Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gangenhcit tadelfrei und für die Zukunft zweckentsprechend sei. Das aber
wäre denn doch ein zu gewagtes Unternehmen.

Ernsthafter ist ein zweiter Einspruch gegen die in Aussicht stehende Ma߬
regel, wie er namentlich von der Daily News ausgegangen ist. Ein unmittel¬
bar unter die Regierung gestelltes Ostindien, heißt es dort, wird die Macht
derselben durch Aemtervergebung und Gewalt über ein großes Heer außer¬
ordentlich und zwar zum Nachtheil der öffentlichen Freiheiten Englands
steigern. Man wird sich wol mit einiger Sicherheit darauf verlassen können,
daß diese Parole auch von Andern aufgenommen und daß wieder ein¬
mal gründlich bewiesen werden wird, wie fein und sicher Palmersto"
das Netz um das schon halbwegs der Unterthänigkeit verfallene England ge¬
worfen hat. Allein in Wirklichkeit geht es mit dieser Frage wie mit vielen
andern. Das Verhängnis; und die Thatsachen sind mächtiger als die Menschen.
Das alte indische Vcrwaltungssystem war grade zu dem Zweck erfunden wor¬
den, um den Einfluß der Münster auf das indische Heer und die indische Verwal¬
tung zu schwächen; man hatte die vielfach getheilte und zersplitterte Ver¬
antwortlichkeit als das beste Mittel zur Erreichung eines solchen Zweckes er¬
dacht und den Directorialhof, nachdem ihm alle wirkliche Gewalt genommen
war, noch bestehen lassen, damit er, der politisch unmächtigste Körper, das in
englischen Augen so wichtige Amt der Stellenvergebung (Mronagö) behalte.
So weit war das System klug und sein ausgesonnen. aber auf einem andern
viel gefährlichern Gebiete hatte es sich als unhaltbar bewiesen. In den bevor¬
stehenden Parlamentsdebatten werden die Anhänger des Directorialhofs die
diesem gemachten Vorwürfe ohne Zweifel mit ebenso gerechten Angriffen auf
die indische Controlbehörde erwiedern können, und diese vielleicht wieder die
Schuld aus Generalgouvemeur und andere ausführende Beamte in Ostindien
schieben. Alle werden Recht haben, eben weil das ganze System fehlerhaft
war. Will England Ostindien behalten, so kann es gar nicht anders, als auf
diesen eigentlichen Grund des Uebels eingehen, es muß ein anderes System
an die Stelle des alten setzen. Ein anderes System bedeutet aber eben die Ein¬
setzung einer in sich kräftigen und wirksamen Behörde, mag es ein Minister
oder ein Kollegium sein. Die Daily News verkennt gradezu das Zwingende
der Sachlage, wenn sie die bevorstehenden Veränderungen vom Standpunkt
einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Freiheit Englands angreift.
Weiß sie vielleicht einen Mittelweg anzugeben? etwa die Zuweisung der Er¬
nennungen an eine nicht mit der politischen Gewalt begleitete Behörde? Als
wenn das möglich wäre, als ob daraus nicht ein steter Kampf zwischen den
beiden Theilen entspringen müßte, zum sichern Nachtheil der von ihnen ver¬
tretenen Interessen.

Es ist gewiß gut, daß das deutsche Publicum, das die ostindischen Er-


gangenhcit tadelfrei und für die Zukunft zweckentsprechend sei. Das aber
wäre denn doch ein zu gewagtes Unternehmen.

