Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

oder unleserlich adressirtcr Priese u, s. w." ja selbst bei der Gcsammtznbl der
Verbrechen, die in einem Lande bedangen werden und der einzelnen Arten von
Verbrechen. Dies altes unterliegt nach Quetclet einer "unmittelbaren und in
Zahlen ausdrückbaren Beobachtung."

Auf die wirkenden Ursachen solcher Uebereinstimmungen und die daraus
etwa zu ziehenden Schlußfolgerungen hier näher einzugehen, kann nicht unsere
Sache sein; genug daß es durch sorgfältige Untersuchungen erwiesen ist, daß
auch vieles scheinbar Zufällige der Berechnung unterliegt. Darin liegt denn
auch die Antwort auf die vorhin gestellte Frage. Schon lange, ehe man das
Gesetz der Gleichmäßigkeit für fast alle Vorgänge der menschlichen Existenz
erkannte, hatte man es für einzelne Erscheinungen mit ziemlicher Sicherheit
herausgefühlt. Die ältesten Versicherungen, die von uns schon besprochenen
Seeversicherungen, hätten sich nicht entwickeln können, wäre man ohne jeden
erfahrungsmäßigen Anhaltpunkt für das durchschnittliche Vorkommen einer
jeden einzelnen Seegcfahr gewesen, und ebenso wenig würden die allerneuesten
Versicherungsarten. die auf menschliche Gliedmaßen und schlechte schulde"
aufgetaucht sei", glaubten deren Urheber nicht ähnliche Anhaltpunkte für das
Vorkommen von Eisenbahnunsällen und Crcditverhältnisse zu haben. Wir
meinen jedoch, daß die von England her importirten Entschädigungen für auf
Eisenbahnen erhaltene körperliche Verlegungen so lange in Deutschland nicht
recht gedeihen werden, als das in Deutschland reisende Publicum durch bessere
Aufsicht wie in England oder gar in Nordamerika sich ohne viel Todes¬
verachtung zu besitzen entschließen kann, in Eisenbahnwagen zu fahren; denn so
lange wird es auch nur wenige Leute geben, die mich nur wenige Silbergroschen
an die Folgen eines Verlustes setzen werden, dem sie gar uicht entgegenzugehen
glauben, indem sie vielmehr nicht ohne Grund hoffen, ihre gefunden Glieder
nach Hause zu bringen. Auch die Ereditversicherungen beruhen in ihrem eng-
lischen Ursprung auf rein individuellen Verhältnissen des Verkehrs, von Recht
und Rechtsgang in England, und werden bei den ganz andern deutschen Zu¬
ständen schwerlich anders als für ganz eingeschränkte Kreise und Zwecke- zur
Verwendung kommen könne".

An Interesse und ausgedehnter Wirksamkeit stehen solche Versicherungs¬
arten jedenfalls den Lebensversicherungen gewaltig nach und wollen wir
auch etwas länger bei diesen verweilen. Das Wort selbst, welches für deutsche
Ohren so ungewohnt klingt, daß es erst einer begriffliche" Erklärung bedarf,
scheint wie die Sache selbst aus dem Englischen zu stammen, wo man einmal
gewohnt ist, Zusammensetzungc", statt sie organisch miteinander zu verbinde",
auf einander zu häufen. Die mit dem Ablauf,eines Lebens für die Über¬
lebenden entstehenden und auf eine feste Geldsumme geschätzte" Nachtheile in'
Form einer Versicherung bringe", heißt Lebe"sversicherung nehmen. Wir wol-


oder unleserlich adressirtcr Priese u, s. w." ja selbst bei der Gcsammtznbl der
Verbrechen, die in einem Lande bedangen werden und der einzelnen Arten von
Verbrechen. Dies altes unterliegt nach Quetclet einer „unmittelbaren und in
Zahlen ausdrückbaren Beobachtung."

