Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

noch das ändert, lieber Freund; ich sage Ihnen nur die Wahrheit. Ich
werde sie nicht auf offener Straße verkünden, aber unsere alte Freundschaft
und das zwischen uns bestehende Vertrauen berechtigen mich, ahne Rückhalt
zu Ihnen zu spreche". Was ich sage ist nur zu wahr, und ich nehme Sie
zum Zeugen meiner Prophezeihung. Und darauf entwickelte er mir seine Ideen,
indem er von der Wunderlichkeit der Projecte des Kaisers, von ihrer Unbe¬
ständigkeit und Unvereinbarkeit, von ihrer riesigen Ausdehnung u, s, w. sprach;
er entwarf ein Bild, welches die Ereignisse nur zu sehr gerechtfertigt. Mehr
als einengt seit der Restauration habe ich Dec";s an unser Gespräch und
seine überraschende, aber sehr traurige Prophezeihung erinnert,"

Zur Zeit dieses Gesprächs hatte Marmont schou einige Mal sehr ernst¬
hafte Zurechtweisungen empfangen. Napoleon, der seinen Generalen inner¬
halb ihrer Sphäre einen sehr großen Spielraum selbstständiger Action ver¬
stattete, verlangte nicht blos einen pünktlichen Gehorsam, sondern auch eine
schnelle, durchgreifende Entschlossenheit, die nothwendig war, wenn die höchst
verwickelten Operationen seiner Armeen, die zum großen Theil auf die Pünkt¬
lichkeit der Bewegungen berechnet waren, Erfolg haben sollten. Wenn er
mit dem Gehorsam oder auch mit der Einsicht eines seiner Untergebenen un¬
zufrieden war, so ersparte er ihm niemals eine scharfe Zurechtweisung, und
da wir die Art und Weise kennen gelernt haben, wie Katharina II. mit
ihren Werkzeugen umging, so möge hier eins der zahlreichen Billets Platz
finden, in welchen dem Marschall Marmont in Erinnerung gebracht wird,
d5ß das Auge des Herrn auf ihm ruht. (16. Mai 1808.) "Herr General
Marmont, in der Verwaltung meiner Armee von Dalmatien kommen viele
Unordnungen vor. Sie haben einen Eingriff in die Kasse von beinah
400,000 Fr. autorisire. Dennoch betrug der Ihnen zur Disposition gestellte
Credit für die Arbeiten des Geniecorps und der Artillerie 400,000 Fr. Dies
ist eine beträchtliche Summe, wie ,kommt es, daß sie nicht zugereicht hat?
Dalmatien kostet mich eine ungeheure Summe; es ist gar keine Regelmäßig¬
keit befolgt und das alles bringt eine Unordnung in die Finanzen, an die
man nicht mehr gewöhnt ist. Der Zahlmeister ist sür alle diese Summen
verantwortlich; ich habe seine Abberufung befohlen, und es müssen schnell
alle Papiere eingesandt werden, die zur Controle seiner Rechnungen dienen
können. Doch, rechtfertigt alles dies die Ausgabe nicht. Sie haben nicht
das Recht, über einen Sou zu disponiren. den Ihnen, der Minister nicht zur
Verfügung gestellt hat. Wenn Sie einen Credit brauchen, so müssen Sie
darum nachsuchen," -- Der Brief erinnert stark um das Abberusungsschreiben.
welches Siepers empfing, aber grade in ihm stellt sich auch der Gegeusab
zwischen den beiden unumschränkten Monarchien deutlich aus Licht. Zunächst
ist Napoleons Horn nie ohne hinreichenden Grund. Wenn er auch im Aus-


noch das ändert, lieber Freund; ich sage Ihnen nur die Wahrheit. Ich
werde sie nicht auf offener Straße verkünden, aber unsere alte Freundschaft
und das zwischen uns bestehende Vertrauen berechtigen mich, ahne Rückhalt
zu Ihnen zu spreche». Was ich sage ist nur zu wahr, und ich nehme Sie
zum Zeugen meiner Prophezeihung. Und darauf entwickelte er mir seine Ideen,
indem er von der Wunderlichkeit der Projecte des Kaisers, von ihrer Unbe¬
ständigkeit und Unvereinbarkeit, von ihrer riesigen Ausdehnung u, s, w. sprach;
er entwarf ein Bild, welches die Ereignisse nur zu sehr gerechtfertigt. Mehr
als einengt seit der Restauration habe ich Dec«;s an unser Gespräch und
seine überraschende, aber sehr traurige Prophezeihung erinnert,"

Zur Zeit dieses Gesprächs hatte Marmont schou einige Mal sehr ernst¬
hafte Zurechtweisungen empfangen. Napoleon, der seinen Generalen inner¬
halb ihrer Sphäre einen sehr großen Spielraum selbstständiger Action ver¬
stattete, verlangte nicht blos einen pünktlichen Gehorsam, sondern auch eine
schnelle, durchgreifende Entschlossenheit, die nothwendig war, wenn die höchst
verwickelten Operationen seiner Armeen, die zum großen Theil auf die Pünkt¬
lichkeit der Bewegungen berechnet waren, Erfolg haben sollten. Wenn er
mit dem Gehorsam oder auch mit der Einsicht eines seiner Untergebenen un¬
zufrieden war, so ersparte er ihm niemals eine scharfe Zurechtweisung, und
da wir die Art und Weise kennen gelernt haben, wie Katharina II. mit
ihren Werkzeugen umging, so möge hier eins der zahlreichen Billets Platz
finden, in welchen dem Marschall Marmont in Erinnerung gebracht wird,
d5ß das Auge des Herrn auf ihm ruht. (16. Mai 1808.) „Herr General
Marmont, in der Verwaltung meiner Armee von Dalmatien kommen viele
Unordnungen vor. Sie haben einen Eingriff in die Kasse von beinah
400,000 Fr. autorisire. Dennoch betrug der Ihnen zur Disposition gestellte
Credit für die Arbeiten des Geniecorps und der Artillerie 400,000 Fr. Dies
ist eine beträchtliche Summe, wie ,kommt es, daß sie nicht zugereicht hat?
