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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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So weit Schärtlin. Es ist anzunehmen, das; der Verkauf für Schärtlin
wenigstens pecuniär vortheilhaft war, sicher, aber ist, daß seine Händel mit dem
Grafen deshalb nicht aufhörten. Noch Jahre lang verklagten sich die beiden
Nachbarn beim Kammergerichb und beim Kaiser, und dazwischen übten sie
immer wieder Gewaltthat in Angriff und Vertheidigung. Zuletzt mußten die
Gegner vor dem Kaiser selbst einander die Hand reichen. --

Um das Ende des 1l>. Jahrhunderts wurden die Gewaltthaten ver
adligen Gutsbesitzer anspruchloser und seltener. Der größte Theil von
ihnen verwandelte sich in friedliche Landjunker, die fähigern und ärmern
suchten Unterkommen an den zahlreichen Höfen. Doch weder für das Selbstgefühl,
uoch für die sittliche Kraft des Standes war selbst diese Umwandlung in der näch¬
sten Folgezeit vortheilhaft. In der Jugend des Götz war jeder Landjunker ein
Kriegsmann gewesen, denn er war ein Reiter, und die Traditionen des Ritterthum?
aalte" auch' noch im großen Kriege. Aber grade damals bereitete sich die
große Umwandlung vor, welche das Fußvolk zum Kern der neuen Heere
machte, seitdem galt ein erfahrner Landsknecht, der Einfluß auf seine Kame¬
raden hatte, oder ein bürgerlicher Büchsenmeister, der eine Karthauue gut zu
richten verstand, dem Kriegsherrn mehr als ein Dutzend undiscipliuirter Jun-
ker mit ihren Knechten. Hatte doch die Macht der Fürsten zumeist durch die neue
Kriegskunst die Kraft des niedern Adels überwachsen, und die Enkel der freien
Neichsritter zu Marschällen und Bedienten der größern Dynasten gemacht. Es
kamen neue Wege sein Glück zu machen, Schmeichelei, Bewerbung um Pro-
tection und Unterrhünigkeit. Die Grundherrn aber, welche resignirt auf ihre",
Gute saßen, wurden in der großen Mehrzahl durch alte und neue Leiden schwach
erhalten. Die alte Wehrkraft war verloren, aber das Bedürfniß der Auf¬
regungen war geblieben. Immer waren die Deutschen starke Trinker ge¬
wesen, jetzt wurde die rohe Völlerei, besonders in den Landschaften, welche
nicht selbst Wein bauten, zum herrschenden Laster. Zerrüttete Vermögens¬
verhältnisse, massenhafte Schulden und unerträgliche Processe störten die wenige"
nüchternen Stunden des Tages. Sonst hatte der bewaffnete Schloßherr Rechts-
forderungen mit Lanze und Schwert abgewehrt, jetzt bewirkten die unverständ¬
lichen Formeln pedantischer Juristen mehr, als die beste Eschenstangc; sonst
war es möglich gewesen, lästige Gläubiger niederzureiten, und, wenn sie Bür¬
ger oder Juden waren, gar in den Thurm zu sperren, jetzt hatte der verschul¬
dete Mncherr Mühe zu verhindern, daß er nicht selbst in die Custodia gesetzt
wurde. Zu solchem Aerger kamen allgemeine Leiden. Die Volksstimmung in
Deutschland war um das Ende des 16. Jahrhunderts sehr unerfreulich, muth-
los, grämlich, fast hoffnungslos. Ein großer Theil der Protestanten erwartete
immer noch den jüngsten Tag. das neue Jesuitenthum im Katholicismus
schrie nach dem Blut der Ketzer. Die Schwäche des deutschen Staatskörpers


So weit Schärtlin. Es ist anzunehmen, das; der Verkauf für Schärtlin
wenigstens pecuniär vortheilhaft war, sicher, aber ist, daß seine Händel mit dem
Grafen deshalb nicht aufhörten. Noch Jahre lang verklagten sich die beiden
Nachbarn beim Kammergerichb und beim Kaiser, und dazwischen übten sie
immer wieder Gewaltthat in Angriff und Vertheidigung. Zuletzt mußten die
Gegner vor dem Kaiser selbst einander die Hand reichen. —

