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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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stadt Lacknau war auch ganz besonders der Sitz des reinen Brahminenthums,
aber auch wie das nördlichere Bengalen einer mohammedanischen Herrschaft
unterworfen. Bekanntlich wurde das Königreich erst unter dem vorigen
Generalgouvemeur der directen britischen Herrschaft unterworfen, und ist in
und außer dem Parlamente diese Anneration als ein ganz besonderer Beweis
britischer Begehrlichkeit und Ungerechtigkeit aufgeführt worden. Möglicher¬
weise indeß, wäre sie nicht geschehen, daß diese Unterlassung der Sündenbock
für noch ganz andere und vielleicht mehr gerechtfertigte Rede- und Schreib¬
übungen gewesen wäre. Denn wessen Gedächtniß nicht allzu kurz ist, der wird
sich noch aus den Zeiten vor dem Ausbruche des Aufstands der mannigfachen
Schilderungen jenes wüsten, von einemversoffenen europäischen Barbier geleiteten
Lebens eines indischen Sultans erinnern, die damals durch fast alle deutsche Blätter
gingen. Dieser Sultan lebte zu Lacknau und das von ihm und seiner Um^-
gebung in taumelnden Vergnügungen mißhandelte Land war Audh. Diesem
Treiben hat die englische Negierung ein Ende gemacht, wie sie ihm ein Ende
machen mußte und hätte sie es nicht gethan, wie viel tugendhafte Federn sich
dann wol gegen sie in Bewegung gesetzt hätten!

Aber diese Befreiung Audhs aus einer tausendjährigen MißHerrschaft
hat dort alles gegen die Engländer aufgebracht, was aus den bisherigen Zu¬
ständen Nutzen zog. namentlich die großen und kleinen Gutsbesitzer im Lande,
kurz alles, was man nach europäischen Begriffen Adel nennen könnte. Einen
gewissen Schutz gegen die Sultanswillkür hatten die Gingebornen zudem in
einer Art militärischer Abschließung von Dorf und Gemeinde gefunden, wie
denn überhaupt der Gemeindeverband in Indien sehr stark ist. Die Engländer
haben mehrfach ihr Erstaunen über das Zusammenhalten der von ihnen ge¬
gebenen militärischen Organisation auch nach dem Abfall zu erkennen gegeben;
bedenkt man aber diesen Zusammenhalt der Gemeinde und bringt ihn mit
dem Umstände in Verbindung, daß die einzelnen Regimenter des bengalischen
Heeres sich gewohnheitsmäßig sast allein aus denselben Dörfern recrutirten,
so verschwindet mindestens ein Theil dieser Verwunderung. Es begreift sich
daraus aber auch leicht, wie der Aufstand, nachdem ihm der Schatten des
Großmoguls genommen war, sich in Audh concentriren mußte und dort zu
einer Art nationaler Erhebung wurde, wie sie sich sonst nirgend im weiten
Indien gestaltet hat. Dennoch bleibt der Aufstand so aussichtslos als vor¬
her, tropdem oder grade weil Campbell sich aus Lacknau zurückgezogen hat.
Nachdem die Weiber und Kinder von dort befreit waren, mußte er einen bessern
Stützpunkt für seine weiteren Operationen suchen und dieser scheint vor allen
w Cawnpur gegeben zu sein, wohin schon seit Wochen aller von England
anlangende Succurs gerichtet war. Lacknau und Cawnpur zugleich besetzt


stadt Lacknau war auch ganz besonders der Sitz des reinen Brahminenthums,
aber auch wie das nördlichere Bengalen einer mohammedanischen Herrschaft
unterworfen. Bekanntlich wurde das Königreich erst unter dem vorigen
Generalgouvemeur der directen britischen Herrschaft unterworfen, und ist in
und außer dem Parlamente diese Anneration als ein ganz besonderer Beweis
britischer Begehrlichkeit und Ungerechtigkeit aufgeführt worden. Möglicher¬
weise indeß, wäre sie nicht geschehen, daß diese Unterlassung der Sündenbock
für noch ganz andere und vielleicht mehr gerechtfertigte Rede- und Schreib¬
übungen gewesen wäre. Denn wessen Gedächtniß nicht allzu kurz ist, der wird
sich noch aus den Zeiten vor dem Ausbruche des Aufstands der mannigfachen
Schilderungen jenes wüsten, von einemversoffenen europäischen Barbier geleiteten
Lebens eines indischen Sultans erinnern, die damals durch fast alle deutsche Blätter
gingen. Dieser Sultan lebte zu Lacknau und das von ihm und seiner Um^-
gebung in taumelnden Vergnügungen mißhandelte Land war Audh. Diesem
Treiben hat die englische Negierung ein Ende gemacht, wie sie ihm ein Ende
machen mußte und hätte sie es nicht gethan, wie viel tugendhafte Federn sich
dann wol gegen sie in Bewegung gesetzt hätten!

