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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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russischen Gesandten in Frankfurt mittaten zu sehen. Die einzige Macht im Bunde,
die von ihrem Standpunkte aus vielleicht zu diesem Projecte ja° sagen könnte,
ist Oestreich. Es wäre ein Schritt zur Verwirklichung der Idee von der Ver¬
wandlung Deutschlands in das gepriesene mitteleuropäische Siebzigmillionen-
reich mit seinen Szcklem und Magyaren, Polacken und Italienern, und es
wäre ein neuer Hemmschuh für die Entwicklung Preußens zu größerer Macht,
die in der bevorstehenden Verbindung Braunschweigs mit Hannover ohnedies
für die nächste Zukunft schwere Beeinträchtigung zu fürchten hat.

Wie es aber für den deutschen Patnoten keines Pathos bedarf, um ihm
die Thorheit dieses Vorschlags klar zu machen, so werden auch die Dänen
eher in alles Andere willigen, als in einen Anschluß an den Süden. Schon
seit mehren Jahrzehnten, besonders aber seit 1848 gehört in Dänemark bei
weitem der größere Theil derer, die auf Talent und Bildung Anspruch machen,
der skandinavischen Partei an, die zugleich die liberale ist. Diese Par¬
tei leugnet, daß Dänemark bereits so gennanisirt sei, daß es mehr deutsches,
als skandinavisches Wesen besitze, und sie hat darin nicht Unrecht. Wenn sie
dagegen behauptet, was das dünische Volk vom deutschen empfangen habe,
sei ohne Ausnahme vom Uebel, so sollten ihr bei einiger Anlage zur Selbst¬
erkenntniß wenigstens insofern Zweifel darüber aufsteigen, als die Grund¬
gedanken, denen sie ihre Existenz verdankt, aus Deutschland stammen, als sie
sast in allen ihren Zügen ein getreuer Abklatsch des Franzosenfresscrthums der
zwanziger Jahre ist. Der einzige wesentliche Unterschied ist, daß bei letzterem
das Gefühl des Hasses, bei den dänischen Skandinaven die Furcht vor dem
Gegner überwog. Die Politiker dieser Classe sagen, Dänemark wird vom
Deutschthum verschlungen, die Volk'sthümlichkeit untergraben, die Freiheit be¬
droht; Dänemark hat darum, wenn es seine Existenz retten will, sich an den
Norden, an Schweden und Norwegen anzuschließen, alles Deutsche bis herab
auf die deutsche Buchstabenschrift abzuthun, sich durch Aufnahme cchtskandi-
navischer Elemente in sein Wesen zu regeneriren, gegen den Süden und seine
Einflüsse eine unübersteigliche Greuzmaucr zu errichten. Wir sehen von der
Berechtigung dieses Hasses gegen Deutschland ab, und lassen es, wenn zu¬
gleich Ton auf die Behauptung freisinniger Einrichtungen gelegt wird, un-
erörtert, ob diese Einrichtungen durch eine Verbindung mit Schweden und
Norwegen in der Weise der kalmarischen Union den Bestrebungen Rußlands
gegenüber besser gesichert sein würden, als durch ein freundschaftliches Ver¬
hältniß Dänemarks und der gesammten skandinavischen Welt zu Deutschland,
das doch über kurz oder lang den Kampf mit Rußland aufnehmen muß. Wir
begreifen, daß die nationale Partei in Dänemark nur mit Factoren der Ge¬
genwart rechnet, nicht an die Zukunft denkt. Sie hat eben Eile, da das
Lämpchen am Verlöschen ist. Sie ahnt eben, daß ihr Land keine Zukunft


russischen Gesandten in Frankfurt mittaten zu sehen. Die einzige Macht im Bunde,
die von ihrem Standpunkte aus vielleicht zu diesem Projecte ja° sagen könnte,
ist Oestreich. Es wäre ein Schritt zur Verwirklichung der Idee von der Ver¬
wandlung Deutschlands in das gepriesene mitteleuropäische Siebzigmillionen-
reich mit seinen Szcklem und Magyaren, Polacken und Italienern, und es
wäre ein neuer Hemmschuh für die Entwicklung Preußens zu größerer Macht,
die in der bevorstehenden Verbindung Braunschweigs mit Hannover ohnedies
für die nächste Zukunft schwere Beeinträchtigung zu fürchten hat.

