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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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festigt, daß er sich drehen läßt. --Nun folgen: t. der Engel. 2. Joseph und
Maria, die dann auch die Eva spielt, immer von einem Burschen vertreten.
3. Die drei Könige. 4. Herodes. 5. Der Teufel. 6. Hohepriester und Schrift-
gelehrte. Juden. 7. Hauptmann des Herodes, der ein schöner Mann sein
muß, weil von jeher der Hauptmann im Fastnachtsspiel die schöne Schneiderin
geben muß. Aus Wanderungen trägt er den Stern und spielt eine besondere
Rolle. 8. Anderer Hauptmann und Lakei des Herodes. ö. Hirten. Lakeien
und Pagen.

Dieselben Personen spielen auch die Rollen der andern Spiele. -- Der
Altkünig (Melchort) spielt Gott Vater im Paradeisspiel, Kaspar den Adam.
Maria die Eva; doch dürfen diese heiligen Personen durchaus nicht im Fast¬
nachtspiel verwendet werden. -- Als einmal der Hauptmann die Schneiderin
nicht spielen konnte, mußtx die Rolle der letztern der Lehrmeister selbst über¬
nehmen: für Maria-Eva wäre es eine Sünde gewesen. -- Während des
Auszuges wird nun ein Lied gesungen: "das Auszugsgcsang" (das Gesang
vrg. Schmellerlll, 270). Dies Lied ist nicht vorgeschrieben. Im Jahre 1853
und 185" sang man: "Elias der prophetische Mann" ze. 10 Strophen. --
Wenn sie vor dem Spielsale (im Gasthaus) angelangt sind, beginnt "der
Altkünig" "das Sterngesang", ein sehr merkwürdiges Lied, das noch ganz
den Geist derjenigen wackeren Singer athmet, aus deren Mitte unser ehrwür¬
diges Denkmal volksthümlicher Kunst hervorgegangen ist. Auffallend ist dabei
die Erwähnung eines "Maistersingers", worunter jetzt der Altkünig, der
das Solo hat, verstanden wird, indem'der "Lehrmaister" alle unterrichtet,
selbst aber nicht mitsinge und auch nicht spielt. -- Die andern werden von
ihm als "Singer" angeredet:


Ihr lieben meine fingcr fangts tapfer an,
zu grücßcn wolln wirs heben an!

Die durchaus naive volksmäßige Haltung des Ganzen, mit dunklen,
geheimnißvollen Beziehungen zum Naturleben, die für den Mythologen be¬
achtenswert!) sind, untermischt, versetzen uns in eine ganz andere W^le und
Zeit. In eine Welt, wo weder Gelehrsamkeit noch Kunstdichtung merklich
eingewirkt hat und noch alles unbewußte Poesie athmet.

Diejenigen der Anwesenden, die gegrüßt werden, nehmen immer den
Hut ab. So bei Zeile 27 die ganze Gemeinde, die um die Sänger ver¬
sammelt ist. was sich sehr feierlich macht. Wenn der Stern angesungen wird,
erhält er einen Schwung, daß er sich dreht.

Nach dem Sterngesang treten die Spieler, indem sie singen: "Unsern
Eingang segne Gott" ze. in den Saal, wo bei der Eingangsthüre ein Raum
durch einen Vorhang abgesondert ist. Dies ist sonderbarerweise das An¬
kleidezimmer, so daß die Zuschauer durch dasselbe eintreten. Während dem


festigt, daß er sich drehen läßt. —Nun folgen: t. der Engel. 2. Joseph und
Maria, die dann auch die Eva spielt, immer von einem Burschen vertreten.
3. Die drei Könige. 4. Herodes. 5. Der Teufel. 6. Hohepriester und Schrift-
gelehrte. Juden. 7. Hauptmann des Herodes, der ein schöner Mann sein
muß, weil von jeher der Hauptmann im Fastnachtsspiel die schöne Schneiderin
geben muß. Aus Wanderungen trägt er den Stern und spielt eine besondere
Rolle. 8. Anderer Hauptmann und Lakei des Herodes. ö. Hirten. Lakeien
und Pagen.

Dieselben Personen spielen auch die Rollen der andern Spiele. — Der
Altkünig (Melchort) spielt Gott Vater im Paradeisspiel, Kaspar den Adam.
Maria die Eva; doch dürfen diese heiligen Personen durchaus nicht im Fast¬
nachtspiel verwendet werden. — Als einmal der Hauptmann die Schneiderin
nicht spielen konnte, mußtx die Rolle der letztern der Lehrmeister selbst über¬
nehmen: für Maria-Eva wäre es eine Sünde gewesen. — Während des
Auszuges wird nun ein Lied gesungen: „das Auszugsgcsang" (das Gesang
vrg. Schmellerlll, 270). Dies Lied ist nicht vorgeschrieben. Im Jahre 1853
und 185« sang man: „Elias der prophetische Mann" ze. 10 Strophen. —
Wenn sie vor dem Spielsale (im Gasthaus) angelangt sind, beginnt „der
Altkünig" „das Sterngesang", ein sehr merkwürdiges Lied, das noch ganz
den Geist derjenigen wackeren Singer athmet, aus deren Mitte unser ehrwür¬
diges Denkmal volksthümlicher Kunst hervorgegangen ist. Auffallend ist dabei
die Erwähnung eines „Maistersingers", worunter jetzt der Altkünig, der
das Solo hat, verstanden wird, indem'der „Lehrmaister" alle unterrichtet,
selbst aber nicht mitsinge und auch nicht spielt. -- Die andern werden von
ihm als „Singer" angeredet:


Ihr lieben meine fingcr fangts tapfer an,
zu grücßcn wolln wirs heben an!

