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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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als daß die ungesunden Säfte, welche sich sonst herausarbeiten, in das Blut
zurücktreten und es verderben? --

Während nun so die Presse vorläufig der Prügelknabe des Unwillens der
Negierung ist, sehen wir voraus, daß nach allem lautem Geschrei gegen das
englische Asylrecht wenig mehr kommen wird. Die englische Regierung hat
sich mehrfach erboten, gegen Individuen, welche verbrecherischer Handlungen
überführt werden können, einzuschreiten, sie wird sich auch vielleicht zu gewissen,
strengern Maßregeln entschließen, wenn man nicht sucht, einen äußern Druck
auf sie auszuüben, aber sie wird nicht die Institutionen des Landes ändern,
oder zu ändern versuchen, weil einzelne das Asylrecht mißbrauchen. Sehr wahr
sagt die Times- "Wenn unsere Nachbarn sich nicht selbst zu schützen wissen,
wir tonnen sie nicht beschützen, und wenn sie nur einen einzigen Blick auf
die Vergangenheit werfen, so werden sie keinen Grund sehen, zu bedauern,
daß wir nicht einmal den Versuch dazu gemacht haben." Wo lebten denn
Louis Napoleoir, Louis Philipp. Fürst Metternich. der Herzog von Berry
u. a. in. in der Zeit ihres Mißgeschickes? Das Attentat hat aber außerdem
bewiesen, welche mangelhafte und unzuverlässige Einrichtung die vielgerühmte
französische Polizei ist! Orsini lebte lange Zeit in Paris, ohne beunruhigt zu
werden, alle vier Verbrecher kamen mit ihren Mordwerkzeugeu uach Frank¬
reich und wurden nicht entdeckt. schlagender ist lange nicht gezeigt, daß nicht
Polizei, sondern allein Institutionen die Ruhe eines Landes sichern. Frankreich
aber hat keine Institutionen, denn seine Beamtenhierarchie, seine jeweilige Ver¬
fassung verdienen diesen Namen nicht. Wo aber keine Institutionen sind und dem
Material mehr vorhanden sie aufzurichten, da ist der einzige Schutz der Au¬
torität in der bewaffneten Macht, das kaiserliche Rom ist das große Beispiel
dieser Wahrheit, das kaiserliche Frankreich das zweite, und verspricht nicht
weniger traurig und lehrreich zu werdeu. Wie sehr betont Napoleon die
Armee als Stütze seiner Macht; sie ist aber auch, und das ist ein gefährlicher
Schritt werter auf der abschüssigen Bahn des Prätorianismus, aufgefordert, sich
mit der Politik zu befassen. -- Es ist merkwürdig zu sehen, wie ähnlich
Situationen ähnliche Jncidenzfälle bringen; als im October 1312 der Gene¬
ral Makel den Versuch machte, Napoleon für todt zu erklären, was ihm be¬
kanntlich während einiger Stunden geglaubt ward, rief der Kaiser, als ihm
die Nachricht in Nußland überbracht ward, "und wenn man an meinen Tod
glaubte, hat man nicht an meinen Sohn, meine Gemahlin, die Institutionen
des Kaiserreichs gedacht?" -- (Thiers Kaiserreich Cap. -15). In den über-
schwänglichen Adressen, welche von den verschiedensten Trägern nach den Tuilerien
überbracht waren, hatte man auch diesmal den kaiserlichen Prinzen fast ganz
Übergängen, nur die Staatsridrcsse erwähnte seiner kurz. Der Kaiser war
heftig erzürnt darüber und auf seine Ordre ward die Adresse von der Armee


als daß die ungesunden Säfte, welche sich sonst herausarbeiten, in das Blut
zurücktreten und es verderben? —

Während nun so die Presse vorläufig der Prügelknabe des Unwillens der
Negierung ist, sehen wir voraus, daß nach allem lautem Geschrei gegen das
englische Asylrecht wenig mehr kommen wird. Die englische Regierung hat
sich mehrfach erboten, gegen Individuen, welche verbrecherischer Handlungen
überführt werden können, einzuschreiten, sie wird sich auch vielleicht zu gewissen,
strengern Maßregeln entschließen, wenn man nicht sucht, einen äußern Druck
auf sie auszuüben, aber sie wird nicht die Institutionen des Landes ändern,
oder zu ändern versuchen, weil einzelne das Asylrecht mißbrauchen. Sehr wahr
sagt die Times- „Wenn unsere Nachbarn sich nicht selbst zu schützen wissen,
wir tonnen sie nicht beschützen, und wenn sie nur einen einzigen Blick auf
die Vergangenheit werfen, so werden sie keinen Grund sehen, zu bedauern,
daß wir nicht einmal den Versuch dazu gemacht haben." Wo lebten denn
Louis Napoleoir, Louis Philipp. Fürst Metternich. der Herzog von Berry
u. a. in. in der Zeit ihres Mißgeschickes? Das Attentat hat aber außerdem
bewiesen, welche mangelhafte und unzuverlässige Einrichtung die vielgerühmte
französische Polizei ist! Orsini lebte lange Zeit in Paris, ohne beunruhigt zu
werden, alle vier Verbrecher kamen mit ihren Mordwerkzeugeu uach Frank¬
reich und wurden nicht entdeckt. schlagender ist lange nicht gezeigt, daß nicht
Polizei, sondern allein Institutionen die Ruhe eines Landes sichern. Frankreich
aber hat keine Institutionen, denn seine Beamtenhierarchie, seine jeweilige Ver¬
fassung verdienen diesen Namen nicht. Wo aber keine Institutionen sind und dem
Material mehr vorhanden sie aufzurichten, da ist der einzige Schutz der Au¬
torität in der bewaffneten Macht, das kaiserliche Rom ist das große Beispiel
dieser Wahrheit, das kaiserliche Frankreich das zweite, und verspricht nicht
weniger traurig und lehrreich zu werdeu. Wie sehr betont Napoleon die
Armee als Stütze seiner Macht; sie ist aber auch, und das ist ein gefährlicher
Schritt werter auf der abschüssigen Bahn des Prätorianismus, aufgefordert, sich
mit der Politik zu befassen. — Es ist merkwürdig zu sehen, wie ähnlich
Situationen ähnliche Jncidenzfälle bringen; als im October 1312 der Gene¬
ral Makel den Versuch machte, Napoleon für todt zu erklären, was ihm be¬
kanntlich während einiger Stunden geglaubt ward, rief der Kaiser, als ihm
die Nachricht in Nußland überbracht ward, „und wenn man an meinen Tod
glaubte, hat man nicht an meinen Sohn, meine Gemahlin, die Institutionen
des Kaiserreichs gedacht?" — (Thiers Kaiserreich Cap. -15). In den über-
schwänglichen Adressen, welche von den verschiedensten Trägern nach den Tuilerien
überbracht waren, hatte man auch diesmal den kaiserlichen Prinzen fast ganz
Übergängen, nur die Staatsridrcsse erwähnte seiner kurz. Der Kaiser war
heftig erzürnt darüber und auf seine Ordre ward die Adresse von der Armee


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/245>, abgerufen am 27.07.2024.