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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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war nicht kleiner. - Die übrige" Eapitel enthalten die belgische Revolution
1830--3t. die Sommertage und Winterquartiere in Nordbrabant bis nach
dem Friedensschluß zwischen Holland und Belgien 1831-3". den Dienst bei
der niederländischen Cavalerie 1839--14 und die Sendung nach Ostindien
1844--47. Das Geschick Gagerns. durch kleine, scheinbar unbedeutende Feder¬
striche einen Charakter und eine Situation scharf zu umreißen, ist aus deu
Tagebüchern des dritten Bandes bereits bekannt. Insofern sind diese^ spora¬
dischen Mittheilungen auch für den künftigen Historiker von großer Wichtig¬
keit; fast ebenso wichtig als Röderers Tagebücher für die Geschichte des Con-
sulats. Daneben finden sich noch gehaltvolle Züge, die das schöne Bild der
edlen und männlichen Persönlichkeit, das wir ans dem dritten Bande ent¬
nommen haben, erfreulich ergänzen; an dem Eindruck des Ganzen wird da¬
durch nichts verändert. Mit Erhebung, aber freilich auch mit Wehmuth über
den unersetzlichen Verlust, legen wir das Buch ans der Hand.

Was ist es nun. das diesen echten Freund des deutschen Vaterlandes,
der Preußen nichts verdankte, und dem das Berlinerthum gewiß ebenso zu¬
wider war. als es jedem Gebildete" zuwider ist, was ist es, das seine Gleich¬
gesinnten. das Philosophen. Historiker. Staatsmänner bestimmt hat. den
Glauben an die Fortdauer Deutschlands an die Entwicklung des preußischen
Staats zu knüpfen, obgleich dieser Staat es an Schwächen und Zmonseqnenzcn
zu keiner Zeit hat fehlen lassen? -- Der Grund liegt freiliä, zum Theil
in der äußern Nothwendigkeit. So viel geistige Einflüsse und Bewegungen
dazu beitragen können. Deutschlands Wiedergeburt vorzubereiten, so weiß man
doch sehr wohl, daß die letzte Entscheidung nnr von demjenigen gegeben wer¬
den kann, der Eisen in die Wagschale zu werfen hat. Allein dieses Motiv
der Berechnung würde der Phantasie keine Beschäftigung geben. Wenn man
von Preußen spricht, so denkt man vielmehr stets an den Staat Friedrich des
Großen.

Man vcrsinnliche sich die unglückselige Periode des Elends und der Schmach
seit dem dreißigjährigen Kriege, in der selbst die Hoffnung einer bessern Zukunft
verloren schien. Der Erste, der den Deutschen wieder Selbstgefühl einflößte,
war der Sieger bei Fehrbellin.. Freilich sagt man von Friedrich dem Gro¬
ßen nicht mit Unrecht, er habe den preußischen Staat geschaffen, aber er
konnte es doch nur. weil er das geeignete Material vorfand. Er war der
Erbe des großen Kurfürsten. Daß das winzige Preußen sieben Jahre lang
den gesammten Streitkräften Europas erfolgreich widerstehn konnte, hat frei¬
lich nur der Genius Friedrichs möglich gemacht. Aber daß diese Reihe von
Siegen dem deutschen Naüonalgcfühl den Impuls gaben, sich ebenbürtig neben
das Selbstgefühl der Briten und Franzosen zu stellen, dazu war noch ein
andrer Umstand nöthig. Auch die Oestreicher haben reiche Vorbecrn gepflückt.


war nicht kleiner. - Die übrige» Eapitel enthalten die belgische Revolution
1830—3t. die Sommertage und Winterquartiere in Nordbrabant bis nach
dem Friedensschluß zwischen Holland und Belgien 1831-3». den Dienst bei
der niederländischen Cavalerie 1839--14 und die Sendung nach Ostindien
1844—47. Das Geschick Gagerns. durch kleine, scheinbar unbedeutende Feder¬
striche einen Charakter und eine Situation scharf zu umreißen, ist aus deu
Tagebüchern des dritten Bandes bereits bekannt. Insofern sind diese^ spora¬
dischen Mittheilungen auch für den künftigen Historiker von großer Wichtig¬
keit; fast ebenso wichtig als Röderers Tagebücher für die Geschichte des Con-
sulats. Daneben finden sich noch gehaltvolle Züge, die das schöne Bild der
edlen und männlichen Persönlichkeit, das wir ans dem dritten Bande ent¬
nommen haben, erfreulich ergänzen; an dem Eindruck des Ganzen wird da¬
durch nichts verändert. Mit Erhebung, aber freilich auch mit Wehmuth über
den unersetzlichen Verlust, legen wir das Buch ans der Hand.

Was ist es nun. das diesen echten Freund des deutschen Vaterlandes,
der Preußen nichts verdankte, und dem das Berlinerthum gewiß ebenso zu¬
wider war. als es jedem Gebildete« zuwider ist, was ist es, das seine Gleich¬
gesinnten. das Philosophen. Historiker. Staatsmänner bestimmt hat. den
Glauben an die Fortdauer Deutschlands an die Entwicklung des preußischen
Staats zu knüpfen, obgleich dieser Staat es an Schwächen und Zmonseqnenzcn
zu keiner Zeit hat fehlen lassen? — Der Grund liegt freiliä, zum Theil
in der äußern Nothwendigkeit. So viel geistige Einflüsse und Bewegungen
dazu beitragen können. Deutschlands Wiedergeburt vorzubereiten, so weiß man
doch sehr wohl, daß die letzte Entscheidung nnr von demjenigen gegeben wer¬
den kann, der Eisen in die Wagschale zu werfen hat. Allein dieses Motiv
der Berechnung würde der Phantasie keine Beschäftigung geben. Wenn man
von Preußen spricht, so denkt man vielmehr stets an den Staat Friedrich des
Großen.

Man vcrsinnliche sich die unglückselige Periode des Elends und der Schmach
seit dem dreißigjährigen Kriege, in der selbst die Hoffnung einer bessern Zukunft
verloren schien. Der Erste, der den Deutschen wieder Selbstgefühl einflößte,
war der Sieger bei Fehrbellin.. Freilich sagt man von Friedrich dem Gro¬
ßen nicht mit Unrecht, er habe den preußischen Staat geschaffen, aber er
konnte es doch nur. weil er das geeignete Material vorfand. Er war der
Erbe des großen Kurfürsten. Daß das winzige Preußen sieben Jahre lang
den gesammten Streitkräften Europas erfolgreich widerstehn konnte, hat frei¬
lich nur der Genius Friedrichs möglich gemacht. Aber daß diese Reihe von
Siegen dem deutschen Naüonalgcfühl den Impuls gaben, sich ebenbürtig neben
das Selbstgefühl der Briten und Franzosen zu stellen, dazu war noch ein
andrer Umstand nöthig. Auch die Oestreicher haben reiche Vorbecrn gepflückt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/81>, abgerufen am 27.07.2024.