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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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adel und die begüterten Städter den türkischen Glauben annahmen und zu der
christlichen Majorität des Landvolkes, der Rajah, in einen feindlichen Gegensatz
traten, welcher diese Landschaft bis jetzt politisch todt erhalten hat und ihre
Zukunft zu einem durchaus schwierigen Problem für Weltverbesserer macht. In
den unzugänglichen Bergen Montenegros,hatte sich wenigstens thatsächliche Un¬
abhängigkeit und unter den Serben eine alterthümliche Freiheit der Communen
erhalten, welche als die beste Quelle ihrer nationalen Kraft anzusehn ist. So
lange Nußland ungehemmt gegen die Pforte vorschritt, war seine Politik, das
nationale und christliche Element in diesen Landschaften gegen die Türken zu
stützen. Emissäre und Geldsendungen gingen seit Peter dem Großen nach
der Tschernagora und nach Kragujewatz, die Träume der Panslavisien wur¬
den durch Kaiser Nikolaus in Nußland selbst nach Sibirien gewiesen, bei den
Südslaven unterstützt. Als das serbische Volk durchsetzte, daß die Türken aus
dem Flachland wichen und ihren Aufenthalt nur in vier befestigten Orten nehmen
durften, richteten sich die Blicke der christlichen Seelen in Bosnien und Montene¬
gro immer mehr nach Serbien, von dort erhielten sie Waffen, Führer, zuletzt sogar
Bücher. Allerdings darf man sich den Zusammenhang in früherer Zeit nicht
zu innig und planvoll denken. Einzelne Bosniaten, welche ein Pascha be¬
drohte, fanden in Serbien Zuflucht und in Jahren großer Gährung schmuggelte
man von dort Pulver und die Schlachtmesser ein, an der Grenze sang man
die gemeinschaftlichen Heldenlieder, böhmische und serbische Ninderdiebc schlös¬
sen die heilige Bnndesbrüderschast und die wildesten Momken im Gefolge
des Mladcn oder Milosch waren Montenegriner oder Bosniaten. Seit
dem ungarischen und orientalischen Kriege ist das Gefühl der Zusammen¬
gehörigkeit aber stärker geworden und die Unzufriedenheit, welche die böhmi¬
schen Rajah unter die Waffen gerufen hat, wird schwerlich durch das Pfühlen und
Enthaupten einiger Dutzend Aufrührer gebändigt werden. Denn wie groß die Roh¬
heit und wie gemein der Egoismus der Christen in Montenegro und Bosnien
sein mögen, auch dort ist die Empfindung lebhaft, daß sie in ihrer Isolirung
nicht bestehn können und einen Anschluß außerhalb zu gewinnen haben. Den
Montenegrinern hatte ein seltsames Geschick in dem verstorbenen Vladika einen
hochfliegenden Romantiker geschenkt, der zu Prag auf dem Slavcncongreß und
dann zu Pans in seiner ausfallenden Tracht, bald als Priester, bald als Krieger
zu prunken liebte, der Bildung höchlich achtete, das Kopfabschneiden seiner
Leute als eine schlechte Gewohnheit mißbilligte und in reiner serbischer Sprache
einige Trauerspiele schrieb, die er bei einem Glase Bordeaux den wenigen sla¬
vischen Literaten wohlwollend mittheilte, welche in seine Wildniß drangen. Das
Ansehn, welches er sich durch seine auswärtigen Verbindungen zu geben wußte
und noch mehr eine Unterstützung von 30,000 Gulden C. M., russischer Ge¬
halt, welchen er statt de,r früheren 1000 Ducaten von Kaiser Nikolaus er-


adel und die begüterten Städter den türkischen Glauben annahmen und zu der
christlichen Majorität des Landvolkes, der Rajah, in einen feindlichen Gegensatz
traten, welcher diese Landschaft bis jetzt politisch todt erhalten hat und ihre
Zukunft zu einem durchaus schwierigen Problem für Weltverbesserer macht. In
den unzugänglichen Bergen Montenegros,hatte sich wenigstens thatsächliche Un¬
abhängigkeit und unter den Serben eine alterthümliche Freiheit der Communen
erhalten, welche als die beste Quelle ihrer nationalen Kraft anzusehn ist. So
lange Nußland ungehemmt gegen die Pforte vorschritt, war seine Politik, das
nationale und christliche Element in diesen Landschaften gegen die Türken zu
stützen. Emissäre und Geldsendungen gingen seit Peter dem Großen nach
der Tschernagora und nach Kragujewatz, die Träume der Panslavisien wur¬
den durch Kaiser Nikolaus in Nußland selbst nach Sibirien gewiesen, bei den
Südslaven unterstützt. Als das serbische Volk durchsetzte, daß die Türken aus
dem Flachland wichen und ihren Aufenthalt nur in vier befestigten Orten nehmen
durften, richteten sich die Blicke der christlichen Seelen in Bosnien und Montene¬
gro immer mehr nach Serbien, von dort erhielten sie Waffen, Führer, zuletzt sogar
Bücher. Allerdings darf man sich den Zusammenhang in früherer Zeit nicht
zu innig und planvoll denken. Einzelne Bosniaten, welche ein Pascha be¬
drohte, fanden in Serbien Zuflucht und in Jahren großer Gährung schmuggelte
man von dort Pulver und die Schlachtmesser ein, an der Grenze sang man
die gemeinschaftlichen Heldenlieder, böhmische und serbische Ninderdiebc schlös¬
sen die heilige Bnndesbrüderschast und die wildesten Momken im Gefolge
des Mladcn oder Milosch waren Montenegriner oder Bosniaten. Seit
dem ungarischen und orientalischen Kriege ist das Gefühl der Zusammen¬
gehörigkeit aber stärker geworden und die Unzufriedenheit, welche die böhmi¬
schen Rajah unter die Waffen gerufen hat, wird schwerlich durch das Pfühlen und
Enthaupten einiger Dutzend Aufrührer gebändigt werden. Denn wie groß die Roh¬
heit und wie gemein der Egoismus der Christen in Montenegro und Bosnien
sein mögen, auch dort ist die Empfindung lebhaft, daß sie in ihrer Isolirung
nicht bestehn können und einen Anschluß außerhalb zu gewinnen haben. Den
Montenegrinern hatte ein seltsames Geschick in dem verstorbenen Vladika einen
hochfliegenden Romantiker geschenkt, der zu Prag auf dem Slavcncongreß und
dann zu Pans in seiner ausfallenden Tracht, bald als Priester, bald als Krieger
zu prunken liebte, der Bildung höchlich achtete, das Kopfabschneiden seiner
Leute als eine schlechte Gewohnheit mißbilligte und in reiner serbischer Sprache
einige Trauerspiele schrieb, die er bei einem Glase Bordeaux den wenigen sla¬
vischen Literaten wohlwollend mittheilte, welche in seine Wildniß drangen. Das
Ansehn, welches er sich durch seine auswärtigen Verbindungen zu geben wußte
und noch mehr eine Unterstützung von 30,000 Gulden C. M., russischer Ge¬
halt, welchen er statt de,r früheren 1000 Ducaten von Kaiser Nikolaus er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/430>, abgerufen am 27.07.2024.