Die durchaus naive volksmäßige Haltung des Ganzen, mit dunklen,
geheimnißvollen Beziehungen zum Naturleben, die für den Mythologen be¬
achtenswert!) sind, untermischt, versetzen uns in eine ganz andere W^le und
Zeit. In eine Welt, wo weder Gelehrsamkeit noch Kunstdichtung merklich
eingewirkt hat und noch alles unbewußte Poesie athmet.

Diejenigen der Anwesenden, die gegrüßt werden, nehmen immer den
Hut ab. So bei Zeile 27 die ganze Gemeinde, die um die Sänger ver¬
sammelt ist. was sich sehr feierlich macht. Wenn der Stern angesungen wird,
erhält er einen Schwung, daß er sich dreht.

Nach dem Sterngesang treten die Spieler, indem sie singen: „Unsern
Eingang segne Gott" ze. in den Saal, wo bei der Eingangsthüre ein Raum
durch einen Vorhang abgesondert ist. Dies ist sonderbarerweise das An¬
kleidezimmer, so daß die Zuschauer durch dasselbe eintreten. Während dem


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[0365] festigt, daß er sich drehen läßt. —Nun folgen: t. der Engel. 2. Joseph und Maria, die dann auch die Eva spielt, immer von einem Burschen vertreten. 3. Die drei Könige. 4. Herodes. 5. Der Teufel. 6. Hohepriester und Schrift- gelehrte. Juden. 7. Hauptmann des Herodes, der ein schöner Mann sein muß, weil von jeher der Hauptmann im Fastnachtsspiel die schöne Schneiderin geben muß. Aus Wanderungen trägt er den Stern und spielt eine besondere Rolle. 8. Anderer Hauptmann und Lakei des Herodes. ö. Hirten. Lakeien und Pagen. Dieselben Personen spielen auch die Rollen der andern Spiele. — Der Altkünig (Melchort) spielt Gott Vater im Paradeisspiel, Kaspar den Adam. Maria die Eva; doch dürfen diese heiligen Personen durchaus nicht im Fast¬ nachtspiel verwendet werden. — Als einmal der Hauptmann die Schneiderin nicht spielen konnte, mußtx die Rolle der letztern der Lehrmeister selbst über¬ nehmen: für Maria-Eva wäre es eine Sünde gewesen. — Während des Auszuges wird nun ein Lied gesungen: „das Auszugsgcsang" (das Gesang vrg. Schmellerlll, 270). Dies Lied ist nicht vorgeschrieben. Im Jahre 1853 und 185« sang man: „Elias der prophetische Mann" ze. 10 Strophen. — Wenn sie vor dem Spielsale (im Gasthaus) angelangt sind, beginnt „der Altkünig" „das Sterngesang", ein sehr merkwürdiges Lied, das noch ganz den Geist derjenigen wackeren Singer athmet, aus deren Mitte unser ehrwür¬ diges Denkmal volksthümlicher Kunst hervorgegangen ist. Auffallend ist dabei die Erwähnung eines „Maistersingers", worunter jetzt der Altkünig, der das Solo hat, verstanden wird, indem'der „Lehrmaister" alle unterrichtet, selbst aber nicht mitsinge und auch nicht spielt. -- Die andern werden von ihm als „Singer" angeredet: Ihr lieben meine fingcr fangts tapfer an, zu grücßcn wolln wirs heben an! Die durchaus naive volksmäßige Haltung des Ganzen, mit dunklen, geheimnißvollen Beziehungen zum Naturleben, die für den Mythologen be¬ achtenswert!) sind, untermischt, versetzen uns in eine ganz andere W^le und Zeit. In eine Welt, wo weder Gelehrsamkeit noch Kunstdichtung merklich eingewirkt hat und noch alles unbewußte Poesie athmet. Diejenigen der Anwesenden, die gegrüßt werden, nehmen immer den Hut ab. So bei Zeile 27 die ganze Gemeinde, die um die Sänger ver¬ sammelt ist. was sich sehr feierlich macht. Wenn der Stern angesungen wird, erhält er einen Schwung, daß er sich dreht. Nach dem Sterngesang treten die Spieler, indem sie singen: „Unsern Eingang segne Gott" ze. in den Saal, wo bei der Eingangsthüre ein Raum durch einen Vorhang abgesondert ist. Dies ist sonderbarerweise das An¬ kleidezimmer, so daß die Zuschauer durch dasselbe eintreten. Während dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/365>, abgerufen am 22.12.2024.