Dalmatien kostet mich eine ungeheure Summe; es ist gar keine Regelmäßig¬
keit befolgt und das alles bringt eine Unordnung in die Finanzen, an die
man nicht mehr gewöhnt ist. Der Zahlmeister ist sür alle diese Summen
verantwortlich; ich habe seine Abberufung befohlen, und es müssen schnell
alle Papiere eingesandt werden, die zur Controle seiner Rechnungen dienen
können. Doch, rechtfertigt alles dies die Ausgabe nicht. Sie haben nicht
das Recht, über einen Sou zu disponiren. den Ihnen, der Minister nicht zur
Verfügung gestellt hat. Wenn Sie einen Credit brauchen, so müssen Sie
darum nachsuchen," — Der Brief erinnert stark um das Abberusungsschreiben.
welches Siepers empfing, aber grade in ihm stellt sich auch der Gegeusab
zwischen den beiden unumschränkten Monarchien deutlich aus Licht. Zunächst
ist Napoleons Horn nie ohne hinreichenden Grund. Wenn er auch im Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105611"/>
          <p xml:id="ID_859" prev="#ID_858"> noch das ändert, lieber Freund; ich sage Ihnen nur die Wahrheit. Ich<lb/>
werde sie nicht auf offener Straße verkünden, aber unsere alte Freundschaft<lb/>
und das zwischen uns bestehende Vertrauen berechtigen mich, ahne Rückhalt<lb/>
zu Ihnen zu spreche». Was ich sage ist nur zu wahr, und ich nehme Sie<lb/>
zum Zeugen meiner Prophezeihung. Und darauf entwickelte er mir seine Ideen,<lb/>
indem er von der Wunderlichkeit der Projecte des Kaisers, von ihrer Unbe¬<lb/>
ständigkeit und Unvereinbarkeit, von ihrer riesigen Ausdehnung u, s, w. sprach;<lb/>
er entwarf ein Bild, welches die Ereignisse nur zu sehr gerechtfertigt. Mehr<lb/>
als einengt seit der Restauration habe ich Dec«;s an unser Gespräch und<lb/>
seine überraschende, aber sehr traurige Prophezeihung erinnert,"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860" next="#ID_861"> Zur Zeit dieses Gesprächs hatte Marmont schou einige Mal sehr ernst¬<lb/>
hafte Zurechtweisungen empfangen. Napoleon, der seinen Generalen inner¬<lb/>
halb ihrer Sphäre einen sehr großen Spielraum selbstständiger Action ver¬<lb/>
stattete, verlangte nicht blos einen pünktlichen Gehorsam, sondern auch eine<lb/>
schnelle, durchgreifende Entschlossenheit, die nothwendig war, wenn die höchst<lb/>
verwickelten Operationen seiner Armeen, die zum großen Theil auf die Pünkt¬<lb/>
lichkeit der Bewegungen berechnet waren, Erfolg haben sollten. Wenn er<lb/>
mit dem Gehorsam oder auch mit der Einsicht eines seiner Untergebenen un¬<lb/>
zufrieden war, so ersparte er ihm niemals eine scharfe Zurechtweisung, und<lb/>
da wir die Art und Weise kennen gelernt haben, wie Katharina II. mit<lb/>
ihren Werkzeugen umging, so möge hier eins der zahlreichen Billets Platz<lb/>
finden, in welchen dem Marschall Marmont in Erinnerung gebracht wird,<lb/>
d5ß das Auge des Herrn auf ihm ruht. (16. Mai 1808.) &#x201E;Herr General<lb/>
Marmont, in der Verwaltung meiner Armee von Dalmatien kommen viele<lb/>
Unordnungen vor. Sie haben einen Eingriff in die Kasse von beinah<lb/>
400,000 Fr. autorisire. Dennoch betrug der Ihnen zur Disposition gestellte<lb/>
Credit für die Arbeiten des Geniecorps und der Artillerie 400,000 Fr. Dies<lb/>
ist eine beträchtliche Summe, wie ,kommt es, daß sie nicht zugereicht hat?<lb/>
Dalmatien kostet mich eine ungeheure Summe; es ist gar keine Regelmäßig¬<lb/>
keit befolgt und das alles bringt eine Unordnung in die Finanzen, an die<lb/>
man nicht mehr gewöhnt ist. Der Zahlmeister ist sür alle diese Summen<lb/>
verantwortlich; ich habe seine Abberufung befohlen, und es müssen schnell<lb/>
alle Papiere eingesandt werden, die zur Controle seiner Rechnungen dienen<lb/>
