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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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für gebüßt, daß er nicht die Einsicht, den Muth und den Ehrgeiz hatte, das
neue Leben das auch in seinem Lande aufblühte, mit großem Sinn zu benutzen,
und von Sachsen aus unter der Kaiserkrone ein neues, sächsisches Kaiserhaus
zu versuchen. Daß er sich zu schwach fühlte und den Spanier mit seinen
Banden und seiner undeutschen Staatskunst in das Land rief, diese unglück¬
selige That hat seinen Nachkommen die Kurwürde genommen, das Haus
Sachsen feindlich zerrissen und schwach gemacht, hat ein ausländisches Kaiser¬
geschlecht mit undeutschen Interessen in Deutschland festgesetzt, hat die Refor¬
mation der Kirch^ verkümmert und noch im nächsten Jahrhundert den ab¬
sterbenden Körper des Reichs mit den Greueln des 30jährigen Krieges an-
gefüllt. Daß es so in Deutschland wurde, war auch eine Schuld Friedrichs. Denn
wer in der Politik in eine große Situation geworfen wird, und ihr nicht ge¬
wachsen ist, der wird schuldig. Sein zweiter Nachfolger, der Gefangene von Mühl¬
berg, ist unter dem kraftlosen und begehrlichen Fürstengeschlecht. welches sich in
Deutschland zur Zeit des schmalkaldischen Bundes tummelte, immer -noch die
hellste Gestalt. Er bewies wenigstens den Muth mit Würde zu dulden. Und
es ist interessant, wie treu das deutsche Volk diesen Charakter zu achten ver¬
stand. Dagegen ist die Gestalt Moritz des Sachsen eine der ruchlosesten
in der ganzen öden Zeit, ein doppelter Bcrräther. an seinem Hause, dessen
Interessen er aus den gemeinsten Gründen untreu wurde, und an seinem
Herrn, dem Kaiser, der ihn groß gemacht hatte, in seinem Wesen ein frevel¬
hafter, leichtsinniger, übermüthiger Junker. Und auch ihn haben deutsche
Historiker zu einem Helden gemacht!

Es wird aus der folgenden Erzählung aber auch deutlich werden, wie
es möglich war, daß ein solcher Gesell den erfahrenen Meister in welscher
Politik, den Kaiser selbst, wenige Jahre darauf in plötzlichem Kriegszuge wie
im Fluge bewältigen konnte. Weder der Kaiser noch ein anderer Fürst unter¬
hielt ein größeres stehendes Heer, auch die größte Macht stand deshalb bei einem
plötzlichen Ueberfall auf thönernen Füßen, und Kaiser Karl war dem Kriegsvolke
gegenüber in einer besonders schwierigen Lage. Wie weit auch das Gewissen
der deutschen Landsknechte war, und wie bereitwillig sie sich um gutes Geld
verkauften, sie waren doch nicht ganz ohne politische Farbe. Die große Mehr¬
zahl derselben war protestantisch gesinnt, auch die in der Schlacht bei Mühl-
berg dem Kaiser geholfen hatten, ihre Kameraden im sächsischen Dienst nieder¬
zuwerfen, empfanden mit Aerger nach der Schlacht, daß sie der protestanti¬
schen Sache einen tödtlichen Stoß gegeben hatten. Das Andenken an Luther'
war ihnen werth, aber weit stärker war ihr Haß gegen die spanischen
Soldaten Karls, das treue ""bezwungene Fußvolk, welches auf den Fel¬
dern vom Tajo bis zur Elbe, von der Tiber bis zur Nordsee für seinen König
geblutet hatte. Aus diesen Gefühlen entstand ein tiefer Groll der Lands-


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für gebüßt, daß er nicht die Einsicht, den Muth und den Ehrgeiz hatte, das
neue Leben das auch in seinem Lande aufblühte, mit großem Sinn zu benutzen,
und von Sachsen aus unter der Kaiserkrone ein neues, sächsisches Kaiserhaus
zu versuchen. Daß er sich zu schwach fühlte und den Spanier mit seinen
Banden und seiner undeutschen Staatskunst in das Land rief, diese unglück¬
selige That hat seinen Nachkommen die Kurwürde genommen, das Haus
Sachsen feindlich zerrissen und schwach gemacht, hat ein ausländisches Kaiser¬
geschlecht mit undeutschen Interessen in Deutschland festgesetzt, hat die Refor¬
mation der Kirch^ verkümmert und noch im nächsten Jahrhundert den ab¬
sterbenden Körper des Reichs mit den Greueln des 30jährigen Krieges an-
gefüllt. Daß es so in Deutschland wurde, war auch eine Schuld Friedrichs. Denn
wer in der Politik in eine große Situation geworfen wird, und ihr nicht ge¬
wachsen ist, der wird schuldig. Sein zweiter Nachfolger, der Gefangene von Mühl¬
berg, ist unter dem kraftlosen und begehrlichen Fürstengeschlecht. welches sich in
Deutschland zur Zeit des schmalkaldischen Bundes tummelte, immer -noch die
hellste Gestalt. Er bewies wenigstens den Muth mit Würde zu dulden. Und
es ist interessant, wie treu das deutsche Volk diesen Charakter zu achten ver¬
stand. Dagegen ist die Gestalt Moritz des Sachsen eine der ruchlosesten
in der ganzen öden Zeit, ein doppelter Bcrräther. an seinem Hause, dessen
Interessen er aus den gemeinsten Gründen untreu wurde, und an seinem
Herrn, dem Kaiser, der ihn groß gemacht hatte, in seinem Wesen ein frevel¬
hafter, leichtsinniger, übermüthiger Junker. Und auch ihn haben deutsche
Historiker zu einem Helden gemacht!

Es wird aus der folgenden Erzählung aber auch deutlich werden, wie
es möglich war, daß ein solcher Gesell den erfahrenen Meister in welscher
Politik, den Kaiser selbst, wenige Jahre darauf in plötzlichem Kriegszuge wie
im Fluge bewältigen konnte. Weder der Kaiser noch ein anderer Fürst unter¬
hielt ein größeres stehendes Heer, auch die größte Macht stand deshalb bei einem
plötzlichen Ueberfall auf thönernen Füßen, und Kaiser Karl war dem Kriegsvolke
gegenüber in einer besonders schwierigen Lage. Wie weit auch das Gewissen
der deutschen Landsknechte war, und wie bereitwillig sie sich um gutes Geld
verkauften, sie waren doch nicht ganz ohne politische Farbe. Die große Mehr¬
zahl derselben war protestantisch gesinnt, auch die in der Schlacht bei Mühl-
berg dem Kaiser geholfen hatten, ihre Kameraden im sächsischen Dienst nieder¬
zuwerfen, empfanden mit Aerger nach der Schlacht, daß sie der protestanti¬
schen Sache einen tödtlichen Stoß gegeben hatten. Das Andenken an Luther'
war ihnen werth, aber weit stärker war ihr Haß gegen die spanischen
Soldaten Karls, das treue «»bezwungene Fußvolk, welches auf den Fel¬
dern vom Tajo bis zur Elbe, von der Tiber bis zur Nordsee für seinen König
geblutet hatte. Aus diesen Gefühlen entstand ein tiefer Groll der Lands-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/291>, abgerufen am 27.07.2024.