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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Bootes am Himmel herumdrehn," sagtJuvenal. "entreißt sich schon der arme
Client seinem Schlaf und vergißt in der Hast seine Schuhe zu schnüren, voll
Angst, das Heer der Besucher möchte seinen Kreislauf bereits beendet haben/'
So macht er sich noch im Finstern aus den Weg, zu einer Zeit, wo auf den Straßen
niemand anzutreffen war, als die Bäcker, die ihre Waaren ausrufen und deren
früheste Kunden, die Knaben, die mit Lampen in der Hand in die Schule
gingen, oder ein Nachtschwärmer, der von einem späten Gelage heimkehrte.
In ganzen Scharen, unter deren Tritten der Boden dröhnte, zogen diese Frohn-
Pflichtigen des Morgenbesuches durch Rom. kein Wetter durfte sie zurückhalten,
weder die pfeifende Tramontana, noch die kalten Güsse des Winterregcns. selbst
nicht Hagel und Schnee, oöwo! Schneefall sonst eine hinreichende Entschuldi¬
gung war, um z.B. angenommenen Einladungen nicht Folge zu leisten. Dazu
der Straßenschmuz. die ungeheuren Wege, wenn die befundene Methswoh-
nung des Clienten am einen, und der Palast des Patrons am andern Ende
von Rom lag, besonders da die meisten in ehre Besuche an einem Morgen
in leisten hatten; endlich, wenn sich nun die Straßen mit dem lärmenden
Treiben des Tages zu füllen begannen, das Gedränge und selbst die Gefahr
ren. die Fußgängern von den schwer beladenen Lastwagen drohten, stellt man
sich dies alles vor. so wird man die Klagen der armen Clienten mehr als
gerechtfertigt finden. Aber schwerer zu ertragen als alles dies, war die Behandlung,
die sie >u der Regel erfuhren. Sie mußten ihrem Patron die tiefste llnterthä-
nigkeit zeigen, ihn "Herr" oder "König" anreden; wenigstens im zweiten Jahr¬
hundert reichte man ihnen schon die Hand zum Kusse; selbst die Sklaven des
Hauses erlaubten sich gegen sie, was sie wollten ; an der Tafel des Herrn mu߬
te" sie mit den elendesten Speisen vorlieb nehmen, sich gefallen la^en. den
Gegenstand gnädiger Späße abzugeben u. s. w. Wurden sie nach Jahren
dieses siruern Dienstes mit einer kleinen Bersorgung bedacht lz. B. als Auf¬
seher auf einem Landgut), so durften sie sich glücklich schätzen.

D'e täglichen Morgenbesuche, welche die beiden ersten Tagesstunden füllten,
gehörten zu den charakteristischen Eigeiithüiiilichkeiten Roms, die dem Fremden
ausfielen. In der That darf man sich wol vorstellen, daß in jeder Frühe die
eine Hälfte der Bevölkerung auf dem Wege war, der andern ihre Aufwartung
zu machen. Auch der Reiche und Angesehene bequemte sich dazu dem Reichern
und Angesehenern gegenüber, und antichambrirte ber Freigelassenen und selbst
Sklaven (des Kaisers), um die Ernennung zu einem höhern Amt zu erlangen.
Und wer lebte wol so außerhalb der Gesellschaft, daß er sich nicht bisweilen
> die Nothwendigkeit versetzt gesehn hätte, einen Morgenbesuch zu machen!
Auch Gelehrte vermochten die zeitraubende Sitte nicht zu umgehn. anch Philo-
sophen kamen in den Fall, sich in die Launen eines Portiers fügen zu müssen.


^M.jkoten I. 1858.

Bootes am Himmel herumdrehn," sagtJuvenal. „entreißt sich schon der arme
Client seinem Schlaf und vergißt in der Hast seine Schuhe zu schnüren, voll
Angst, das Heer der Besucher möchte seinen Kreislauf bereits beendet haben/'
So macht er sich noch im Finstern aus den Weg, zu einer Zeit, wo auf den Straßen
niemand anzutreffen war, als die Bäcker, die ihre Waaren ausrufen und deren
früheste Kunden, die Knaben, die mit Lampen in der Hand in die Schule
gingen, oder ein Nachtschwärmer, der von einem späten Gelage heimkehrte.
In ganzen Scharen, unter deren Tritten der Boden dröhnte, zogen diese Frohn-
Pflichtigen des Morgenbesuches durch Rom. kein Wetter durfte sie zurückhalten,
weder die pfeifende Tramontana, noch die kalten Güsse des Winterregcns. selbst
nicht Hagel und Schnee, oöwo! Schneefall sonst eine hinreichende Entschuldi¬
gung war, um z.B. angenommenen Einladungen nicht Folge zu leisten. Dazu
der Straßenschmuz. die ungeheuren Wege, wenn die befundene Methswoh-
nung des Clienten am einen, und der Palast des Patrons am andern Ende
von Rom lag, besonders da die meisten in ehre Besuche an einem Morgen
in leisten hatten; endlich, wenn sich nun die Straßen mit dem lärmenden
Treiben des Tages zu füllen begannen, das Gedränge und selbst die Gefahr
ren. die Fußgängern von den schwer beladenen Lastwagen drohten, stellt man
sich dies alles vor. so wird man die Klagen der armen Clienten mehr als
gerechtfertigt finden. Aber schwerer zu ertragen als alles dies, war die Behandlung,
die sie >u der Regel erfuhren. Sie mußten ihrem Patron die tiefste llnterthä-
nigkeit zeigen, ihn „Herr" oder „König" anreden; wenigstens im zweiten Jahr¬
hundert reichte man ihnen schon die Hand zum Kusse; selbst die Sklaven des
Hauses erlaubten sich gegen sie, was sie wollten ; an der Tafel des Herrn mu߬
te» sie mit den elendesten Speisen vorlieb nehmen, sich gefallen la^en. den
Gegenstand gnädiger Späße abzugeben u. s. w. Wurden sie nach Jahren
dieses siruern Dienstes mit einer kleinen Bersorgung bedacht lz. B. als Auf¬
seher auf einem Landgut), so durften sie sich glücklich schätzen.

D'e täglichen Morgenbesuche, welche die beiden ersten Tagesstunden füllten,
gehörten zu den charakteristischen Eigeiithüiiilichkeiten Roms, die dem Fremden
ausfielen. In der That darf man sich wol vorstellen, daß in jeder Frühe die
eine Hälfte der Bevölkerung auf dem Wege war, der andern ihre Aufwartung
zu machen. Auch der Reiche und Angesehene bequemte sich dazu dem Reichern
und Angesehenern gegenüber, und antichambrirte ber Freigelassenen und selbst
Sklaven (des Kaisers), um die Ernennung zu einem höhern Amt zu erlangen.
Und wer lebte wol so außerhalb der Gesellschaft, daß er sich nicht bisweilen
> die Nothwendigkeit versetzt gesehn hätte, einen Morgenbesuch zu machen!
Auch Gelehrte vermochten die zeitraubende Sitte nicht zu umgehn. anch Philo-
sophen kamen in den Fall, sich in die Launen eines Portiers fügen zu müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/57>, abgerufen am 27.07.2024.