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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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was sie noch von ihrer Habe fanden, hielt unter der Zeit der Schultheiß,
uird Schmidt und ich auf den Thurm Wache, wir versahen alle drei den Dienst,
es kommen etliche Reiter in das Dorf, sehen uns auf dem Thurm,
gehen stracks auf den Thurm, und finden uns da beisammen. Als wir nun
aus dem un-gestalten Auftreten und Sprache merkten, daß es Reiter wären,
lernte ich leider steigen, so übel mir war. kletterte aus den Glockenstuhl
hinaus, und legte mich wie ein Kätzchen hinter das Uhrhaus; aber es stieg
gleichwol ein Dieb hinan und fand wich. Meine Pfarrkinder sagten, ich
wäre ihr Schulmeister, baten für mich, ich wäre schon von den Soldaten
übel geschlagen worden. Es half nur aber nichts. Dieser Schulmeister
mußte'immer mit herabsteigen, und ging der Schultheiß voran, darnach em
Reiter, ferner der Schmidt, darnach ein Reiter, endlich folgte ich tarclo xeäv.
Als sie nun zum Kirchthor alle hinaus waren, blieb ich drinnen, und regelte
das Thürlein zu. und lief zum andern Thor hinaus und verkroch mich in
einer Rübengrube. Hilf Gott! wie wehe geschah mir. daß ich niederducken
und so auf allen Vieren eine Stunde liegen mußte. Also kam. ich davon.
Meine schönen Mitwächtcr mußten mit in eine Mühle und Säcke mit Mehl
auffassen. -- Freitag vor Pfingsten kam ich mit vielen Bürgern nach Koburg am
Sonntag Eraudi. Es hatte'mir ein Dieb meine Schuhe ausgezogen, und mir alte
böse dafür gegeben. die ich fast acht Tage trug, es waren beide Sohlen herausge¬
fallen. Wenn es nun bei Tage Ausreißens galt, dreheten sich die Schuhe ringsum,
und stand oft das vorderste zu hinterst. Mußte mich oft lassen auslachen.
Also kam ich nach Koburg. Nun war mein Martyrium schon vor etlichen
Tagen nach Koburg gekommen, auch die Sage, ich wäre todt gemacht. Als
'es nun selber kam. verwunderten sich Bürger und alte Bekannte. Dr. Kester.
Generalsuverintendent, item Consul Körner luden mich die Pfingstfeiertage
etliche Mal zu Gast, und thaten mir. Weib und Kindern, die Koburger. vier
Wochen lang viel Gutes, wie ich solches in einem Druck am Johannistag ge-
rühmet. - Ach welch ein Jammer und Noth ward da gesehen und gehöret, da
alle umliegende kleine Städtlein : Eisfeld. Heldburg. Neustadt, sammt den Dorf-
schaften sich in der Stadt elendiglich behelfen mußten. Da war heischen und
betteln keine Schande. Doch wollte ich meinen guten Wirth H. Hoffmann. Apo-
theker, nicht gar zu sehr beschweren. Ging mit dem Pfarrer, zu Walburg, Eiscn-
tmut, vie.to" YMsrnM M>,t.in drei Wochen in die Welt, gen Culmbach. Bcu-
reuth. Hirschheid. Altorf. Nürnberg und wieder gen Koburg. Da ich nun fand,
daß mein Weib und Kinder wieder zu Poppenhausen eingezogen waren, und
aufs Neue Gil de Hafische Reiter hatten, zog ich heim, und war weder zu
schleißen noch zu beißen um sie. Was nur Gott auf der Reise be>eherne.
mußte ich aufs Rathhaus tragen und den Soldaten geben, und waren die
Kinder schier vor Hunger verdorben. Denn sie hatten die Zeit über nicht


was sie noch von ihrer Habe fanden, hielt unter der Zeit der Schultheiß,
uird Schmidt und ich auf den Thurm Wache, wir versahen alle drei den Dienst,
es kommen etliche Reiter in das Dorf, sehen uns auf dem Thurm,
gehen stracks auf den Thurm, und finden uns da beisammen. Als wir nun
aus dem un-gestalten Auftreten und Sprache merkten, daß es Reiter wären,
lernte ich leider steigen, so übel mir war. kletterte aus den Glockenstuhl
hinaus, und legte mich wie ein Kätzchen hinter das Uhrhaus; aber es stieg
gleichwol ein Dieb hinan und fand wich. Meine Pfarrkinder sagten, ich
wäre ihr Schulmeister, baten für mich, ich wäre schon von den Soldaten
übel geschlagen worden. Es half nur aber nichts. Dieser Schulmeister
mußte'immer mit herabsteigen, und ging der Schultheiß voran, darnach em
Reiter, ferner der Schmidt, darnach ein Reiter, endlich folgte ich tarclo xeäv.
Als sie nun zum Kirchthor alle hinaus waren, blieb ich drinnen, und regelte
das Thürlein zu. und lief zum andern Thor hinaus und verkroch mich in
einer Rübengrube. Hilf Gott! wie wehe geschah mir. daß ich niederducken
und so auf allen Vieren eine Stunde liegen mußte. Also kam. ich davon.
Meine schönen Mitwächtcr mußten mit in eine Mühle und Säcke mit Mehl
auffassen. — Freitag vor Pfingsten kam ich mit vielen Bürgern nach Koburg am
Sonntag Eraudi. Es hatte'mir ein Dieb meine Schuhe ausgezogen, und mir alte
böse dafür gegeben. die ich fast acht Tage trug, es waren beide Sohlen herausge¬
fallen. Wenn es nun bei Tage Ausreißens galt, dreheten sich die Schuhe ringsum,
und stand oft das vorderste zu hinterst. Mußte mich oft lassen auslachen.