Ernsthafter ist ein zweiter Einspruch gegen die in Aussicht stehende Ma߬
regel, wie er namentlich von der Daily News ausgegangen ist. Ein unmittel¬
bar unter die Regierung gestelltes Ostindien, heißt es dort, wird die Macht
derselben durch Aemtervergebung und Gewalt über ein großes Heer außer¬
ordentlich und zwar zum Nachtheil der öffentlichen Freiheiten Englands
steigern. Man wird sich wol mit einiger Sicherheit darauf verlassen können,
daß diese Parole auch von Andern aufgenommen und daß wieder ein¬
mal gründlich bewiesen werden wird, wie fein und sicher Palmersto»
das Netz um das schon halbwegs der Unterthänigkeit verfallene England ge¬
worfen hat. Allein in Wirklichkeit geht es mit dieser Frage wie mit vielen
andern. Das Verhängnis; und die Thatsachen sind mächtiger als die Menschen.
Das alte indische Vcrwaltungssystem war grade zu dem Zweck erfunden wor¬
den, um den Einfluß der Münster auf das indische Heer und die indische Verwal¬
tung zu schwächen; man hatte die vielfach getheilte und zersplitterte Ver¬
antwortlichkeit als das beste Mittel zur Erreichung eines solchen Zweckes er¬
dacht und den Directorialhof, nachdem ihm alle wirkliche Gewalt genommen
war, noch bestehen lassen, damit er, der politisch unmächtigste Körper, das in
englischen Augen so wichtige Amt der Stellenvergebung (Mronagö) behalte.
So weit war das System klug und sein ausgesonnen. aber auf einem andern
viel gefährlichern Gebiete hatte es sich als unhaltbar bewiesen. In den bevor¬
stehenden Parlamentsdebatten werden die Anhänger des Directorialhofs die
diesem gemachten Vorwürfe ohne Zweifel mit ebenso gerechten Angriffen auf
die indische Controlbehörde erwiedern können, und diese vielleicht wieder die
Schuld aus Generalgouvemeur und andere ausführende Beamte in Ostindien
schieben. Alle werden Recht haben, eben weil das ganze System fehlerhaft
war. Will England Ostindien behalten, so kann es gar nicht anders, als auf
diesen eigentlichen Grund des Uebels eingehen, es muß ein anderes System
an die Stelle des alten setzen. Ein anderes System bedeutet aber eben die Ein¬
setzung einer in sich kräftigen und wirksamen Behörde, mag es ein Minister
oder ein Kollegium sein. Die Daily News verkennt gradezu das Zwingende
der Sachlage, wenn sie die bevorstehenden Veränderungen vom Standpunkt
einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Freiheit Englands angreift.
Weiß sie vielleicht einen Mittelweg anzugeben? etwa die Zuweisung der Er¬
nennungen an eine nicht mit der politischen Gewalt begleitete Behörde? Als
wenn das möglich wäre, als ob daraus nicht ein steter Kampf zwischen den
beiden Theilen entspringen müßte, zum sichern Nachtheil der von ihnen ver¬
tretenen Interessen.

