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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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eigenen Ausdauer im Unglück her. Nur waren sie bei Belagerungen inso¬
fern sehr im Nachtheil, als sie nicht verstanden mit Belagerungsgeschütz um¬
zugehen, welche Waffe die Römer zu einer hohen Vollkommenheit entwickelt
hatten. Sie lernten es erst während der letzten Belagerung von Jerusalem.

Wenn unter diesen Umständen das Gelingen des Aufstandes schon mehr
als zweifelhaft war, so wurde es durch das Uebel gradezu unmöglich, an
dem die jüdische Nation von jeher gekränkt hatte, durch das sie in die Gewalt
Roms gerathen war und das ihr nun für immer den Untergang bereitete:
innere Zwietracht und Anarchie infolge politischer und religiöser Spaltungen,
Zeloten'und Gemäßigte, Kriegs- und Friedenspartei führten auch seit-dem
Ausbruch der Empörung im ganzen Lande einen Bürgerkrieg bis aufs Messer.
Die Gährung dieser wie jeder Revolution hatte natürlich die unlautersten
Elemente nach oben gebracht. Die sogenannten Sicarier d. i. Mörder, der
Auswurf der Zelotenpartei, wüthete mit Mord und Plünderung gegen alle
wirklichen oder angeblichen Römerfreunde. In Jerusalem hausten, die Ge¬
mäßigten abgerechnet, vier verschiedene Parteien, die sich in verschiedenen
Quartieren verschanzten, sich förmliche Schlachten lieferten, die Stadt mit Zer¬
störung und Brand verwüsteten und in selbstmörderischen Wahnsinn ihre
kolossalen Getreidevorräthe vernichteten. Josephus Schilderungen sind hier
natürlich am wenigsten zuverlässig; denn abgesehen davon, daß er die Vor¬
gänge im Innern der belagerten Stadt nur von Hörensagen berichtet, hatte
er ein nur zu dringendes Interesse, die Vertheidiger Jerusalems als fanatisirte
Räuberbanden darzustellen. Tacitus Darstellung (feine Historien sind leider
nur bis zum Anfang der Belagerung erhalten) würde hier von unschätzbarem
Werthe sein; doch so viel wissen wir auch durch ihn, daß die Vertheidigung
nicht etwa durch eine Minorität geführt wurde, während die Majorität in
ohnmächtiger Theilnahmlosigkeit zuschaute: sondern daß alle Waffenfähigen
mit beispielloser Todesverachtung kämpften, und daß auch Frauen und
Kinder an dem Kampfe Theil nahmen. Wie viel auf Josephus tugendhafte
Entrüstung über die Schändlichkeit der Zeloten zu geben ist, können wir
gelegentlich beurtheilen. Als ein ungeheures Verbrechen berichtet er, daß
Johannes von Gischala goldene Tempelgeschenke einschmclzen ließ, ja daß er
sogar (man denke!) nicht einmal die von August und seiner Gemahlin ge¬
stifteten Weinkammer schonte, und daß er heiliges Oel und Wein unter das
hungrige Volk vertheilen ließ. Hiermit, fügt der Pharisäer mit frommem
Augenverdrehen hinzu, habe die gottlose Frevlerhrut mehr als Sodoms
Schicksal verdient. Doch das ist freilich unzweifelhaft, daß erst zu Anfang
der Belagerung in Jerusalem zwischen den fechtenden Parteien eine noth¬
dürftige Eintracht hergestellt wurde und daß vor und während der Belagerung
in der unglücklichen Stadt ein furchtbarer Terrorismus herrschte.


eigenen Ausdauer im Unglück her. Nur waren sie bei Belagerungen inso¬
fern sehr im Nachtheil, als sie nicht verstanden mit Belagerungsgeschütz um¬
zugehen, welche Waffe die Römer zu einer hohen Vollkommenheit entwickelt
hatten. Sie lernten es erst während der letzten Belagerung von Jerusalem.

