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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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nur verlieren, als römische Sklaven und Freigelassene ansingen, die ärztliche
Praxis zu üben und von den Vornehmen zu ihren Hausärzten verwendet wur¬
den. Und doch stieg seit dem Höhepunkte der römischen Allmacht und Welt¬
herrschaft mit der einbrechenden Entnervung und Verweichlichung der Geschlech¬
ter das Bedürfniß und die Nothwendigkeit der Heilkunde mit jedem Jahre!
Für das Heer der Krankheiten, welche sich nach und nach eingebürgert hatten,
reichten die einfachen Hausmittel, welche in der alten, guten Zeit verständige
Familienväter sich notirt hatten, bei weitem nicht mehr aus. "Hippokrates,
der Fürst der Aerzte," sagt Seneca, "hat behauptet, daß das weibliche Ge¬
schlecht weder den Haarschmuck verlieren, noch am Podagra leiden könne.
Unsere Zeit straft den großen Arzt und Naturforscher Lügen, den Vorzug des
Geschlechts haben die Frauen längst durch ihr Leben verloren;" und an einer
andern Stelle: "Die vielen Krankheiten sind ein Erzeugniß der vielen Gerichte;
zähle die Köche in der Stadt und du wirst dich über die Unzahl der Krank¬
heiten nicht wundern." Besonders gehörten Fieber jeder Art und die auch
durch klimatische Einflüsse begünstigten Augenkrankheiten (für welche bald eigne
Augenärzte sich etablirten) zu den gewöhnlichsten Folgen der sinnlichen Ueber-
feinerung und Schwelgerei. Die Furcht vor dem Tode stieg, und zuletzt ließ
man sogar den Sklaven, welchen man zur Erkundigung nach dem Befinden
des kranken Freundes abgeschickt hatte, nicht eher wieder ins Haus, als bis
er sich durch ein Bad gereinigt hatte! Kein Wunder also, wenn man für die
Erhaltung des lieben Lebens enorme Summen verausgabte; 14,000 Thlr. war
anfangs der gewöhnliche Jahrgehalt der kaiserlichen Leibarzte; der berühmte
Stertinius verlangte aber unter Claudius das Doppelte dieser Summe, in¬
dem er vorrechnete, daß ihm seine Privatpraxis in den reichen Familien Roms
früher über 30,000 Thlr. eingetragen habe! Er hinterließ anderthalb Millio¬
nen Thaler, nachdem er seine Vaterstadt Neapel mit Bauwerken geschmückt
und dadurch sein Vermögen bedeutend geschwächt hatte. Einem Chirurgen
Namens Akkon, der wegen Verbrechen verurtheilt worden war, entriß Clau¬
dius eine halbe Million, und doch erwarb sich derselbe binnen weniger Jahre
während seiner Verbannung in Gallien sein Vermögen wieder. Die Preise
scheinen, wo kein jährliches Honorar festgesetzt war, auch ost nach der heutigen
amerikanischen Manier für jeden einzelnen Krankheitsfall vorausbedungen
worden zu sein; so erwähnt wenigstens Plinius, daß von einem Arzte ein
Kranker in der Provinz für 10,000 Thlr. in Cur genommen worden sei. Die
Zahl der kaiserlichen Hofärzte stieg übrigens später bis aus sieben; von ihnen
erhielt aber unter sparsamen Kaisern, wie z. B. Alexander Severus, nur
ein einziger sein Honorar in klingender Münze, die übrigen bekamen ein De¬
putat in Naturalien.

Die Wissenschaft selbst lag noch halb in ihrer Kindheit und


Grenzbuten I. 1SS8. 32

nur verlieren, als römische Sklaven und Freigelassene ansingen, die ärztliche
Praxis zu üben und von den Vornehmen zu ihren Hausärzten verwendet wur¬
den. Und doch stieg seit dem Höhepunkte der römischen Allmacht und Welt¬
herrschaft mit der einbrechenden Entnervung und Verweichlichung der Geschlech¬
ter das Bedürfniß und die Nothwendigkeit der Heilkunde mit jedem Jahre!
Für das Heer der Krankheiten, welche sich nach und nach eingebürgert hatten,
reichten die einfachen Hausmittel, welche in der alten, guten Zeit verständige
Familienväter sich notirt hatten, bei weitem nicht mehr aus. „Hippokrates,
der Fürst der Aerzte," sagt Seneca, „hat behauptet, daß das weibliche Ge¬
schlecht weder den Haarschmuck verlieren, noch am Podagra leiden könne.
Unsere Zeit straft den großen Arzt und Naturforscher Lügen, den Vorzug des
Geschlechts haben die Frauen längst durch ihr Leben verloren;" und an einer
andern Stelle: „Die vielen Krankheiten sind ein Erzeugniß der vielen Gerichte;
zähle die Köche in der Stadt und du wirst dich über die Unzahl der Krank¬
heiten nicht wundern." Besonders gehörten Fieber jeder Art und die auch
durch klimatische Einflüsse begünstigten Augenkrankheiten (für welche bald eigne
Augenärzte sich etablirten) zu den gewöhnlichsten Folgen der sinnlichen Ueber-
feinerung und Schwelgerei. Die Furcht vor dem Tode stieg, und zuletzt ließ
man sogar den Sklaven, welchen man zur Erkundigung nach dem Befinden
des kranken Freundes abgeschickt hatte, nicht eher wieder ins Haus, als bis
er sich durch ein Bad gereinigt hatte! Kein Wunder also, wenn man für die
Erhaltung des lieben Lebens enorme Summen verausgabte; 14,000 Thlr. war
anfangs der gewöhnliche Jahrgehalt der kaiserlichen Leibarzte; der berühmte
Stertinius verlangte aber unter Claudius das Doppelte dieser Summe, in¬
dem er vorrechnete, daß ihm seine Privatpraxis in den reichen Familien Roms
früher über 30,000 Thlr. eingetragen habe! Er hinterließ anderthalb Millio¬
nen Thaler, nachdem er seine Vaterstadt Neapel mit Bauwerken geschmückt
und dadurch sein Vermögen bedeutend geschwächt hatte. Einem Chirurgen
Namens Akkon, der wegen Verbrechen verurtheilt worden war, entriß Clau¬
dius eine halbe Million, und doch erwarb sich derselbe binnen weniger Jahre
während seiner Verbannung in Gallien sein Vermögen wieder. Die Preise
scheinen, wo kein jährliches Honorar festgesetzt war, auch ost nach der heutigen
amerikanischen Manier für jeden einzelnen Krankheitsfall vorausbedungen
worden zu sein; so erwähnt wenigstens Plinius, daß von einem Arzte ein
Kranker in der Provinz für 10,000 Thlr. in Cur genommen worden sei. Die
Zahl der kaiserlichen Hofärzte stieg übrigens später bis aus sieben; von ihnen
erhielt aber unter sparsamen Kaisern, wie z. B. Alexander Severus, nur
ein einziger sein Honorar in klingender Münze, die übrigen bekamen ein De¬
putat in Naturalien.