Auf die wirkenden Ursachen solcher Uebereinstimmungen und die daraus
etwa zu ziehenden Schlußfolgerungen hier näher einzugehen, kann nicht unsere
Sache sein; genug daß es durch sorgfältige Untersuchungen erwiesen ist, daß
auch vieles scheinbar Zufällige der Berechnung unterliegt. Darin liegt denn
auch die Antwort auf die vorhin gestellte Frage. Schon lange, ehe man das
Gesetz der Gleichmäßigkeit für fast alle Vorgänge der menschlichen Existenz
erkannte, hatte man es für einzelne Erscheinungen mit ziemlicher Sicherheit
herausgefühlt. Die ältesten Versicherungen, die von uns schon besprochenen
Seeversicherungen, hätten sich nicht entwickeln können, wäre man ohne jeden
erfahrungsmäßigen Anhaltpunkt für das durchschnittliche Vorkommen einer
jeden einzelnen Seegcfahr gewesen, und ebenso wenig würden die allerneuesten
Versicherungsarten. die auf menschliche Gliedmaßen und schlechte schulde»
aufgetaucht sei», glaubten deren Urheber nicht ähnliche Anhaltpunkte für das
Vorkommen von Eisenbahnunsällen und Crcditverhältnisse zu haben. Wir
meinen jedoch, daß die von England her importirten Entschädigungen für auf
Eisenbahnen erhaltene körperliche Verlegungen so lange in Deutschland nicht
recht gedeihen werden, als das in Deutschland reisende Publicum durch bessere
Aufsicht wie in England oder gar in Nordamerika sich ohne viel Todes¬
verachtung zu besitzen entschließen kann, in Eisenbahnwagen zu fahren; denn so
lange wird es auch nur wenige Leute geben, die mich nur wenige Silbergroschen
an die Folgen eines Verlustes setzen werden, dem sie gar uicht entgegenzugehen
glauben, indem sie vielmehr nicht ohne Grund hoffen, ihre gefunden Glieder
nach Hause zu bringen. Auch die Ereditversicherungen beruhen in ihrem eng-
lischen Ursprung auf rein individuellen Verhältnissen des Verkehrs, von Recht
und Rechtsgang in England, und werden bei den ganz andern deutschen Zu¬
ständen schwerlich anders als für ganz eingeschränkte Kreise und Zwecke- zur
Verwendung kommen könne».