Aber diese Befreiung Audhs aus einer tausendjährigen MißHerrschaft
hat dort alles gegen die Engländer aufgebracht, was aus den bisherigen Zu¬
ständen Nutzen zog. namentlich die großen und kleinen Gutsbesitzer im Lande,
kurz alles, was man nach europäischen Begriffen Adel nennen könnte. Einen
gewissen Schutz gegen die Sultanswillkür hatten die Gingebornen zudem in
einer Art militärischer Abschließung von Dorf und Gemeinde gefunden, wie
denn überhaupt der Gemeindeverband in Indien sehr stark ist. Die Engländer
haben mehrfach ihr Erstaunen über das Zusammenhalten der von ihnen ge¬
gebenen militärischen Organisation auch nach dem Abfall zu erkennen gegeben;
bedenkt man aber diesen Zusammenhalt der Gemeinde und bringt ihn mit
dem Umstände in Verbindung, daß die einzelnen Regimenter des bengalischen
Heeres sich gewohnheitsmäßig sast allein aus denselben Dörfern recrutirten,
so verschwindet mindestens ein Theil dieser Verwunderung. Es begreift sich
daraus aber auch leicht, wie der Aufstand, nachdem ihm der Schatten des
Großmoguls genommen war, sich in Audh concentriren mußte und dort zu
einer Art nationaler Erhebung wurde, wie sie sich sonst nirgend im weiten
Indien gestaltet hat. Dennoch bleibt der Aufstand so aussichtslos als vor¬
her, tropdem oder grade weil Campbell sich aus Lacknau zurückgezogen hat.
Nachdem die Weiber und Kinder von dort befreit waren, mußte er einen bessern
Stützpunkt für seine weiteren Operationen suchen und dieser scheint vor allen
w Cawnpur gegeben zu sein, wohin schon seit Wochen aller von England
anlangende Succurs gerichtet war. Lacknau und Cawnpur zugleich besetzt


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[0189] stadt Lacknau war auch ganz besonders der Sitz des reinen Brahminenthums, aber auch wie das nördlichere Bengalen einer mohammedanischen Herrschaft unterworfen. Bekanntlich wurde das Königreich erst unter dem vorigen Generalgouvemeur der directen britischen Herrschaft unterworfen, und ist in und außer dem Parlamente diese Anneration als ein ganz besonderer Beweis britischer Begehrlichkeit und Ungerechtigkeit aufgeführt worden. Möglicher¬ weise indeß, wäre sie nicht geschehen, daß diese Unterlassung der Sündenbock für noch ganz andere und vielleicht mehr gerechtfertigte Rede- und Schreib¬ übungen gewesen wäre. Denn wessen Gedächtniß nicht allzu kurz ist, der wird sich noch aus den Zeiten vor dem Ausbruche des Aufstands der mannigfachen Schilderungen jenes wüsten, von einemversoffenen europäischen Barbier geleiteten Lebens eines indischen Sultans erinnern, die damals durch fast alle deutsche Blätter gingen. Dieser Sultan lebte zu Lacknau und das von ihm und seiner Um^- gebung in taumelnden Vergnügungen mißhandelte Land war Audh. Diesem Treiben hat die englische Negierung ein Ende gemacht, wie sie ihm ein Ende machen mußte und hätte sie es nicht gethan, wie viel tugendhafte Federn sich dann wol gegen sie in Bewegung gesetzt hätten! Aber diese Befreiung Audhs aus einer tausendjährigen MißHerrschaft hat dort alles gegen die Engländer aufgebracht, was aus den bisherigen Zu¬ ständen Nutzen zog. namentlich die großen und kleinen Gutsbesitzer im Lande, kurz alles, was man nach europäischen Begriffen Adel nennen könnte. Einen gewissen Schutz gegen die Sultanswillkür hatten die Gingebornen zudem in einer Art militärischer Abschließung von Dorf und Gemeinde gefunden, wie denn überhaupt der Gemeindeverband in Indien sehr stark ist. Die Engländer haben mehrfach ihr Erstaunen über das Zusammenhalten der von ihnen ge¬ gebenen militärischen Organisation auch nach dem Abfall zu erkennen gegeben; bedenkt man aber diesen Zusammenhalt der Gemeinde und bringt ihn mit dem Umstände in Verbindung, daß die einzelnen Regimenter des bengalischen Heeres sich gewohnheitsmäßig sast allein aus denselben Dörfern recrutirten, so verschwindet mindestens ein Theil dieser Verwunderung. Es begreift sich daraus aber auch leicht, wie der Aufstand, nachdem ihm der Schatten des Großmoguls genommen war, sich in Audh concentriren mußte und dort zu einer Art nationaler Erhebung wurde, wie sie sich sonst nirgend im weiten Indien gestaltet hat. Dennoch bleibt der Aufstand so aussichtslos als vor¬ her, tropdem oder grade weil Campbell sich aus Lacknau zurückgezogen hat. Nachdem die Weiber und Kinder von dort befreit waren, mußte er einen bessern Stützpunkt für seine weiteren Operationen suchen und dieser scheint vor allen w Cawnpur gegeben zu sein, wohin schon seit Wochen aller von England anlangende Succurs gerichtet war. Lacknau und Cawnpur zugleich besetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/189>, abgerufen am 22.12.2024.