Die Wissenschaft selbst lag noch halb in ihrer Kindheit und


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[0257] nur verlieren, als römische Sklaven und Freigelassene ansingen, die ärztliche Praxis zu üben und von den Vornehmen zu ihren Hausärzten verwendet wur¬ den. Und doch stieg seit dem Höhepunkte der römischen Allmacht und Welt¬ herrschaft mit der einbrechenden Entnervung und Verweichlichung der Geschlech¬ ter das Bedürfniß und die Nothwendigkeit der Heilkunde mit jedem Jahre! Für das Heer der Krankheiten, welche sich nach und nach eingebürgert hatten, reichten die einfachen Hausmittel, welche in der alten, guten Zeit verständige Familienväter sich notirt hatten, bei weitem nicht mehr aus. „Hippokrates, der Fürst der Aerzte," sagt Seneca, „hat behauptet, daß das weibliche Ge¬ schlecht weder den Haarschmuck verlieren, noch am Podagra leiden könne. Unsere Zeit straft den großen Arzt und Naturforscher Lügen, den Vorzug des Geschlechts haben die Frauen längst durch ihr Leben verloren;" und an einer andern Stelle: „Die vielen Krankheiten sind ein Erzeugniß der vielen Gerichte; zähle die Köche in der Stadt und du wirst dich über die Unzahl der Krank¬ heiten nicht wundern." Besonders gehörten Fieber jeder Art und die auch durch klimatische Einflüsse begünstigten Augenkrankheiten (für welche bald eigne Augenärzte sich etablirten) zu den gewöhnlichsten Folgen der sinnlichen Ueber- feinerung und Schwelgerei. Die Furcht vor dem Tode stieg, und zuletzt ließ man sogar den Sklaven, welchen man zur Erkundigung nach dem Befinden des kranken Freundes abgeschickt hatte, nicht eher wieder ins Haus, als bis er sich durch ein Bad gereinigt hatte! Kein Wunder also, wenn man für die Erhaltung des lieben Lebens enorme Summen verausgabte; 14,000 Thlr. war anfangs der gewöhnliche Jahrgehalt der kaiserlichen Leibarzte; der berühmte Stertinius verlangte aber unter Claudius das Doppelte dieser Summe, in¬ dem er vorrechnete, daß ihm seine Privatpraxis in den reichen Familien Roms früher über 30,000 Thlr. eingetragen habe! Er hinterließ anderthalb Millio¬ nen Thaler, nachdem er seine Vaterstadt Neapel mit Bauwerken geschmückt und dadurch sein Vermögen bedeutend geschwächt hatte. Einem Chirurgen Namens Akkon, der wegen Verbrechen verurtheilt worden war, entriß Clau¬ dius eine halbe Million, und doch erwarb sich derselbe binnen weniger Jahre während seiner Verbannung in Gallien sein Vermögen wieder. Die Preise scheinen, wo kein jährliches Honorar festgesetzt war, auch ost nach der heutigen amerikanischen Manier für jeden einzelnen Krankheitsfall vorausbedungen worden zu sein; so erwähnt wenigstens Plinius, daß von einem Arzte ein Kranker in der Provinz für 10,000 Thlr. in Cur genommen worden sei. Die Zahl der kaiserlichen Hofärzte stieg übrigens später bis aus sieben; von ihnen erhielt aber unter sparsamen Kaisern, wie z. B. Alexander Severus, nur ein einziger sein Honorar in klingender Münze, die übrigen bekamen ein De¬ putat in Naturalien. Die Wissenschaft selbst lag noch halb in ihrer Kindheit und Grenzbuten I. 1SS8. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/257>, abgerufen am 27.07.2024.