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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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vertrauten Nachbar seinen Hunger klagte und dieser in verzweifeltem Entschluß
erwiederte, er wüßte wol, was er in solchem Fall thun würde, da sagte Ma¬
gister Elfflein in starkem Glauben: "Mein Gott weiß schon Mittel, ehe ich
sollte Hunger sterben, ehe müßte ein reicher Edelmann sterben, damit ich
wieder Geld zu einem Viertel Korn kriegte." Und er betrachtete als eine
Schickung der Vorsehung, daß dies melancholische Ereigniß bald darauf ein¬
trat. Seine Lage war so jämmerlich, daß sogar die raubgierigen Soldaten
in der Nachbarschaft ihren Buben, die sie auf Beute schickten, dringend em¬
pfahlen, sie sollten den Pfarrer von Simau in Ruhe lassen, denn der arme
Tropf hätte selbst nichts. Endlich bekam er eine andere Pfarre. -- Viele Pfarrer,
welche, einst hosfmmgsreiche und gebildete Männer gewesen waren, zogen in
den letzten Jahren des Krieges als "Vaganten" oder "Exulanten" Almosen hei¬
schend durch die Lande. Sie erhielten dazu von ihrem Consistorium Zeugnisse,
versuchten auch wol sich in der Fremde als Prediger niederzulassen, und kehrten,
wenn das Elend sie nicht getödtet hatte, um das Ende des Krieges zu ihrer Dorf¬
kirche zurück. Daun sammelten sich um sie die Trümmer der früheren Gemeinde,
die Kirche ward wieder nothdürftig gesäubert und hergestellt, auch ein Com¬
munionkelch wurde von einem benachbarten Adeligen oder einem ausgedienter
Hauptmann, der seinen Frieden mit der Kirche zu macheu wünschte, geschenkt
und unter den größten Entbehrungen und kleinlichen Gezänk mit rohen
Pfarrkindern wurde das kirchliche Leben aufs Neue eingerichtet.

Endlich flog die Nachricht durch das Land, daß der Friede geschlossen sei,
ein Friede seit vielen Jahren heiß ersehnt. Welche Wirkung die Nachricht
auf die Ueberreste der deutschen Nation machte, ist noch aus rührenden Einzel¬
heiten zu erkennen. Den alten Leuten erschien er als eine Rückkehr ihrer Jugend,
sie sahen die reichen Ernten ihrer Kinderzeit wiederkehren, dicht bevölkerte Dörfer,
die lustigen Sonntage unter der umgehauenen Dorflinde, die guten Stunde",
die sie mit ihren getödteten und verdorbenen Verwandten und Jugendgenossen
verlebt hatten, sie sahen sich selbst glücklicher, männlicher und besser als sie in
fast 30 Jahren voll Elend und Entwürdigung geworden waren. Die Jugend
aber, das harte, kriegserzeugte, verwilderte Geschlecht, empfand das Nahen
einer wunderbaren Zeit, die ihm vorkam wie ein Märchen aus fernem Lande.
Die Zeit, wo auf jedem Ackerstück des Winter- und Sommerfeldes dichte gelbe
Aehren im Winde wogen, wo in jedem Stalle die Kühe brüllen, in jedem
Kober ein rundes Schweinchen liegen sollte, wo sie selbst mit zwei Pferden
und lustigem Peitschenknall aus das Feld fahren würden'und wo kein feind¬
licher Soldat ihre Schwestern oder ihr Mädchen mit rohen Liebkosungen an
sich reißen durste; wo sie nicht mehr mit Heugabeln und verrosteten Mus¬
keten den Nachzüglern im Busch auflauern, nicht mehr als Flüchtlinge in
unheimlicher Waldesrande auf den Gräbern der Erschlagenen sitzen würden; wo


vertrauten Nachbar seinen Hunger klagte und dieser in verzweifeltem Entschluß
erwiederte, er wüßte wol, was er in solchem Fall thun würde, da sagte Ma¬
gister Elfflein in starkem Glauben: „Mein Gott weiß schon Mittel, ehe ich
sollte Hunger sterben, ehe müßte ein reicher Edelmann sterben, damit ich
wieder Geld zu einem Viertel Korn kriegte." Und er betrachtete als eine
Schickung der Vorsehung, daß dies melancholische Ereigniß bald darauf ein¬
trat. Seine Lage war so jämmerlich, daß sogar die raubgierigen Soldaten
in der Nachbarschaft ihren Buben, die sie auf Beute schickten, dringend em¬
pfahlen, sie sollten den Pfarrer von Simau in Ruhe lassen, denn der arme
Tropf hätte selbst nichts. Endlich bekam er eine andere Pfarre. — Viele Pfarrer,
welche, einst hosfmmgsreiche und gebildete Männer gewesen waren, zogen in
den letzten Jahren des Krieges als „Vaganten" oder „Exulanten" Almosen hei¬
schend durch die Lande. Sie erhielten dazu von ihrem Consistorium Zeugnisse,
versuchten auch wol sich in der Fremde als Prediger niederzulassen, und kehrten,
wenn das Elend sie nicht getödtet hatte, um das Ende des Krieges zu ihrer Dorf¬
kirche zurück. Daun sammelten sich um sie die Trümmer der früheren Gemeinde,
die Kirche ward wieder nothdürftig gesäubert und hergestellt, auch ein Com¬
munionkelch wurde von einem benachbarten Adeligen oder einem ausgedienter
Hauptmann, der seinen Frieden mit der Kirche zu macheu wünschte, geschenkt
und unter den größten Entbehrungen und kleinlichen Gezänk mit rohen
Pfarrkindern wurde das kirchliche Leben aufs Neue eingerichtet.

