen Regierung. Oestreich, welches das „ritterliche Heldenvolk der Montenegriner" aus größerer Nähe kennt, leistet nun den Türken allen möglichen Vorschub, damit sie die schwarzen Berge mindestens cerniren können. Das ist nicht in der Ordnung, ruft man in Paris, was sollen die braven Montenegriner thun, wenn sie im Lande bleiben und sich redlich nähren müssen? Also wird als Gegendemonstration eine französische Flotte flugs nach Cattaro geschickt, an deren Flaggen die Bergbewohner erkennen mögen, daß der Helfer in der Noth nahe sei. Oest¬ reich macht darauf der französischen Regierung bemerklich, daß Cattaro ein Kriegshafen, und dessen Commandant verpflichtet sei, dort eine fremde Kriegs¬ flotte nicht zu dulden; der Hafen wird wieder verlassen, aber die Flotte bleibt in der Nähe. Endlich wird die Welt durch die Nachricht überrascht, ein russisches Kriegsschiff habe sich derselben angeschlossen, um sich erforderlichen Falls unter die Befehle des französischen Admirals zu stellen; bei näherer Erkundigung ergibt sich aber, daß der Russe keine weitere Absicht hat, als etwaige Vorkommenheiten sich 5' Grenzboten III. 18S8. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/113>, abgerufen am 22.07.2024.