Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.gebildete Leser, der über den unmittelbaren Eindruck sich durch Reflexion Ein zweiter Uebelstand ist. daß dem Werk die letzte Feile fehlt. Jahr Indem wir nun, nach Beseitigung dieser unwichtigen, aber doch nicht zu gebildete Leser, der über den unmittelbaren Eindruck sich durch Reflexion Ein zweiter Uebelstand ist. daß dem Werk die letzte Feile fehlt. Jahr Indem wir nun, nach Beseitigung dieser unwichtigen, aber doch nicht zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105308"/> <p xml:id="ID_58" prev="#ID_57"> gebildete Leser, der über den unmittelbaren Eindruck sich durch Reflexion<lb/> erhebt, ihm seine Bewunderung nicht versagen wird; der gewöhnliche Leser<lb/> dagegen, dem der Verfasser Satz für Satz seinen Gedanken entwickelt, folgt<lb/> ihm mit der größten Unbefangenheit, als verstände sich das alles von selbst;<lb/> er wird in keinem Augenblick überrascht, und die Folge davon ist, daß sich<lb/> seinem Gedächtniß nichts einprägt. Hegel hat einmal gesagt, der Anfang<lb/> des philosophischen Studiums müsse sein, daß dem Schüler Hören und Sehen<lb/> vergehe. Freilich kann man den Satz arg mißverstehn. und es ist Hegel selbst<lb/> so gegangen, aber an und für sich ist er nicht unrichtig. Gewiß wird man<lb/> uns nicht so deuten, als ob wir die Marktschreierei und Koketterie mancher<lb/> modernen Schriftsteller damit rechtfertigen wollten, die. wenn sie etwas Merk¬<lb/> würdiges zu sagen haben, vorher die Trommel rühren und ihren Hanswurst<lb/> Bocksprünge machen lassen, wir meinen die Parodoxie der Wahrheit in dein<lb/> Sinn, wie sie Goethe z. B. im „Faust" anwendet. Freilich hat der prosaische<lb/> Schriftsteller nicht une der Dichter das Recht, sich im Vertrauen auf die In¬<lb/> spiration für sich selbst der Arbeit der Vermittelung zu überheben, aber er<lb/> hat keineswegs nöthig, den Leser mit dem ganzen Gedankengang bekannt zu<lb/> machen, dein er sein Resultat verdankt, falls er nur die evidente Form findet.<lb/> Von allen Wissenschaften ist keine prosaischer als die Mathematik, und doch<lb/> gibt der Mathematiker das Resultat, zu dessen Aufsindung er vielleicht Fo¬<lb/> lianten vollgeschrieben hat. häusig auf einer Seite.</p><lb/> <p xml:id="ID_59"> Ein zweiter Uebelstand ist. daß dem Werk die letzte Feile fehlt. Jahr<lb/> hat seinen Stoff sehr geistvoll gruppirt. jedoch nach zwei Rücksichten, theils<lb/> nach dem sächlichen Zusammenhang, theils nach dem chronologischen; daraus<lb/> sind eine Reihe kleiner Abhandlungen hervorgegangen, von denen jede ein¬<lb/> zelne ihren Gegenstand erschöpfend behandelt. Aber nicht selten hat ihn diese<lb/> Gruppirung zu Wiederholungen verleitet, da manche seiner Belege unter ver¬<lb/> schiedene Rubriken gehören. Am meisten tritt das bei den Briefen hervor,<lb/> welche in der Regel im Anhang i" <?xwnso abgedruckt werden, so daß man'<lb/> manche Stelle dreimal antrifft. Hier konnte, ohne daß in der Anordnung<lb/> etwas Wesentliches verändert wurde, die einfache Scheere nachhelfen. Es<lb/> kam gar nicht daraus an. in jedem einzelnen Capitel den Gegenstand zu er-<lb/> schöpfen. Die chronologische Ordnung mußte zu Grunde liegen und die ei¬<lb/> gentliche Charakteristik in der Form eines Excurses sich da einfügen, wo es<lb/> am passendsten war. Auch in diesem Bande ist in Bezug aus die Zeit vie¬<lb/> les vorausgenommen, was uns zwar diesmal sehr interessirt, was aber bei<lb/> der weiteren Fortsetzung voraussichtlich wiederholt werden muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_60" next="#ID_61"> Indem wir nun, nach Beseitigung dieser unwichtigen, aber doch nicht zu<lb/> umgehenden Ausstellung auf einzelne Vorzüge des Werks die Aufmerksamkeit hin¬<lb/> lenken, können wir eine gewisse Verlegenheit nicht unterdrücken- Jahr hat bei seiner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
