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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Mitleid damit und hat niemals dem Anblick der begründeten Traurigkeit
desjenigen widerstanden, den er achtete, und das in allen Stellungen seines
Lebens und seiner erstaunenswürdigen Laufbahn: kurz man konnte, wenn man
Ort und Zeit wühlte, ihm alles sagen; niemals hat er sich geweigert die
Wahrheit zu hören und wenn es bisweilen ohne Wirkung war, so war es
doch immer ohne Gefahr. -- Man wird zugeben, daß in diesen und ähn¬
lichen Stellen der Groll den Erzähler nicht verblendet hat. Ebenso interessant
ist seine Darstellung der Thätigkeit Napoleons im Staatsrath, welchem Mar-
mont bei der Berathung des Gesetzbuches beiwohnte. Zwar ist bereits aus
Röderers Tagebüchern ein ziemlich vollständiges Bild dieser Thätigkeit zu ent¬
nehmen, aber auch die neuen Beiträge werden nicht unerwünscht sein. --
Der erste Konsul war immer zugegen und betheiligte sich oft bei der Dis-
cussion; zuerst schwieg er gewöhnlich, bis die Cambacörcs, die Portalis, Tron-
chet u. s. w. ihre Doctrinen aufgestellt und ihre Meinung entwickelt hatten;
dann ergriff er das Wort und stellte oft den Gegenstand mit bewundernswerthem
Scharfsinn und Tiefe von einem ganz neuen Gesichtspunkt dar; er überzeugte
die Gemüther und ließ die Entwürfe oft auf die verständigste Weise modificiren.
Bonaparte hatte keine Beredtsamkeit, aber einen fließenden Vortrag, eine
mächtige Dialektik und eine große Stärke im Raisonnement. Sein Kopf war
überschwenglich productiv; in seinen Worten lag eine Fülle des Ausdrucks,
in seinen Gedanken eine Tiefe, die ich sonst bei niemandem gesunden habe;
sein wunderbarer Geist strahlte bei dieser Berathung, bei der ihm doch so
viele Fragen bisher fremd gewesen waren, in dem lebhaftesten Glänze. --

Freilich finden wir schon in den ersten Jahren seiner ruhmvollen Lauf¬
bahn bei Napoleon Spuren von jener seltsamen, mit einem gewissen Aber¬
glauben verbundenen Unruhe, der sich dämonische Naturen selten entziehn.
Eine charakteristische Anekdote ist das Gespräch, welches er am Tage nach seiner
Krönung mit dem Marineminister Decrvs hatte. "Ich bin zu spät gekom¬
men, die Menschen sind zu aufgeklärt, man kann nichts Großes mehr unter¬
nehmen!" -- "Wie Sire! Ihre Laufbahn scheint mir Glanz genug zu haben;
was gibt es Größeres, als den ersten Thron der Welt einzunehmen, wenn
man mit dem Grade eines einfachen Artillerieoffiziers angefangen h^t?" --
"Ja meine Laufbahn ist schön, ich gebe es zu. ich habe einen großen Weg
zurückgelegt; doch welcher Unterschied gegen das Alterthum! Sehen Sie
Alexander; nachdem er Asien erobert hat, verkündigt er den Völkern, daß er der
Sohn Jupiters sei, und mit Ausnahme der Olympias, welche wußte, woran
sie sich zu halten hatte, .mit Ausnahme von Aristoteles und einiger Pedanten
zu Athen, glaubt es ihm der ganze Orient. Wohlan, wenn ich mich heute
zum Sohn des ewigen Vaters erklären wollte, und mich auf den Weg machte,
um ihm in dieser Eigenschaft meine Huldigung darzubringen, so würde mich


Mitleid damit und hat niemals dem Anblick der begründeten Traurigkeit
desjenigen widerstanden, den er achtete, und das in allen Stellungen seines
Lebens und seiner erstaunenswürdigen Laufbahn: kurz man konnte, wenn man
Ort und Zeit wühlte, ihm alles sagen; niemals hat er sich geweigert die
Wahrheit zu hören und wenn es bisweilen ohne Wirkung war, so war es
doch immer ohne Gefahr. — Man wird zugeben, daß in diesen und ähn¬
lichen Stellen der Groll den Erzähler nicht verblendet hat. Ebenso interessant
ist seine Darstellung der Thätigkeit Napoleons im Staatsrath, welchem Mar-
mont bei der Berathung des Gesetzbuches beiwohnte. Zwar ist bereits aus
Röderers Tagebüchern ein ziemlich vollständiges Bild dieser Thätigkeit zu ent¬
nehmen, aber auch die neuen Beiträge werden nicht unerwünscht sein. —
Der erste Konsul war immer zugegen und betheiligte sich oft bei der Dis-
cussion; zuerst schwieg er gewöhnlich, bis die Cambacörcs, die Portalis, Tron-
chet u. s. w. ihre Doctrinen aufgestellt und ihre Meinung entwickelt hatten;
dann ergriff er das Wort und stellte oft den Gegenstand mit bewundernswerthem
Scharfsinn und Tiefe von einem ganz neuen Gesichtspunkt dar; er überzeugte
die Gemüther und ließ die Entwürfe oft auf die verständigste Weise modificiren.
Bonaparte hatte keine Beredtsamkeit, aber einen fließenden Vortrag, eine
mächtige Dialektik und eine große Stärke im Raisonnement. Sein Kopf war
überschwenglich productiv; in seinen Worten lag eine Fülle des Ausdrucks,
in seinen Gedanken eine Tiefe, die ich sonst bei niemandem gesunden habe;
sein wunderbarer Geist strahlte bei dieser Berathung, bei der ihm doch so
viele Fragen bisher fremd gewesen waren, in dem lebhaftesten Glänze. —

Freilich finden wir schon in den ersten Jahren seiner ruhmvollen Lauf¬
bahn bei Napoleon Spuren von jener seltsamen, mit einem gewissen Aber¬
glauben verbundenen Unruhe, der sich dämonische Naturen selten entziehn.
Eine charakteristische Anekdote ist das Gespräch, welches er am Tage nach seiner
Krönung mit dem Marineminister Decrvs hatte. „Ich bin zu spät gekom¬
men, die Menschen sind zu aufgeklärt, man kann nichts Großes mehr unter¬
nehmen!" — „Wie Sire! Ihre Laufbahn scheint mir Glanz genug zu haben;
was gibt es Größeres, als den ersten Thron der Welt einzunehmen, wenn
man mit dem Grade eines einfachen Artillerieoffiziers angefangen h^t?" —
„Ja meine Laufbahn ist schön, ich gebe es zu. ich habe einen großen Weg
zurückgelegt; doch welcher Unterschied gegen das Alterthum! Sehen Sie
Alexander; nachdem er Asien erobert hat, verkündigt er den Völkern, daß er der
Sohn Jupiters sei, und mit Ausnahme der Olympias, welche wußte, woran
sie sich zu halten hatte, .mit Ausnahme von Aristoteles und einiger Pedanten
zu Athen, glaubt es ihm der ganze Orient. Wohlan, wenn ich mich heute
zum Sohn des ewigen Vaters erklären wollte, und mich auf den Weg machte,
um ihm in dieser Eigenschaft meine Huldigung darzubringen, so würde mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/332>, abgerufen am 22.12.2024.