Wenn unter diesen Umständen das Gelingen des Aufstandes schon mehr
als zweifelhaft war, so wurde es durch das Uebel gradezu unmöglich, an
dem die jüdische Nation von jeher gekränkt hatte, durch das sie in die Gewalt
Roms gerathen war und das ihr nun für immer den Untergang bereitete:
innere Zwietracht und Anarchie infolge politischer und religiöser Spaltungen,
Zeloten'und Gemäßigte, Kriegs- und Friedenspartei führten auch seit-dem
Ausbruch der Empörung im ganzen Lande einen Bürgerkrieg bis aufs Messer.
Die Gährung dieser wie jeder Revolution hatte natürlich die unlautersten
Elemente nach oben gebracht. Die sogenannten Sicarier d. i. Mörder, der
Auswurf der Zelotenpartei, wüthete mit Mord und Plünderung gegen alle
wirklichen oder angeblichen Römerfreunde. In Jerusalem hausten, die Ge¬
mäßigten abgerechnet, vier verschiedene Parteien, die sich in verschiedenen
Quartieren verschanzten, sich förmliche Schlachten lieferten, die Stadt mit Zer¬
störung und Brand verwüsteten und in selbstmörderischen Wahnsinn ihre
kolossalen Getreidevorräthe vernichteten. Josephus Schilderungen sind hier
natürlich am wenigsten zuverlässig; denn abgesehen davon, daß er die Vor¬
gänge im Innern der belagerten Stadt nur von Hörensagen berichtet, hatte
er ein nur zu dringendes Interesse, die Vertheidiger Jerusalems als fanatisirte
Räuberbanden darzustellen. Tacitus Darstellung (feine Historien sind leider
nur bis zum Anfang der Belagerung erhalten) würde hier von unschätzbarem
Werthe sein; doch so viel wissen wir auch durch ihn, daß die Vertheidigung
nicht etwa durch eine Minorität geführt wurde, während die Majorität in
ohnmächtiger Theilnahmlosigkeit zuschaute: sondern daß alle Waffenfähigen
mit beispielloser Todesverachtung kämpften, und daß auch Frauen und
Kinder an dem Kampfe Theil nahmen. Wie viel auf Josephus tugendhafte
Entrüstung über die Schändlichkeit der Zeloten zu geben ist, können wir
gelegentlich beurtheilen. Als ein ungeheures Verbrechen berichtet er, daß
Johannes von Gischala goldene Tempelgeschenke einschmclzen ließ, ja daß er
sogar (man denke!) nicht einmal die von August und seiner Gemahlin ge¬
stifteten Weinkammer schonte, und daß er heiliges Oel und Wein unter das
hungrige Volk vertheilen ließ. Hiermit, fügt der Pharisäer mit frommem
Augenverdrehen hinzu, habe die gottlose Frevlerhrut mehr als Sodoms
Schicksal verdient. Doch das ist freilich unzweifelhaft, daß erst zu Anfang
der Belagerung in Jerusalem zwischen den fechtenden Parteien eine noth¬
dürftige Eintracht hergestellt wurde und daß vor und während der Belagerung
in der unglücklichen Stadt ein furchtbarer Terrorismus herrschte.


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[0349] eigenen Ausdauer im Unglück her. Nur waren sie bei Belagerungen inso¬ fern sehr im Nachtheil, als sie nicht verstanden mit Belagerungsgeschütz um¬ zugehen, welche Waffe die Römer zu einer hohen Vollkommenheit entwickelt hatten. Sie lernten es erst während der letzten Belagerung von Jerusalem. Wenn unter diesen Umständen das Gelingen des Aufstandes schon mehr als zweifelhaft war, so wurde es durch das Uebel gradezu unmöglich, an dem die jüdische Nation von jeher gekränkt hatte, durch das sie in die Gewalt Roms gerathen war und das ihr nun für immer den Untergang bereitete: innere Zwietracht und Anarchie infolge politischer und religiöser Spaltungen, Zeloten'und Gemäßigte, Kriegs- und Friedenspartei führten auch seit-dem Ausbruch der Empörung im ganzen Lande einen Bürgerkrieg bis aufs Messer. Die Gährung dieser wie jeder Revolution hatte natürlich die unlautersten Elemente nach oben gebracht. Die sogenannten Sicarier d. i. Mörder, der Auswurf der Zelotenpartei, wüthete mit Mord und Plünderung gegen alle wirklichen oder angeblichen Römerfreunde. In Jerusalem hausten, die Ge¬ mäßigten abgerechnet, vier verschiedene Parteien, die sich in verschiedenen Quartieren verschanzten, sich förmliche Schlachten lieferten, die Stadt mit Zer¬ störung und Brand verwüsteten und in selbstmörderischen Wahnsinn ihre kolossalen Getreidevorräthe vernichteten. Josephus Schilderungen sind hier natürlich am wenigsten zuverlässig; denn abgesehen davon, daß er die Vor¬ gänge im Innern der belagerten Stadt nur von Hörensagen berichtet, hatte er ein nur zu dringendes Interesse, die Vertheidiger Jerusalems als fanatisirte Räuberbanden darzustellen. Tacitus Darstellung (feine Historien sind leider nur bis zum Anfang der Belagerung erhalten) würde hier von unschätzbarem Werthe sein; doch so viel wissen wir auch durch ihn, daß die Vertheidigung nicht etwa durch eine Minorität geführt wurde, während die Majorität in ohnmächtiger Theilnahmlosigkeit zuschaute: sondern daß alle Waffenfähigen mit beispielloser Todesverachtung kämpften, und daß auch Frauen und Kinder an dem Kampfe Theil nahmen. Wie viel auf Josephus tugendhafte Entrüstung über die Schändlichkeit der Zeloten zu geben ist, können wir gelegentlich beurtheilen. Als ein ungeheures Verbrechen berichtet er, daß Johannes von Gischala goldene Tempelgeschenke einschmclzen ließ, ja daß er sogar (man denke!) nicht einmal die von August und seiner Gemahlin ge¬ stifteten Weinkammer schonte, und daß er heiliges Oel und Wein unter das hungrige Volk vertheilen ließ. Hiermit, fügt der Pharisäer mit frommem Augenverdrehen hinzu, habe die gottlose Frevlerhrut mehr als Sodoms Schicksal verdient. Doch das ist freilich unzweifelhaft, daß erst zu Anfang der Belagerung in Jerusalem zwischen den fechtenden Parteien eine noth¬ dürftige Eintracht hergestellt wurde und daß vor und während der Belagerung in der unglücklichen Stadt ein furchtbarer Terrorismus herrschte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/349>, abgerufen am 28.07.2024.