Also kam ich nach Koburg. Nun war mein Martyrium schon vor etlichen
Tagen nach Koburg gekommen, auch die Sage, ich wäre todt gemacht. Als
'es nun selber kam. verwunderten sich Bürger und alte Bekannte. Dr. Kester.
Generalsuverintendent, item Consul Körner luden mich die Pfingstfeiertage
etliche Mal zu Gast, und thaten mir. Weib und Kindern, die Koburger. vier
Wochen lang viel Gutes, wie ich solches in einem Druck am Johannistag ge-
rühmet. - Ach welch ein Jammer und Noth ward da gesehen und gehöret, da
alle umliegende kleine Städtlein : Eisfeld. Heldburg. Neustadt, sammt den Dorf-
schaften sich in der Stadt elendiglich behelfen mußten. Da war heischen und
betteln keine Schande. Doch wollte ich meinen guten Wirth H. Hoffmann. Apo-
theker, nicht gar zu sehr beschweren. Ging mit dem Pfarrer, zu Walburg, Eiscn-
tmut, vie.to» YMsrnM M>,t.in drei Wochen in die Welt, gen Culmbach. Bcu-
reuth. Hirschheid. Altorf. Nürnberg und wieder gen Koburg. Da ich nun fand,
daß mein Weib und Kinder wieder zu Poppenhausen eingezogen waren, und
aufs Neue Gil de Hafische Reiter hatten, zog ich heim, und war weder zu
schleißen noch zu beißen um sie. Was nur Gott auf der Reise be>eherne.
mußte ich aufs Rathhaus tragen und den Soldaten geben, und waren die
Kinder schier vor Hunger verdorben. Denn sie hatten die Zeit über nicht


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[0071] was sie noch von ihrer Habe fanden, hielt unter der Zeit der Schultheiß, uird Schmidt und ich auf den Thurm Wache, wir versahen alle drei den Dienst, es kommen etliche Reiter in das Dorf, sehen uns auf dem Thurm, gehen stracks auf den Thurm, und finden uns da beisammen. Als wir nun aus dem un-gestalten Auftreten und Sprache merkten, daß es Reiter wären, lernte ich leider steigen, so übel mir war. kletterte aus den Glockenstuhl hinaus, und legte mich wie ein Kätzchen hinter das Uhrhaus; aber es stieg gleichwol ein Dieb hinan und fand wich. Meine Pfarrkinder sagten, ich wäre ihr Schulmeister, baten für mich, ich wäre schon von den Soldaten übel geschlagen worden. Es half nur aber nichts. Dieser Schulmeister mußte'immer mit herabsteigen, und ging der Schultheiß voran, darnach em Reiter, ferner der Schmidt, darnach ein Reiter, endlich folgte ich tarclo xeäv. Als sie nun zum Kirchthor alle hinaus waren, blieb ich drinnen, und regelte das Thürlein zu. und lief zum andern Thor hinaus und verkroch mich in einer Rübengrube. Hilf Gott! wie wehe geschah mir. daß ich niederducken und so auf allen Vieren eine Stunde liegen mußte. Also kam. ich davon. Meine schönen Mitwächtcr mußten mit in eine Mühle und Säcke mit Mehl auffassen. — Freitag vor Pfingsten kam ich mit vielen Bürgern nach Koburg am Sonntag Eraudi. Es hatte'mir ein Dieb meine Schuhe ausgezogen, und mir alte böse dafür gegeben. die ich fast acht Tage trug, es waren beide Sohlen herausge¬ fallen. Wenn es nun bei Tage Ausreißens galt, dreheten sich die Schuhe ringsum, und stand oft das vorderste zu hinterst. Mußte mich oft lassen auslachen. Also kam ich nach Koburg. Nun war mein Martyrium schon vor etlichen Tagen nach Koburg gekommen, auch die Sage, ich wäre todt gemacht. Als 'es nun selber kam. verwunderten sich Bürger und alte Bekannte. Dr. Kester. Generalsuverintendent, item Consul Körner luden mich die Pfingstfeiertage etliche Mal zu Gast, und thaten mir. Weib und Kindern, die Koburger. vier Wochen lang viel Gutes, wie ich solches in einem Druck am Johannistag ge- rühmet. - Ach welch ein Jammer und Noth ward da gesehen und gehöret, da alle umliegende kleine Städtlein : Eisfeld. Heldburg. Neustadt, sammt den Dorf- schaften sich in der Stadt elendiglich behelfen mußten. Da war heischen und betteln keine Schande. Doch wollte ich meinen guten Wirth H. Hoffmann. Apo- theker, nicht gar zu sehr beschweren. Ging mit dem Pfarrer, zu Walburg, Eiscn- tmut, vie.to» YMsrnM M>,t.in drei Wochen in die Welt, gen Culmbach. Bcu- reuth. Hirschheid. Altorf. Nürnberg und wieder gen Koburg. Da ich nun fand, daß mein Weib und Kinder wieder zu Poppenhausen eingezogen waren, und aufs Neue Gil de Hafische Reiter hatten, zog ich heim, und war weder zu schleißen noch zu beißen um sie. Was nur Gott auf der Reise be>eherne. mußte ich aufs Rathhaus tragen und den Soldaten geben, und waren die Kinder schier vor Hunger verdorben. Denn sie hatten die Zeit über nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/71>, abgerufen am 27.07.2024.