Endlich flog die Nachricht durch das Land, daß der Friede geschlossen sei,
ein Friede seit vielen Jahren heiß ersehnt. Welche Wirkung die Nachricht
auf die Ueberreste der deutschen Nation machte, ist noch aus rührenden Einzel¬
heiten zu erkennen. Den alten Leuten erschien er als eine Rückkehr ihrer Jugend,
sie sahen die reichen Ernten ihrer Kinderzeit wiederkehren, dicht bevölkerte Dörfer,
die lustigen Sonntage unter der umgehauenen Dorflinde, die guten Stunde»,
die sie mit ihren getödteten und verdorbenen Verwandten und Jugendgenossen
verlebt hatten, sie sahen sich selbst glücklicher, männlicher und besser als sie in
fast 30 Jahren voll Elend und Entwürdigung geworden waren. Die Jugend
aber, das harte, kriegserzeugte, verwilderte Geschlecht, empfand das Nahen
einer wunderbaren Zeit, die ihm vorkam wie ein Märchen aus fernem Lande.
Die Zeit, wo auf jedem Ackerstück des Winter- und Sommerfeldes dichte gelbe
Aehren im Winde wogen, wo in jedem Stalle die Kühe brüllen, in jedem
Kober ein rundes Schweinchen liegen sollte, wo sie selbst mit zwei Pferden
und lustigem Peitschenknall aus das Feld fahren würden'und wo kein feind¬
licher Soldat ihre Schwestern oder ihr Mädchen mit rohen Liebkosungen an
sich reißen durste; wo sie nicht mehr mit Heugabeln und verrosteten Mus¬
keten den Nachzüglern im Busch auflauern, nicht mehr als Flüchtlinge in
unheimlicher Waldesrande auf den Gräbern der Erschlagenen sitzen würden; wo


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[0024] vertrauten Nachbar seinen Hunger klagte und dieser in verzweifeltem Entschluß erwiederte, er wüßte wol, was er in solchem Fall thun würde, da sagte Ma¬ gister Elfflein in starkem Glauben: „Mein Gott weiß schon Mittel, ehe ich sollte Hunger sterben, ehe müßte ein reicher Edelmann sterben, damit ich wieder Geld zu einem Viertel Korn kriegte." Und er betrachtete als eine Schickung der Vorsehung, daß dies melancholische Ereigniß bald darauf ein¬ trat. Seine Lage war so jämmerlich, daß sogar die raubgierigen Soldaten in der Nachbarschaft ihren Buben, die sie auf Beute schickten, dringend em¬ pfahlen, sie sollten den Pfarrer von Simau in Ruhe lassen, denn der arme Tropf hätte selbst nichts. Endlich bekam er eine andere Pfarre. — Viele Pfarrer, welche, einst hosfmmgsreiche und gebildete Männer gewesen waren, zogen in den letzten Jahren des Krieges als „Vaganten" oder „Exulanten" Almosen hei¬ schend durch die Lande. Sie erhielten dazu von ihrem Consistorium Zeugnisse, versuchten auch wol sich in der Fremde als Prediger niederzulassen, und kehrten, wenn das Elend sie nicht getödtet hatte, um das Ende des Krieges zu ihrer Dorf¬ kirche zurück. Daun sammelten sich um sie die Trümmer der früheren Gemeinde, die Kirche ward wieder nothdürftig gesäubert und hergestellt, auch ein Com¬ munionkelch wurde von einem benachbarten Adeligen oder einem ausgedienter Hauptmann, der seinen Frieden mit der Kirche zu macheu wünschte, geschenkt und unter den größten Entbehrungen und kleinlichen Gezänk mit rohen Pfarrkindern wurde das kirchliche Leben aufs Neue eingerichtet. Endlich flog die Nachricht durch das Land, daß der Friede geschlossen sei, ein Friede seit vielen Jahren heiß ersehnt. Welche Wirkung die Nachricht auf die Ueberreste der deutschen Nation machte, ist noch aus rührenden Einzel¬ heiten zu erkennen. Den alten Leuten erschien er als eine Rückkehr ihrer Jugend, sie sahen die reichen Ernten ihrer Kinderzeit wiederkehren, dicht bevölkerte Dörfer, die lustigen Sonntage unter der umgehauenen Dorflinde, die guten Stunde», die sie mit ihren getödteten und verdorbenen Verwandten und Jugendgenossen verlebt hatten, sie sahen sich selbst glücklicher, männlicher und besser als sie in fast 30 Jahren voll Elend und Entwürdigung geworden waren. Die Jugend aber, das harte, kriegserzeugte, verwilderte Geschlecht, empfand das Nahen einer wunderbaren Zeit, die ihm vorkam wie ein Märchen aus fernem Lande. Die Zeit, wo auf jedem Ackerstück des Winter- und Sommerfeldes dichte gelbe Aehren im Winde wogen, wo in jedem Stalle die Kühe brüllen, in jedem Kober ein rundes Schweinchen liegen sollte, wo sie selbst mit zwei Pferden und lustigem Peitschenknall aus das Feld fahren würden'und wo kein feind¬ licher Soldat ihre Schwestern oder ihr Mädchen mit rohen Liebkosungen an sich reißen durste; wo sie nicht mehr mit Heugabeln und verrosteten Mus¬ keten den Nachzüglern im Busch auflauern, nicht mehr als Flüchtlinge in unheimlicher Waldesrande auf den Gräbern der Erschlagenen sitzen würden; wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/24>, abgerufen am 22.12.2024.