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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Mit besondern, Eifer legt sich Stifter, der überall darauf ausgeht, die
Poesie in das gewöhnliche Leben einzuführen, auf die Darstellung derjenigen
Kunstzweige, die mit dem Handwerk verwandt sind. Wer sich darüber unter¬
richten will, wie man seine Privatwohnung, seine Bibliotheken, seine Gärten,
seine Werkstätten u, s. w, ebenso geschmackvoll als zweckmäßig ausstatten
kann, findet in diesem Roman die reichhaltigsten Notizen. Die Poesie des
Luxus ist selten so anschaulich und einsichtsvoll dargestellt worden. Was die
Möbel, den eigentlichen Schmuck> die Ausstattung der Zimmer betrifft, neigt
sich Stifter mehr zum Geschmack einer frühern Zeit, doch tadelt er dre todte
Nachbildung, so wie die Vermischung' verschiedener Perioden bei der Aus¬
stattung einer Wohnung und verlangt, daß man in der sinnigen Weise der
Alten den neuen Bedürfnissen und Gewohnheiten gerecht werden soll. Am
ausführlichsten ist das Capitel der Mosaik behandelt, namentlich die Zusam¬
mensetzung schöner und seltener Holzgattungen zu sinnreichen Getäfel, und
hier könnte selbst der ausübende Künstler viel lernen. Künstlerisch betrachtet,
nimmt diese Darstellung freilich einen viel zu großen Raum ein, und es macht
wiederum den Eindruck der Zweckwidrigkeit, wenn die Besucher dieser stattlichen
Räume stets Filzschuhe anlegen müssen, um das Getäfel nicht zu beschädigen,
welcher Umstand nie vergessen wird. Die Genauigkeit in der Ausmalung
der Baulichkeiten ist sehr instructiv. aber nicht eigentlich dichterisch, denn sie
beschränkt sich weder darauf, den Ort der Handlung klar dem Gedächtniß'
einzuprägen, noch bemüht sie sich gleich Dickens, durch diese Äußerlichkeiten
der Stimmung ein Relief zu geben. Der Ernst, mit dem diese Dinge be¬
handelt werden, macht in den meisten Fällen einen unfreiwillig komischen
Eindruck, und man muß von der Geschichte ganz abstrahiren, um dem gebil¬
deten Kunstfreund so weit zu folgen, daß man aus seinen Belehrungen wirt- '
liehen Nutzen schöpft. Es kommt dazu noch ein mißlicher Unistand. Stifter
ist ein Sohn des Volks, aber sein ästhetischer Sinn verleitet ihn zu einer un¬
gebührlichen Verehrung der isvcialen Aristokratie. Selbst in Augenblicken, wo
nur die Seele sprechen sollte, kann er sich nicht erwehren, auf schone und
kostbare Gewänder, glänzenden Schmuck und vornehme Bewegungen eine Auf-
merksamkeit zu richten, die der echten Leidenschaft fremd ist. In solchen Fällen
zeigt selbst die Gräfin Hahn-Hahn mehr Takt, was gewiß viel sagen will.

So ist in der Gegenüberstellung der vornehmen und bürgerlichen Welt
die erstere im Ganzen mit mehr Vorliebe als Einsicht behandelt. Stifters
sociales Ideal ist die höchste Vereinigung des Einfachen und des Vornehmen,
ein Ideal, dem gewiß jedes künstlerische Gefühl huldigen wird und dessen
Durchführung auch in gewissen glücklichen Fälle" möglich ist. Aber indem
hier die Ausnahme zur Regel gestempelt wird, indem alle Ecken abgeschliffen
werden, welche aus dem bestimmten Beruf, aus den Umgangskreisen, aus


Mit besondern, Eifer legt sich Stifter, der überall darauf ausgeht, die
Poesie in das gewöhnliche Leben einzuführen, auf die Darstellung derjenigen
Kunstzweige, die mit dem Handwerk verwandt sind. Wer sich darüber unter¬
richten will, wie man seine Privatwohnung, seine Bibliotheken, seine Gärten,
seine Werkstätten u, s. w, ebenso geschmackvoll als zweckmäßig ausstatten
kann, findet in diesem Roman die reichhaltigsten Notizen. Die Poesie des
Luxus ist selten so anschaulich und einsichtsvoll dargestellt worden. Was die
Möbel, den eigentlichen Schmuck> die Ausstattung der Zimmer betrifft, neigt
sich Stifter mehr zum Geschmack einer frühern Zeit, doch tadelt er dre todte
Nachbildung, so wie die Vermischung' verschiedener Perioden bei der Aus¬
stattung einer Wohnung und verlangt, daß man in der sinnigen Weise der
Alten den neuen Bedürfnissen und Gewohnheiten gerecht werden soll. Am
ausführlichsten ist das Capitel der Mosaik behandelt, namentlich die Zusam¬
mensetzung schöner und seltener Holzgattungen zu sinnreichen Getäfel, und
hier könnte selbst der ausübende Künstler viel lernen. Künstlerisch betrachtet,
nimmt diese Darstellung freilich einen viel zu großen Raum ein, und es macht
wiederum den Eindruck der Zweckwidrigkeit, wenn die Besucher dieser stattlichen
Räume stets Filzschuhe anlegen müssen, um das Getäfel nicht zu beschädigen,
welcher Umstand nie vergessen wird. Die Genauigkeit in der Ausmalung
der Baulichkeiten ist sehr instructiv. aber nicht eigentlich dichterisch, denn sie
beschränkt sich weder darauf, den Ort der Handlung klar dem Gedächtniß'
einzuprägen, noch bemüht sie sich gleich Dickens, durch diese Äußerlichkeiten
der Stimmung ein Relief zu geben. Der Ernst, mit dem diese Dinge be¬
handelt werden, macht in den meisten Fällen einen unfreiwillig komischen
Eindruck, und man muß von der Geschichte ganz abstrahiren, um dem gebil¬
deten Kunstfreund so weit zu folgen, daß man aus seinen Belehrungen wirt- '
liehen Nutzen schöpft. Es kommt dazu noch ein mißlicher Unistand. Stifter
ist ein Sohn des Volks, aber sein ästhetischer Sinn verleitet ihn zu einer un¬
gebührlichen Verehrung der isvcialen Aristokratie. Selbst in Augenblicken, wo
nur die Seele sprechen sollte, kann er sich nicht erwehren, auf schone und
kostbare Gewänder, glänzenden Schmuck und vornehme Bewegungen eine Auf-
merksamkeit zu richten, die der echten Leidenschaft fremd ist. In solchen Fällen
zeigt selbst die Gräfin Hahn-Hahn mehr Takt, was gewiß viel sagen will.

