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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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klar zu fassen, welches im tiefsten Schacht des Geistes rastlos arbeitet, schafft
und bildet, ohne doch den Zusammenhang mit dem äußern Thun ganz aus¬
zugeben; ein oberflächlicher Beobachter pflegt sich nur an die nach außen ge¬
richtete Thätigkeit zu halten, ohne von dem innern Schaffen etwas zu ahnen)
Auch Mozarts Vater hatte von dieser Organisation kein völliges Verständniß;
er schätzte als Fleiß und Arbeit nur die letzte, eine lange ununterbrochene Kette
geistiger Anstrengungen und Mühen abschließende Thätigkeit, das Niederschreiben,
wodurch allerdings das künstlerische Gebilde erst abgeschlossen wird. Dies
galt aber Mozart selbst als das Unwesentliche, es fiel ihm lästig, weil die
freie Production dabei den geringsten Antheil hatte, er schob es so lange als
möglich auf, nicht allein, weil er sich die Freiheit über ein Kunstwerk, das
ihn innerlich beschäftigte, so lange als möglich vorbehielt, sondern auch, weil
er mehr Befriedigung im Schaffen als im Aufschreiben fand, er schob es dann
auch mitunter zu lange auf. Das mag freilich der geordnete Geschäftsmann
mißbilligen,''zumal wenn er weiß, daß Mozart jederzeit im Stande war, be¬
stellte Arbeit solid und tüchtig zu liefern.

Von seiner ungeheuern Abstractiouskraft beim Componiren und seinem
Gedächtniß nur ein Beispiel. Bei der Uebersendung eines Musikstücks an
seine Schwester entschuldigt er sich, daß das Präludium, welches vor die
Fuge gehöre, hinter derselben geschrieben sei. "Die Ursache aber war, weil ich
die Fuge schon gemacht hatte und sie, unterdessen ich das ^Präludium aus¬
dachte, aufgeschrieben." Er war also im Stande, während er das im Kopf
fertig gemachte Werk, und zwar hier ein Werk in strengster Form, das nur
abzuschreiben schon Aufmerksamkeit erfordert, wie aus einem Fach, in dem es
aufbewahrt lag, hervornahm und niederschrieb, zugleich ein neues Kunstwerk
in Gedanken hervorzubringen; die schaffende und die blos reproducirende Kraft
seines Geistes waren also gleichzeitig nach verschiedener Richtung, in voll¬
kommener Freiheit thätig -- das übersteigt fast die Vorstellung.

Mit einem erhebenden Gefühl legen wir das schöne Buch aus der Hand,
das uns in das edelste Schaffen des menschlichen Geistes, des Geistes, der
mit dem Herzen ganz eins ist, einen tiefen Einblick öffnet; möchte es uns
bald vergönnt sein, die Fortsetzung zu begrüßen! Man erstaunt, wenn man
erfährt, daß Jahr diese Biographie mit der ganzen ungeheuern Arbeit, die
sie einschließt, gewissermaßen in seinen Mußestunden ausführt. Die Studiren-
den in Bonn folgen mit gewinnreicher Aufmerksamkeit seinen Vorlesungen über
alte Kunstgeschichte, die gelehrte Welt erwartet mit Spannung seine Archäologie
(in der Weidmännischen Sammlung), den comvendiarischen Abschluß jener
Studien, in denen er vielleicht jetzt die erste Autorität ist, sür die er in der
Einleitung zu der Münchner Vasensammlung so tief eingehende gelehrte Vor¬
arbeiten geliefert hat. Eine Reihe schöner Verpflichtungen lasten auf ihm,


klar zu fassen, welches im tiefsten Schacht des Geistes rastlos arbeitet, schafft
und bildet, ohne doch den Zusammenhang mit dem äußern Thun ganz aus¬
zugeben; ein oberflächlicher Beobachter pflegt sich nur an die nach außen ge¬
richtete Thätigkeit zu halten, ohne von dem innern Schaffen etwas zu ahnen)
Auch Mozarts Vater hatte von dieser Organisation kein völliges Verständniß;
er schätzte als Fleiß und Arbeit nur die letzte, eine lange ununterbrochene Kette
geistiger Anstrengungen und Mühen abschließende Thätigkeit, das Niederschreiben,
wodurch allerdings das künstlerische Gebilde erst abgeschlossen wird. Dies
galt aber Mozart selbst als das Unwesentliche, es fiel ihm lästig, weil die
freie Production dabei den geringsten Antheil hatte, er schob es so lange als
möglich auf, nicht allein, weil er sich die Freiheit über ein Kunstwerk, das
ihn innerlich beschäftigte, so lange als möglich vorbehielt, sondern auch, weil
er mehr Befriedigung im Schaffen als im Aufschreiben fand, er schob es dann
auch mitunter zu lange auf. Das mag freilich der geordnete Geschäftsmann
mißbilligen,''zumal wenn er weiß, daß Mozart jederzeit im Stande war, be¬
stellte Arbeit solid und tüchtig zu liefern.

Von seiner ungeheuern Abstractiouskraft beim Componiren und seinem
Gedächtniß nur ein Beispiel. Bei der Uebersendung eines Musikstücks an
seine Schwester entschuldigt er sich, daß das Präludium, welches vor die
Fuge gehöre, hinter derselben geschrieben sei. „Die Ursache aber war, weil ich
die Fuge schon gemacht hatte und sie, unterdessen ich das ^Präludium aus¬
dachte, aufgeschrieben." Er war also im Stande, während er das im Kopf
fertig gemachte Werk, und zwar hier ein Werk in strengster Form, das nur
abzuschreiben schon Aufmerksamkeit erfordert, wie aus einem Fach, in dem es
aufbewahrt lag, hervornahm und niederschrieb, zugleich ein neues Kunstwerk
in Gedanken hervorzubringen; die schaffende und die blos reproducirende Kraft
seines Geistes waren also gleichzeitig nach verschiedener Richtung, in voll¬
kommener Freiheit thätig — das übersteigt fast die Vorstellung.

Mit einem erhebenden Gefühl legen wir das schöne Buch aus der Hand,
das uns in das edelste Schaffen des menschlichen Geistes, des Geistes, der
mit dem Herzen ganz eins ist, einen tiefen Einblick öffnet; möchte es uns
bald vergönnt sein, die Fortsetzung zu begrüßen! Man erstaunt, wenn man
erfährt, daß Jahr diese Biographie mit der ganzen ungeheuern Arbeit, die
sie einschließt, gewissermaßen in seinen Mußestunden ausführt. Die Studiren-
den in Bonn folgen mit gewinnreicher Aufmerksamkeit seinen Vorlesungen über
alte Kunstgeschichte, die gelehrte Welt erwartet mit Spannung seine Archäologie
(in der Weidmännischen Sammlung), den comvendiarischen Abschluß jener
Studien, in denen er vielleicht jetzt die erste Autorität ist, sür die er in der
Einleitung zu der Münchner Vasensammlung so tief eingehende gelehrte Vor¬
arbeiten geliefert hat. Eine Reihe schöner Verpflichtungen lasten auf ihm,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/38>, abgerufen am 22.12.2024.