Wie es aber für den deutschen Patnoten keines Pathos bedarf, um ihm
die Thorheit dieses Vorschlags klar zu machen, so werden auch die Dänen
eher in alles Andere willigen, als in einen Anschluß an den Süden. Schon
seit mehren Jahrzehnten, besonders aber seit 1848 gehört in Dänemark bei
weitem der größere Theil derer, die auf Talent und Bildung Anspruch machen,
der skandinavischen Partei an, die zugleich die liberale ist. Diese Par¬
tei leugnet, daß Dänemark bereits so gennanisirt sei, daß es mehr deutsches,
als skandinavisches Wesen besitze, und sie hat darin nicht Unrecht. Wenn sie
dagegen behauptet, was das dünische Volk vom deutschen empfangen habe,
sei ohne Ausnahme vom Uebel, so sollten ihr bei einiger Anlage zur Selbst¬
erkenntniß wenigstens insofern Zweifel darüber aufsteigen, als die Grund¬
gedanken, denen sie ihre Existenz verdankt, aus Deutschland stammen, als sie
sast in allen ihren Zügen ein getreuer Abklatsch des Franzosenfresscrthums der
zwanziger Jahre ist. Der einzige wesentliche Unterschied ist, daß bei letzterem
das Gefühl des Hasses, bei den dänischen Skandinaven die Furcht vor dem
Gegner überwog. Die Politiker dieser Classe sagen, Dänemark wird vom
Deutschthum verschlungen, die Volk'sthümlichkeit untergraben, die Freiheit be¬
droht; Dänemark hat darum, wenn es seine Existenz retten will, sich an den
Norden, an Schweden und Norwegen anzuschließen, alles Deutsche bis herab
auf die deutsche Buchstabenschrift abzuthun, sich durch Aufnahme cchtskandi-
navischer Elemente in sein Wesen zu regeneriren, gegen den Süden und seine
Einflüsse eine unübersteigliche Greuzmaucr zu errichten. Wir sehen von der
Berechtigung dieses Hasses gegen Deutschland ab, und lassen es, wenn zu¬
gleich Ton auf die Behauptung freisinniger Einrichtungen gelegt wird, un-
erörtert, ob diese Einrichtungen durch eine Verbindung mit Schweden und
Norwegen in der Weise der kalmarischen Union den Bestrebungen Rußlands
gegenüber besser gesichert sein würden, als durch ein freundschaftliches Ver¬
hältniß Dänemarks und der gesammten skandinavischen Welt zu Deutschland,
das doch über kurz oder lang den Kampf mit Rußland aufnehmen muß. Wir
begreifen, daß die nationale Partei in Dänemark nur mit Factoren der Ge¬
genwart rechnet, nicht an die Zukunft denkt. Sie hat eben Eile, da das
Lämpchen am Verlöschen ist. Sie ahnt eben, daß ihr Land keine Zukunft


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[0495] russischen Gesandten in Frankfurt mittaten zu sehen. Die einzige Macht im Bunde, die von ihrem Standpunkte aus vielleicht zu diesem Projecte ja° sagen könnte, ist Oestreich. Es wäre ein Schritt zur Verwirklichung der Idee von der Ver¬ wandlung Deutschlands in das gepriesene mitteleuropäische Siebzigmillionen- reich mit seinen Szcklem und Magyaren, Polacken und Italienern, und es wäre ein neuer Hemmschuh für die Entwicklung Preußens zu größerer Macht, die in der bevorstehenden Verbindung Braunschweigs mit Hannover ohnedies für die nächste Zukunft schwere Beeinträchtigung zu fürchten hat. Wie es aber für den deutschen Patnoten keines Pathos bedarf, um ihm die Thorheit dieses Vorschlags klar zu machen, so werden auch die Dänen eher in alles Andere willigen, als in einen Anschluß an den Süden. Schon seit mehren Jahrzehnten, besonders aber seit 1848 gehört in Dänemark bei weitem der größere Theil derer, die auf Talent und Bildung Anspruch machen, der skandinavischen Partei an, die zugleich die liberale ist. Diese Par¬ tei leugnet, daß Dänemark bereits so gennanisirt sei, daß es mehr deutsches, als skandinavisches Wesen besitze, und sie hat darin nicht Unrecht. Wenn sie dagegen behauptet, was das dünische Volk vom deutschen empfangen habe, sei ohne Ausnahme vom Uebel, so sollten ihr bei einiger Anlage zur Selbst¬ erkenntniß wenigstens insofern Zweifel darüber aufsteigen, als die Grund¬ gedanken, denen sie ihre Existenz verdankt, aus Deutschland stammen, als sie sast in allen ihren Zügen ein getreuer Abklatsch des Franzosenfresscrthums der zwanziger Jahre ist. Der einzige wesentliche Unterschied ist, daß bei letzterem das Gefühl des Hasses, bei den dänischen Skandinaven die Furcht vor dem Gegner überwog. Die Politiker dieser Classe sagen, Dänemark wird vom Deutschthum verschlungen, die Volk'sthümlichkeit untergraben, die Freiheit be¬ droht; Dänemark hat darum, wenn es seine Existenz retten will, sich an den Norden, an Schweden und Norwegen anzuschließen, alles Deutsche bis herab auf die deutsche Buchstabenschrift abzuthun, sich durch Aufnahme cchtskandi- navischer Elemente in sein Wesen zu regeneriren, gegen den Süden und seine Einflüsse eine unübersteigliche Greuzmaucr zu errichten. Wir sehen von der Berechtigung dieses Hasses gegen Deutschland ab, und lassen es, wenn zu¬ gleich Ton auf die Behauptung freisinniger Einrichtungen gelegt wird, un- erörtert, ob diese Einrichtungen durch eine Verbindung mit Schweden und Norwegen in der Weise der kalmarischen Union den Bestrebungen Rußlands gegenüber besser gesichert sein würden, als durch ein freundschaftliches Ver¬ hältniß Dänemarks und der gesammten skandinavischen Welt zu Deutschland, das doch über kurz oder lang den Kampf mit Rußland aufnehmen muß. Wir begreifen, daß die nationale Partei in Dänemark nur mit Factoren der Ge¬ genwart rechnet, nicht an die Zukunft denkt. Sie hat eben Eile, da das Lämpchen am Verlöschen ist. Sie ahnt eben, daß ihr Land keine Zukunft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/495>, abgerufen am 28.07.2024.