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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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sich in demselben Form und Inhalt durchdrungen haben. Ein unfertiges, ein
romantisches Werk bietet Handhaben genug, dem subjectiven Ursprung auf
die Spur zu kommen, denn das Unvollständige, das Jrrationelle läßt sich er¬
messen, aber wo der Stoff vollständig von der Idee gesättigt ist. stehen wir
wie vor einem Naturprodukt, wir können es Wohl auseinandernehmen, aber
es nicht als ein Unfertiges, allmälig Entstehendes uns vorstellen.

Diese Schwierigkeiten sind groß, aber wie man sie wenigstens bis zu
einer gewissen Grenze überwinden kann, lehrt am besten die Arbeit Jahns.
Mozart liebte es zwar nicht, über seine eigne Thätigkeit zu reflectiren, doch
stand er in seiner offenen, heitern Weise gern und willig Rede und setzte
fremder Wahrnehmung keine Hülle entgegen. Er ist viel beobachtet worden,
und wenn auch der Unverstand aus einzelnen Thatsachen die unsinnigsten
Folgerungen gezogen hat, so bleiben doch die Thatsachen selbst bestehn. und
wer mit der Natur des Genius vertraut ist, kann daraus wichtige Schlüsse
herleiten, um so mehr, da Mozart in seinen Briefen sich selbst sehr treu por-
traitirt. Zudem sind von ihm zahlreiche Handschriften von Entwürfen, kleine
Aufzeichnungen zur Beihilfe seines Gedächtnisses u. s. w. vorhanden, und
hier zeigt sich, was philologische Gewissenhaftigkeit vermag, wenn sie mit
tiefeindringendem Verständniß verbunden ist. Jahr hat eine bewunderns¬
würdige Arbeit darauf verwandt, diese Zettelchen zu sammeln, zu studiren. zu
vergleichen; selbst die Art der Handschrift entgeht ihm nicht; was aber für
einen Pedanten ein leerer Notizenkram geblieben wäre, wird für ihn das
Material zu einem kunstvoll zusammengefügten Gebäude. Jahr hat sich die
Studien unserer großen Dichter, namentlich Goethes und Schillers, über d,e
Natur ihrer Kunst, wohl zu Nutze gemacht, und da er selbst soweit productiv
ist- um das Verhältniß des musikalischen Schaffens zum künstlerischen Schaffen
überhaupt klar aufzufassen, so eröffnet er in das Wesen des Genius eine Per¬
spektive, die ebenso entzückt als überrascht. Was unsere Aesthetik an objec¬
tiven Gesetzen ausgestellt hat, läßt noch immer viel zu wünschen übrig; in
der transcendentalen Seite dieser Wissenschaft dagegen, die sich mit dem Ver¬
hältniß des Subjects zum Object beschäftigt, sind wir namentlich durch Goethe
und Schiller bereits sehr weit gekommen.

Den Mittelpunkt dieser Analyse bildet ein Brief Mozarts, welchen
Rochlitz mittheilt. Aus verschiedenen äußern Widersprüchen hat Jahr zu er¬
örtern gesucht, daß der Brief interpolirt sein müsse; wenn wir einem so be¬
währten Kenner gegenüber mit einer eigenen Ansicht hervortreten dürfen, so
würden wir noch weiter gehn, wir würden behaupten, daß ihn Mozart gar
nicht geschrieben hat. wenn er auch unzweifelhaft das Richtige trifft. In
Mozarts übrigen Briefen herrscht eine reizende, ganz ursprüngliche Naivetät;
auch in diesem Brief ist freilich der Ton naiv, aber so, wie ihn ein geistreicher


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sich in demselben Form und Inhalt durchdrungen haben. Ein unfertiges, ein
romantisches Werk bietet Handhaben genug, dem subjectiven Ursprung auf
die Spur zu kommen, denn das Unvollständige, das Jrrationelle läßt sich er¬
messen, aber wo der Stoff vollständig von der Idee gesättigt ist. stehen wir
wie vor einem Naturprodukt, wir können es Wohl auseinandernehmen, aber
es nicht als ein Unfertiges, allmälig Entstehendes uns vorstellen.

Diese Schwierigkeiten sind groß, aber wie man sie wenigstens bis zu
einer gewissen Grenze überwinden kann, lehrt am besten die Arbeit Jahns.
Mozart liebte es zwar nicht, über seine eigne Thätigkeit zu reflectiren, doch
stand er in seiner offenen, heitern Weise gern und willig Rede und setzte
fremder Wahrnehmung keine Hülle entgegen. Er ist viel beobachtet worden,
und wenn auch der Unverstand aus einzelnen Thatsachen die unsinnigsten
Folgerungen gezogen hat, so bleiben doch die Thatsachen selbst bestehn. und
wer mit der Natur des Genius vertraut ist, kann daraus wichtige Schlüsse
herleiten, um so mehr, da Mozart in seinen Briefen sich selbst sehr treu por-
traitirt. Zudem sind von ihm zahlreiche Handschriften von Entwürfen, kleine
Aufzeichnungen zur Beihilfe seines Gedächtnisses u. s. w. vorhanden, und
hier zeigt sich, was philologische Gewissenhaftigkeit vermag, wenn sie mit
tiefeindringendem Verständniß verbunden ist. Jahr hat eine bewunderns¬
würdige Arbeit darauf verwandt, diese Zettelchen zu sammeln, zu studiren. zu
vergleichen; selbst die Art der Handschrift entgeht ihm nicht; was aber für
einen Pedanten ein leerer Notizenkram geblieben wäre, wird für ihn das
Material zu einem kunstvoll zusammengefügten Gebäude. Jahr hat sich die
Studien unserer großen Dichter, namentlich Goethes und Schillers, über d,e
Natur ihrer Kunst, wohl zu Nutze gemacht, und da er selbst soweit productiv
ist- um das Verhältniß des musikalischen Schaffens zum künstlerischen Schaffen
überhaupt klar aufzufassen, so eröffnet er in das Wesen des Genius eine Per¬
spektive, die ebenso entzückt als überrascht. Was unsere Aesthetik an objec¬
tiven Gesetzen ausgestellt hat, läßt noch immer viel zu wünschen übrig; in
der transcendentalen Seite dieser Wissenschaft dagegen, die sich mit dem Ver¬
hältniß des Subjects zum Object beschäftigt, sind wir namentlich durch Goethe
und Schiller bereits sehr weit gekommen.

Den Mittelpunkt dieser Analyse bildet ein Brief Mozarts, welchen
Rochlitz mittheilt. Aus verschiedenen äußern Widersprüchen hat Jahr zu er¬
örtern gesucht, daß der Brief interpolirt sein müsse; wenn wir einem so be¬
währten Kenner gegenüber mit einer eigenen Ansicht hervortreten dürfen, so
würden wir noch weiter gehn, wir würden behaupten, daß ihn Mozart gar
nicht geschrieben hat. wenn er auch unzweifelhaft das Richtige trifft. In
Mozarts übrigen Briefen herrscht eine reizende, ganz ursprüngliche Naivetät;
auch in diesem Brief ist freilich der Ton naiv, aber so, wie ihn ein geistreicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/35>, abgerufen am 22.12.2024.