Um das Ende des 1l>. Jahrhunderts wurden die Gewaltthaten ver
adligen Gutsbesitzer anspruchloser und seltener. Der größte Theil von
ihnen verwandelte sich in friedliche Landjunker, die fähigern und ärmern
suchten Unterkommen an den zahlreichen Höfen. Doch weder für das Selbstgefühl,
uoch für die sittliche Kraft des Standes war selbst diese Umwandlung in der näch¬
sten Folgezeit vortheilhaft. In der Jugend des Götz war jeder Landjunker ein
Kriegsmann gewesen, denn er war ein Reiter, und die Traditionen des Ritterthum?
aalte» auch' noch im großen Kriege. Aber grade damals bereitete sich die
große Umwandlung vor, welche das Fußvolk zum Kern der neuen Heere
machte, seitdem galt ein erfahrner Landsknecht, der Einfluß auf seine Kame¬
raden hatte, oder ein bürgerlicher Büchsenmeister, der eine Karthauue gut zu
richten verstand, dem Kriegsherrn mehr als ein Dutzend undiscipliuirter Jun-
ker mit ihren Knechten. Hatte doch die Macht der Fürsten zumeist durch die neue
Kriegskunst die Kraft des niedern Adels überwachsen, und die Enkel der freien
Neichsritter zu Marschällen und Bedienten der größern Dynasten gemacht. Es
kamen neue Wege sein Glück zu machen, Schmeichelei, Bewerbung um Pro-
tection und Unterrhünigkeit. Die Grundherrn aber, welche resignirt auf ihre»,
Gute saßen, wurden in der großen Mehrzahl durch alte und neue Leiden schwach
erhalten. Die alte Wehrkraft war verloren, aber das Bedürfniß der Auf¬
regungen war geblieben. Immer waren die Deutschen starke Trinker ge¬
wesen, jetzt wurde die rohe Völlerei, besonders in den Landschaften, welche
nicht selbst Wein bauten, zum herrschenden Laster. Zerrüttete Vermögens¬
verhältnisse, massenhafte Schulden und unerträgliche Processe störten die wenige»
nüchternen Stunden des Tages. Sonst hatte der bewaffnete Schloßherr Rechts-
forderungen mit Lanze und Schwert abgewehrt, jetzt bewirkten die unverständ¬
lichen Formeln pedantischer Juristen mehr, als die beste Eschenstangc; sonst
war es möglich gewesen, lästige Gläubiger niederzureiten, und, wenn sie Bür¬
ger oder Juden waren, gar in den Thurm zu sperren, jetzt hatte der verschul¬
dete Mncherr Mühe zu verhindern, daß er nicht selbst in die Custodia gesetzt
wurde. Zu solchem Aerger kamen allgemeine Leiden. Die Volksstimmung in
Deutschland war um das Ende des 16. Jahrhunderts sehr unerfreulich, muth-
los, grämlich, fast hoffnungslos. Ein großer Theil der Protestanten erwartete
immer noch den jüngsten Tag. das neue Jesuitenthum im Katholicismus
schrie nach dem Blut der Ketzer. Die Schwäche des deutschen Staatskörpers


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[0407] So weit Schärtlin. Es ist anzunehmen, das; der Verkauf für Schärtlin wenigstens pecuniär vortheilhaft war, sicher, aber ist, daß seine Händel mit dem Grafen deshalb nicht aufhörten. Noch Jahre lang verklagten sich die beiden Nachbarn beim Kammergerichb und beim Kaiser, und dazwischen übten sie immer wieder Gewaltthat in Angriff und Vertheidigung. Zuletzt mußten die Gegner vor dem Kaiser selbst einander die Hand reichen. — Um das Ende des 1l>. Jahrhunderts wurden die Gewaltthaten ver adligen Gutsbesitzer anspruchloser und seltener. Der größte Theil von ihnen verwandelte sich in friedliche Landjunker, die fähigern und ärmern suchten Unterkommen an den zahlreichen Höfen. Doch weder für das Selbstgefühl, uoch für die sittliche Kraft des Standes war selbst diese Umwandlung in der näch¬ sten Folgezeit vortheilhaft. In der Jugend des Götz war jeder Landjunker ein Kriegsmann gewesen, denn er war ein Reiter, und die Traditionen des Ritterthum? aalte» auch' noch im großen Kriege. Aber grade damals bereitete sich die große Umwandlung vor, welche das Fußvolk zum Kern der neuen Heere machte, seitdem galt ein erfahrner Landsknecht, der Einfluß auf seine Kame¬ raden hatte, oder ein bürgerlicher Büchsenmeister, der eine Karthauue gut zu richten verstand, dem Kriegsherrn mehr als ein Dutzend undiscipliuirter Jun- ker mit ihren Knechten. Hatte doch die Macht der Fürsten zumeist durch die neue Kriegskunst die Kraft des niedern Adels überwachsen, und die Enkel der freien Neichsritter zu Marschällen und Bedienten der größern Dynasten gemacht. Es kamen neue Wege sein Glück zu machen, Schmeichelei, Bewerbung um Pro- tection und Unterrhünigkeit. Die Grundherrn aber, welche resignirt auf ihre», Gute saßen, wurden in der großen Mehrzahl durch alte und neue Leiden schwach erhalten. Die alte Wehrkraft war verloren, aber das Bedürfniß der Auf¬ regungen war geblieben. Immer waren die Deutschen starke Trinker ge¬ wesen, jetzt wurde die rohe Völlerei, besonders in den Landschaften, welche nicht selbst Wein bauten, zum herrschenden Laster. Zerrüttete Vermögens¬ verhältnisse, massenhafte Schulden und unerträgliche Processe störten die wenige» nüchternen Stunden des Tages. Sonst hatte der bewaffnete Schloßherr Rechts- forderungen mit Lanze und Schwert abgewehrt, jetzt bewirkten die unverständ¬ lichen Formeln pedantischer Juristen mehr, als die beste Eschenstangc; sonst war es möglich gewesen, lästige Gläubiger niederzureiten, und, wenn sie Bür¬ ger oder Juden waren, gar in den Thurm zu sperren, jetzt hatte der verschul¬ dete Mncherr Mühe zu verhindern, daß er nicht selbst in die Custodia gesetzt wurde. Zu solchem Aerger kamen allgemeine Leiden. Die Volksstimmung in Deutschland war um das Ende des 16. Jahrhunderts sehr unerfreulich, muth- los, grämlich, fast hoffnungslos. Ein großer Theil der Protestanten erwartete immer noch den jüngsten Tag. das neue Jesuitenthum im Katholicismus schrie nach dem Blut der Ketzer. Die Schwäche des deutschen Staatskörpers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/407>, abgerufen am 27.07.2024.