gebildete Leser, der über den unmittelbaren Eindruck sich durch Reflexion
erhebt, ihm seine Bewunderung nicht versagen wird; der gewöhnliche Leser
dagegen, dem der Verfasser Satz für Satz seinen Gedanken entwickelt, folgt
ihm mit der größten Unbefangenheit, als verstände sich das alles von selbst;
er wird in keinem Augenblick überrascht, und die Folge davon ist, daß sich
seinem Gedächtniß nichts einprägt. Hegel hat einmal gesagt, der Anfang
des philosophischen Studiums müsse sein, daß dem Schüler Hören und Sehen
vergehe. Freilich kann man den Satz arg mißverstehn. und es ist Hegel selbst
so gegangen, aber an und für sich ist er nicht unrichtig. Gewiß wird man
uns nicht so deuten, als ob wir die Marktschreierei und Koketterie mancher
modernen Schriftsteller damit rechtfertigen wollten, die. wenn sie etwas Merk¬
würdiges zu sagen haben, vorher die Trommel rühren und ihren Hanswurst
Bocksprünge machen lassen, wir meinen die Parodoxie der Wahrheit in dein
Sinn, wie sie Goethe z. B. im „Faust" anwendet. Freilich hat der prosaische
Schriftsteller nicht une der Dichter das Recht, sich im Vertrauen auf die In¬
spiration für sich selbst der Arbeit der Vermittelung zu überheben, aber er
hat keineswegs nöthig, den Leser mit dem ganzen Gedankengang bekannt zu
machen, dein er sein Resultat verdankt, falls er nur die evidente Form findet.
Von allen Wissenschaften ist keine prosaischer als die Mathematik, und doch
gibt der Mathematiker das Resultat, zu dessen Aufsindung er vielleicht Fo¬
lianten vollgeschrieben hat. häusig auf einer Seite.
Ein zweiter Uebelstand ist. daß dem Werk die letzte Feile fehlt. Jahr
hat seinen Stoff sehr geistvoll gruppirt. jedoch nach zwei Rücksichten, theils
nach dem sächlichen Zusammenhang, theils nach dem chronologischen; daraus
sind eine Reihe kleiner Abhandlungen hervorgegangen, von denen jede ein¬
zelne ihren Gegenstand erschöpfend behandelt. Aber nicht selten hat ihn diese
Gruppirung zu Wiederholungen verleitet, da manche seiner Belege unter ver¬
schiedene Rubriken gehören. Am meisten tritt das bei den Briefen hervor,
welche in der Regel im Anhang i" <?xwnso abgedruckt werden, so daß man'
manche Stelle dreimal antrifft. Hier konnte, ohne daß in der Anordnung
etwas Wesentliches verändert wurde, die einfache Scheere nachhelfen. Es
kam gar nicht daraus an. in jedem einzelnen Capitel den Gegenstand zu er-
schöpfen. Die chronologische Ordnung mußte zu Grunde liegen und die ei¬
gentliche Charakteristik in der Form eines Excurses sich da einfügen, wo es
am passendsten war. Auch in diesem Bande ist in Bezug aus die Zeit vie¬
les vorausgenommen, was uns zwar diesmal sehr interessirt, was aber bei
der weiteren Fortsetzung voraussichtlich wiederholt werden muß.
Indem wir nun, nach Beseitigung dieser unwichtigen, aber doch nicht zu
umgehenden Ausstellung auf einzelne Vorzüge des Werks die Aufmerksamkeit hin¬
lenken, können wir eine gewisse Verlegenheit nicht unterdrücken- Jahr hat bei seiner
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