können. Doch, rechtfertigt alles dies die Ausgabe nicht. Sie haben nicht<lb/>
das Recht, über einen Sou zu disponiren. den Ihnen, der Minister nicht zur<lb/>
Verfügung gestellt hat. Wenn Sie einen Credit brauchen, so müssen Sie<lb/>
darum nachsuchen," &#x2014; Der Brief erinnert stark um das Abberusungsschreiben.<lb/>
welches Siepers empfing, aber grade in ihm stellt sich auch der Gegeusab<lb/>
zwischen den beiden unumschränkten Monarchien deutlich aus Licht. Zunächst<lb/>
ist Napoleons Horn nie ohne hinreichenden Grund.  Wenn er auch im Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] noch das ändert, lieber Freund; ich sage Ihnen nur die Wahrheit. Ich werde sie nicht auf offener Straße verkünden, aber unsere alte Freundschaft und das zwischen uns bestehende Vertrauen berechtigen mich, ahne Rückhalt zu Ihnen zu spreche». Was ich sage ist nur zu wahr, und ich nehme Sie zum Zeugen meiner Prophezeihung. Und darauf entwickelte er mir seine Ideen, indem er von der Wunderlichkeit der Projecte des Kaisers, von ihrer Unbe¬ ständigkeit und Unvereinbarkeit, von ihrer riesigen Ausdehnung u, s, w. sprach; er entwarf ein Bild, welches die Ereignisse nur zu sehr gerechtfertigt. Mehr als einengt seit der Restauration habe ich Dec«;s an unser Gespräch und seine überraschende, aber sehr traurige Prophezeihung erinnert," Zur Zeit dieses Gesprächs hatte Marmont schou einige Mal sehr ernst¬ hafte Zurechtweisungen empfangen. Napoleon, der seinen Generalen inner¬ halb ihrer Sphäre einen sehr großen Spielraum selbstständiger Action ver¬ stattete, verlangte nicht blos einen pünktlichen Gehorsam, sondern auch eine schnelle, durchgreifende Entschlossenheit, die nothwendig war, wenn die höchst verwickelten Operationen seiner Armeen, die zum großen Theil auf die Pünkt¬ lichkeit der Bewegungen berechnet waren, Erfolg haben sollten. Wenn er mit dem Gehorsam oder auch mit der Einsicht eines seiner Untergebenen un¬ zufrieden war, so ersparte er ihm niemals eine scharfe Zurechtweisung, und da wir die Art und Weise kennen gelernt haben, wie Katharina II. mit ihren Werkzeugen umging, so möge hier eins der zahlreichen Billets Platz finden, in welchen dem Marschall Marmont in Erinnerung gebracht wird, d5ß das Auge des Herrn auf ihm ruht. (16. Mai 1808.) „Herr General Marmont, in der Verwaltung meiner Armee von Dalmatien kommen viele Unordnungen vor. Sie haben einen Eingriff in die Kasse von beinah 400,000 Fr. autorisire. Dennoch betrug der Ihnen zur Disposition gestellte Credit für die Arbeiten des Geniecorps und der Artillerie 400,000 Fr. Dies ist eine beträchtliche Summe, wie ,kommt es, daß sie nicht zugereicht hat? Dalmatien kostet mich eine ungeheure Summe; es ist gar keine Regelmäßig¬ keit befolgt und das alles bringt eine Unordnung in die Finanzen, an die man nicht mehr gewöhnt ist. Der Zahlmeister ist sür alle diese Summen verantwortlich; ich habe seine Abberufung befohlen, und es müssen schnell alle Papiere eingesandt werden, die zur Controle seiner Rechnungen dienen können. Doch, rechtfertigt alles dies die Ausgabe nicht. Sie haben nicht das Recht, über einen Sou zu disponiren. den Ihnen, der Minister nicht zur Verfügung gestellt hat. Wenn Sie einen Credit brauchen, so müssen Sie darum nachsuchen," — Der Brief erinnert stark um das Abberusungsschreiben. welches Siepers empfing, aber grade in ihm stellt sich auch der Gegeusab zwischen den beiden unumschränkten Monarchien deutlich aus Licht. Zunächst ist Napoleons Horn nie ohne hinreichenden Grund. Wenn er auch im Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/334>, abgerufen am 22.12.2024.