Es ist gewiß gut, daß das deutsche Publicum, das die ostindischen Er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105468"/>
          <p xml:id="ID_439" prev="#ID_438"> gangenhcit tadelfrei und für die Zukunft zweckentsprechend sei. Das aber<lb/>
wäre denn doch ein zu gewagtes Unternehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_440"> Ernsthafter ist ein zweiter Einspruch gegen die in Aussicht stehende Ma߬<lb/>
regel, wie er namentlich von der Daily News ausgegangen ist. Ein unmittel¬<lb/>
bar unter die Regierung gestelltes Ostindien, heißt es dort, wird die Macht<lb/>
derselben durch Aemtervergebung und Gewalt über ein großes Heer außer¬<lb/>
ordentlich und zwar zum Nachtheil der öffentlichen Freiheiten Englands<lb/>
steigern. Man wird sich wol mit einiger Sicherheit darauf verlassen können,<lb/>
daß diese Parole auch von Andern aufgenommen und daß wieder ein¬<lb/>
mal gründlich bewiesen werden wird, wie fein und sicher Palmersto»<lb/>
das Netz um das schon halbwegs der Unterthänigkeit verfallene England ge¬<lb/>
worfen hat. Allein in Wirklichkeit geht es mit dieser Frage wie mit vielen<lb/>
andern. Das Verhängnis; und die Thatsachen sind mächtiger als die Menschen.<lb/>
Das alte indische Vcrwaltungssystem war grade zu dem Zweck erfunden wor¬<lb/>
den, um den Einfluß der Münster auf das indische Heer und die indische Verwal¬<lb/>
tung zu schwächen; man hatte die vielfach getheilte und zersplitterte Ver¬<lb/>
antwortlichkeit als das beste Mittel zur Erreichung eines solchen Zweckes er¬<lb/>
dacht und den Directorialhof, nachdem ihm alle wirkliche Gewalt genommen<lb/>
war, noch bestehen lassen, damit er, der politisch unmächtigste Körper, das in<lb/>
englischen Augen so wichtige Amt der Stellenvergebung (Mronagö) behalte.<lb/>
So weit war das System klug und sein ausgesonnen. aber auf einem andern<lb/>
viel gefährlichern Gebiete hatte es sich als unhaltbar bewiesen. In den bevor¬<lb/>
stehenden Parlamentsdebatten werden die Anhänger des Directorialhofs die<lb/>
diesem gemachten Vorwürfe ohne Zweifel mit ebenso gerechten Angriffen auf<lb/>
die indische Controlbehörde erwiedern können, und diese vielleicht wieder die<lb/>
Schuld aus Generalgouvemeur und andere ausführende Beamte in Ostindien<lb/>
schieben. Alle werden Recht haben, eben weil das ganze System fehlerhaft<lb/>
war. Will England Ostindien behalten, so kann es gar nicht anders, als auf<lb/>
diesen eigentlichen Grund des Uebels eingehen, es muß ein anderes System<lb/>
an die Stelle des alten setzen. Ein anderes System bedeutet aber eben die Ein¬<lb/>
setzung einer in sich kräftigen und wirksamen Behörde, mag es ein Minister<lb/>
oder ein Kollegium sein. Die Daily News verkennt gradezu das Zwingende<lb/>
der Sachlage, wenn sie die bevorstehenden Veränderungen vom Standpunkt<lb/>
einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Freiheit Englands angreift.<lb/>
Weiß sie vielleicht einen Mittelweg anzugeben? etwa die Zuweisung der Er¬<lb/>
nennungen an eine nicht mit der politischen Gewalt begleitete Behörde? Als<lb/>
wenn das möglich wäre, als ob daraus nicht ein steter Kampf zwischen den<lb/>
beiden Theilen entspringen müßte, zum sichern Nachtheil der von ihnen ver¬<lb/>
tretenen Interessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_441" next="#ID_442"> Es ist gewiß gut, daß das deutsche Publicum, das die ostindischen Er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] gangenhcit tadelfrei und für die Zukunft zweckentsprechend sei. Das aber wäre denn doch ein zu gewagtes Unternehmen. Ernsthafter ist ein zweiter Einspruch gegen die in Aussicht stehende Ma߬ regel, wie er namentlich von der Daily News ausgegangen ist. Ein unmittel¬ bar unter die Regierung gestelltes Ostindien, heißt es dort, wird die Macht derselben durch Aemtervergebung und Gewalt über ein großes Heer außer¬ ordentlich und zwar zum Nachtheil der öffentlichen Freiheiten Englands steigern. Man wird sich wol mit einiger Sicherheit darauf verlassen können, daß diese Parole auch von Andern aufgenommen und daß wieder ein¬ mal gründlich bewiesen werden wird, wie fein und sicher Palmersto» das Netz um das schon halbwegs der Unterthänigkeit verfallene England ge¬ worfen hat. Allein in Wirklichkeit geht es mit dieser Frage wie mit vielen andern. Das Verhängnis; und die Thatsachen sind mächtiger als die Menschen. Das alte indische Vcrwaltungssystem war grade zu dem Zweck erfunden wor¬ den, um den Einfluß der Münster auf das indische Heer und die indische Verwal¬ tung zu schwächen; man hatte die vielfach getheilte und zersplitterte Ver¬ antwortlichkeit als das beste Mittel zur Erreichung eines solchen Zweckes er¬ dacht und den Directorialhof, nachdem ihm alle wirkliche Gewalt genommen war, noch bestehen lassen, damit er, der politisch unmächtigste Körper, das in englischen Augen so wichtige Amt der Stellenvergebung (Mronagö) behalte. So weit war das System klug und sein ausgesonnen. aber auf einem andern viel gefährlichern Gebiete hatte es sich als unhaltbar bewiesen. In den bevor¬ stehenden Parlamentsdebatten werden die Anhänger des Directorialhofs die diesem gemachten Vorwürfe ohne Zweifel mit ebenso gerechten Angriffen auf die indische Controlbehörde erwiedern können, und diese vielleicht wieder die Schuld aus Generalgouvemeur und andere ausführende Beamte in Ostindien schieben. Alle werden Recht haben, eben weil das ganze System fehlerhaft war. Will England Ostindien behalten, so kann es gar nicht anders, als auf diesen eigentlichen Grund des Uebels eingehen, es muß ein anderes System an die Stelle des alten setzen. Ein anderes System bedeutet aber eben die Ein¬ setzung einer in sich kräftigen und wirksamen Behörde, mag es ein Minister oder ein Kollegium sein. Die Daily News verkennt gradezu das Zwingende der Sachlage, wenn sie die bevorstehenden Veränderungen vom Standpunkt einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Freiheit Englands angreift. Weiß sie vielleicht einen Mittelweg anzugeben? etwa die Zuweisung der Er¬ nennungen an eine nicht mit der politischen Gewalt begleitete Behörde? Als wenn das möglich wäre, als ob daraus nicht ein steter Kampf zwischen den beiden Theilen entspringen müßte, zum sichern Nachtheil der von ihnen ver¬ tretenen Interessen. Es ist gewiß gut, daß das deutsche Publicum, das die ostindischen Er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/191>, abgerufen am 22.12.2024.