An Interesse und ausgedehnter Wirksamkeit stehen solche Versicherungs¬
arten jedenfalls den Lebensversicherungen gewaltig nach und wollen wir
auch etwas länger bei diesen verweilen. Das Wort selbst, welches für deutsche
Ohren so ungewohnt klingt, daß es erst einer begriffliche» Erklärung bedarf,
scheint wie die Sache selbst aus dem Englischen zu stammen, wo man einmal
gewohnt ist, Zusammensetzungc», statt sie organisch miteinander zu verbinde»,
auf einander zu häufen. Die mit dem Ablauf,eines Lebens für die Über¬
lebenden entstehenden und auf eine feste Geldsumme geschätzte« Nachtheile in'
Form einer Versicherung bringe», heißt Lebe»sversicherung nehmen. Wir wol-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105745"/>
            <p xml:id="ID_1218" prev="#ID_1217"> oder unleserlich adressirtcr Priese u, s. w." ja selbst bei der Gcsammtznbl der<lb/>
Verbrechen, die in einem Lande bedangen werden und der einzelnen Arten von<lb/>
Verbrechen. Dies altes unterliegt nach Quetclet einer &#x201E;unmittelbaren und in<lb/>
Zahlen ausdrückbaren Beobachtung."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1219"> Auf die wirkenden Ursachen solcher Uebereinstimmungen und die daraus<lb/>
etwa zu ziehenden Schlußfolgerungen hier näher einzugehen, kann nicht unsere<lb/>
Sache sein; genug daß es durch sorgfältige Untersuchungen erwiesen ist, daß<lb/>
auch vieles scheinbar Zufällige der Berechnung unterliegt. Darin liegt denn<lb/>
auch die Antwort auf die vorhin gestellte Frage. Schon lange, ehe man das<lb/>
Gesetz der Gleichmäßigkeit für fast alle Vorgänge der menschlichen Existenz<lb/>
erkannte, hatte man es für einzelne Erscheinungen mit ziemlicher Sicherheit<lb/>
herausgefühlt. Die ältesten Versicherungen, die von uns schon besprochenen<lb/>
Seeversicherungen, hätten sich nicht entwickeln können, wäre man ohne jeden<lb/>
erfahrungsmäßigen Anhaltpunkt für das durchschnittliche Vorkommen einer<lb/>
jeden einzelnen Seegcfahr gewesen, und ebenso wenig würden die allerneuesten<lb/>
Versicherungsarten. die auf menschliche Gliedmaßen und schlechte schulde»<lb/>
aufgetaucht sei», glaubten deren Urheber nicht ähnliche Anhaltpunkte für das<lb/>
Vorkommen von Eisenbahnunsällen und Crcditverhältnisse zu haben. Wir<lb/>
meinen jedoch, daß die von England her importirten Entschädigungen für auf<lb/>
Eisenbahnen erhaltene körperliche Verlegungen so lange in Deutschland nicht<lb/>
recht gedeihen werden, als das in Deutschland reisende Publicum durch bessere<lb/>
Aufsicht wie in England oder gar in Nordamerika sich ohne viel Todes¬<lb/>
verachtung zu besitzen entschließen kann, in Eisenbahnwagen zu fahren; denn so<lb/>
lange wird es auch nur wenige Leute geben, die mich nur wenige Silbergroschen<lb/>
an die Folgen eines Verlustes setzen werden, dem sie gar uicht entgegenzugehen<lb/>
glauben, indem sie vielmehr nicht ohne Grund hoffen, ihre gefunden Glieder<lb/>
nach Hause zu bringen. Auch die Ereditversicherungen beruhen in ihrem eng-<lb/>
lischen Ursprung auf rein individuellen Verhältnissen des Verkehrs, von Recht<lb/>
und Rechtsgang in England, und werden bei den ganz andern deutschen Zu¬<lb/>
ständen schwerlich anders als für ganz eingeschränkte Kreise und Zwecke- zur<lb/>
Verwendung kommen könne».</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1220" next="#ID_1221"> An Interesse und ausgedehnter Wirksamkeit stehen solche Versicherungs¬<lb/>
arten jedenfalls den Lebensversicherungen gewaltig nach und wollen wir<lb/>
auch etwas länger bei diesen verweilen. Das Wort selbst, welches für deutsche<lb/>
Ohren so ungewohnt klingt, daß es erst einer begriffliche» Erklärung bedarf,<lb/>
scheint wie die Sache selbst aus dem Englischen zu stammen, wo man einmal<lb/>
gewohnt ist, Zusammensetzungc», statt sie organisch miteinander zu verbinde»,<lb/>
auf einander zu häufen. Die mit dem Ablauf,eines Lebens für die Über¬<lb/>
lebenden entstehenden und auf eine feste Geldsumme geschätzte« Nachtheile in'<lb/>
Form einer Versicherung bringe», heißt Lebe»sversicherung nehmen. Wir wol-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] oder unleserlich adressirtcr Priese u, s. w." ja selbst bei der Gcsammtznbl der Verbrechen, die in einem Lande bedangen werden und der einzelnen Arten von Verbrechen. Dies altes unterliegt nach Quetclet einer „unmittelbaren und in Zahlen ausdrückbaren Beobachtung." Auf die wirkenden Ursachen solcher Uebereinstimmungen und die daraus etwa zu ziehenden Schlußfolgerungen hier näher einzugehen, kann nicht unsere Sache sein; genug daß es durch sorgfältige Untersuchungen erwiesen ist, daß auch vieles scheinbar Zufällige der Berechnung unterliegt. Darin liegt denn auch die Antwort auf die vorhin gestellte Frage. Schon lange, ehe man das Gesetz der Gleichmäßigkeit für fast alle Vorgänge der menschlichen Existenz erkannte, hatte man es für einzelne Erscheinungen mit ziemlicher Sicherheit herausgefühlt. Die ältesten Versicherungen, die von uns schon besprochenen Seeversicherungen, hätten sich nicht entwickeln können, wäre man ohne jeden erfahrungsmäßigen Anhaltpunkt für das durchschnittliche Vorkommen einer jeden einzelnen Seegcfahr gewesen, und ebenso wenig würden die allerneuesten Versicherungsarten. die auf menschliche Gliedmaßen und schlechte schulde» aufgetaucht sei», glaubten deren Urheber nicht ähnliche Anhaltpunkte für das Vorkommen von Eisenbahnunsällen und Crcditverhältnisse zu haben. Wir meinen jedoch, daß die von England her importirten Entschädigungen für auf Eisenbahnen erhaltene körperliche Verlegungen so lange in Deutschland nicht recht gedeihen werden, als das in Deutschland reisende Publicum durch bessere Aufsicht wie in England oder gar in Nordamerika sich ohne viel Todes¬ verachtung zu besitzen entschließen kann, in Eisenbahnwagen zu fahren; denn so lange wird es auch nur wenige Leute geben, die mich nur wenige Silbergroschen an die Folgen eines Verlustes setzen werden, dem sie gar uicht entgegenzugehen glauben, indem sie vielmehr nicht ohne Grund hoffen, ihre gefunden Glieder nach Hause zu bringen. Auch die Ereditversicherungen beruhen in ihrem eng- lischen Ursprung auf rein individuellen Verhältnissen des Verkehrs, von Recht und Rechtsgang in England, und werden bei den ganz andern deutschen Zu¬ ständen schwerlich anders als für ganz eingeschränkte Kreise und Zwecke- zur Verwendung kommen könne». An Interesse und ausgedehnter Wirksamkeit stehen solche Versicherungs¬ arten jedenfalls den Lebensversicherungen gewaltig nach und wollen wir auch etwas länger bei diesen verweilen. Das Wort selbst, welches für deutsche Ohren so ungewohnt klingt, daß es erst einer begriffliche» Erklärung bedarf, scheint wie die Sache selbst aus dem Englischen zu stammen, wo man einmal gewohnt ist, Zusammensetzungc», statt sie organisch miteinander zu verbinde», auf einander zu häufen. Die mit dem Ablauf,eines Lebens für die Über¬ lebenden entstehenden und auf eine feste Geldsumme geschätzte« Nachtheile in' Form einer Versicherung bringe», heißt Lebe»sversicherung nehmen. Wir wol-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/468>, abgerufen am 22.12.2024.