So ist in der Gegenüberstellung der vornehmen und bürgerlichen Welt
die erstere im Ganzen mit mehr Vorliebe als Einsicht behandelt. Stifters
sociales Ideal ist die höchste Vereinigung des Einfachen und des Vornehmen,
ein Ideal, dem gewiß jedes künstlerische Gefühl huldigen wird und dessen
Durchführung auch in gewissen glücklichen Fälle» möglich ist. Aber indem
hier die Ausnahme zur Regel gestempelt wird, indem alle Ecken abgeschliffen
werden, welche aus dem bestimmten Beruf, aus den Umgangskreisen, aus


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[0178] Mit besondern, Eifer legt sich Stifter, der überall darauf ausgeht, die Poesie in das gewöhnliche Leben einzuführen, auf die Darstellung derjenigen Kunstzweige, die mit dem Handwerk verwandt sind. Wer sich darüber unter¬ richten will, wie man seine Privatwohnung, seine Bibliotheken, seine Gärten, seine Werkstätten u, s. w, ebenso geschmackvoll als zweckmäßig ausstatten kann, findet in diesem Roman die reichhaltigsten Notizen. Die Poesie des Luxus ist selten so anschaulich und einsichtsvoll dargestellt worden. Was die Möbel, den eigentlichen Schmuck> die Ausstattung der Zimmer betrifft, neigt sich Stifter mehr zum Geschmack einer frühern Zeit, doch tadelt er dre todte Nachbildung, so wie die Vermischung' verschiedener Perioden bei der Aus¬ stattung einer Wohnung und verlangt, daß man in der sinnigen Weise der Alten den neuen Bedürfnissen und Gewohnheiten gerecht werden soll. Am ausführlichsten ist das Capitel der Mosaik behandelt, namentlich die Zusam¬ mensetzung schöner und seltener Holzgattungen zu sinnreichen Getäfel, und hier könnte selbst der ausübende Künstler viel lernen. Künstlerisch betrachtet, nimmt diese Darstellung freilich einen viel zu großen Raum ein, und es macht wiederum den Eindruck der Zweckwidrigkeit, wenn die Besucher dieser stattlichen Räume stets Filzschuhe anlegen müssen, um das Getäfel nicht zu beschädigen, welcher Umstand nie vergessen wird. Die Genauigkeit in der Ausmalung der Baulichkeiten ist sehr instructiv. aber nicht eigentlich dichterisch, denn sie beschränkt sich weder darauf, den Ort der Handlung klar dem Gedächtniß' einzuprägen, noch bemüht sie sich gleich Dickens, durch diese Äußerlichkeiten der Stimmung ein Relief zu geben. Der Ernst, mit dem diese Dinge be¬ handelt werden, macht in den meisten Fällen einen unfreiwillig komischen Eindruck, und man muß von der Geschichte ganz abstrahiren, um dem gebil¬ deten Kunstfreund so weit zu folgen, daß man aus seinen Belehrungen wirt- ' liehen Nutzen schöpft. Es kommt dazu noch ein mißlicher Unistand. Stifter ist ein Sohn des Volks, aber sein ästhetischer Sinn verleitet ihn zu einer un¬ gebührlichen Verehrung der isvcialen Aristokratie. Selbst in Augenblicken, wo nur die Seele sprechen sollte, kann er sich nicht erwehren, auf schone und kostbare Gewänder, glänzenden Schmuck und vornehme Bewegungen eine Auf- merksamkeit zu richten, die der echten Leidenschaft fremd ist. In solchen Fällen zeigt selbst die Gräfin Hahn-Hahn mehr Takt, was gewiß viel sagen will. So ist in der Gegenüberstellung der vornehmen und bürgerlichen Welt die erstere im Ganzen mit mehr Vorliebe als Einsicht behandelt. Stifters sociales Ideal ist die höchste Vereinigung des Einfachen und des Vornehmen, ein Ideal, dem gewiß jedes künstlerische Gefühl huldigen wird und dessen Durchführung auch in gewissen glücklichen Fälle» möglich ist. Aber indem hier die Ausnahme zur Regel gestempelt wird, indem alle Ecken abgeschliffen werden, welche aus dem bestimmten Beruf, aus den Umgangskreisen, aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/178>, abgerufen am 27.07.2024.