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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Neben dem Schrecken zog Trotz und wilde Verzweiflung in die See¬
len. Die sittliche Verwahrlosung nahm im Landvolk furchtbar überHand.
Weiber entliefen den Männern, Kinder den Eltern, die Gewohnheiten, Laster
und Krankheiten der durchziehenden Heere blieben zurück, selbst wenn die
Räuber aus dem verwüsteten und halb zerstörten Dorfe abzogen. Damals
wurde das Tabakrauchen bei dem Landvolk allgemein, das Branntweintrinken,
das sich etwa seit dem Bauernkriege auf dem Flachlande verbreitet hatte,
wurde ein gewöhnliches Laster. Die Achtung vor fremdem Eigenthum ver¬
schwand. Im Anfange des Kriegs waren die Nachbardörfer einander noch
hilfreich gesinnt. Wenn die Soldaten in dem einen Dorfe Vieh forttrieben
und dasselbe bei der nächsten Nachtrast wieder verkauften, so gaben die Käu¬
fer den neuen Erwerb um den Einkaufspreis oft den frühern Eigenthümern
zurück. Das thaten in Franken selbst katholische und protestantische Ortschaf¬
ten einander zu Liebe. Allmälig aber begann der Landmann zu stehlen und
zu rauben wie der Soldat. Bewaffnete Haufen rotteten sich'zusammen, zogen
über die Landesgrenze in andere Dörfer und entführten, was sie bedurften. Sie
lauerten den Nachzüglern der Regimenter in dichtem Wald oder in Gebirgs¬
pässen aus und nahmen oft nach hartem Kampfe an dem Leben der Bezwunge¬
nen eine rohe Rache, ja sie überboten die Virtuosität der Soldaten in
Erfindung von Todesqualen, und es wird wenige Waldhügel geben, in
deren Schatten nicht damals greuliche Unthat von solchen verübt
ist, w.elche dort früher als friedliche Holzfäller und Steinbrecher ihr kunst¬
loses Lied gesungen hatten. Es entstand allmälig ein grimmiger Corpshaß
zwischen Soldaten und Bauern, der bis an das Ende des Krieges dauerte
und mehr als etwas Anderes die Dörfer Deutschlands verdorben hat.--Auch
zwischen den Landschaften und einzelnen Oertern entstanden Fehden. Hier sei
aus der düstern Zeit nur eine harmlose berichtet.

So hatten die Bürger von Eisfeld noch mehre Jahre nach dem Kriege
heftige Feindschaft mit dem Kloster Banz, wegen zwei wohltönenden Glocken
ihrer alten Stadtkirche, dem "Banzer" und der "Messe". Ein schwedischer
Obrist hatte die beiden Glocken aus Banz abgeführt und dem Städtchen ver¬
kauft. Und zweimal, wenn katholische Völker in Eisfeld lagen, waren die
Mönche mit Wagen und Seiten hingezogen, ihre Glocken wieder¬
zuholen, aber das erste Mal bekamen die Mönche mit einem gewissenhaften
Kroaten der Einauartirung Händel, weil sie eine Thurmuhr obenein mitnehmen
wollten. Der Kroäk drang mit dem Säbel aus die frommen Männer ein, und
er und seine Kameraden liefen auf den Thurm und läuteten heftig mit den
Glocken, so daß die Mönche von Banz für unmöglich fa,nden, die Glocken
herunterzuhvleu und an ihrer Statt nur die Thurmuhr mitnahmen. Das
zweite Mal gings ihnen nicht besser; endlich nach dem Frieden wurde ihnen


Grenzboten 1. 13S3. ' 2

Neben dem Schrecken zog Trotz und wilde Verzweiflung in die See¬
len. Die sittliche Verwahrlosung nahm im Landvolk furchtbar überHand.
Weiber entliefen den Männern, Kinder den Eltern, die Gewohnheiten, Laster
und Krankheiten der durchziehenden Heere blieben zurück, selbst wenn die
Räuber aus dem verwüsteten und halb zerstörten Dorfe abzogen. Damals
wurde das Tabakrauchen bei dem Landvolk allgemein, das Branntweintrinken,
das sich etwa seit dem Bauernkriege auf dem Flachlande verbreitet hatte,
wurde ein gewöhnliches Laster. Die Achtung vor fremdem Eigenthum ver¬
schwand. Im Anfange des Kriegs waren die Nachbardörfer einander noch
hilfreich gesinnt. Wenn die Soldaten in dem einen Dorfe Vieh forttrieben
und dasselbe bei der nächsten Nachtrast wieder verkauften, so gaben die Käu¬
fer den neuen Erwerb um den Einkaufspreis oft den frühern Eigenthümern
zurück. Das thaten in Franken selbst katholische und protestantische Ortschaf¬
ten einander zu Liebe. Allmälig aber begann der Landmann zu stehlen und
zu rauben wie der Soldat. Bewaffnete Haufen rotteten sich'zusammen, zogen
über die Landesgrenze in andere Dörfer und entführten, was sie bedurften. Sie
lauerten den Nachzüglern der Regimenter in dichtem Wald oder in Gebirgs¬
pässen aus und nahmen oft nach hartem Kampfe an dem Leben der Bezwunge¬
nen eine rohe Rache, ja sie überboten die Virtuosität der Soldaten in
Erfindung von Todesqualen, und es wird wenige Waldhügel geben, in
deren Schatten nicht damals greuliche Unthat von solchen verübt
ist, w.elche dort früher als friedliche Holzfäller und Steinbrecher ihr kunst¬
loses Lied gesungen hatten. Es entstand allmälig ein grimmiger Corpshaß
zwischen Soldaten und Bauern, der bis an das Ende des Krieges dauerte
und mehr als etwas Anderes die Dörfer Deutschlands verdorben hat.—Auch
zwischen den Landschaften und einzelnen Oertern entstanden Fehden. Hier sei
aus der düstern Zeit nur eine harmlose berichtet.

So hatten die Bürger von Eisfeld noch mehre Jahre nach dem Kriege
heftige Feindschaft mit dem Kloster Banz, wegen zwei wohltönenden Glocken
ihrer alten Stadtkirche, dem „Banzer" und der „Messe". Ein schwedischer
Obrist hatte die beiden Glocken aus Banz abgeführt und dem Städtchen ver¬
kauft. Und zweimal, wenn katholische Völker in Eisfeld lagen, waren die
Mönche mit Wagen und Seiten hingezogen, ihre Glocken wieder¬
zuholen, aber das erste Mal bekamen die Mönche mit einem gewissenhaften
Kroaten der Einauartirung Händel, weil sie eine Thurmuhr obenein mitnehmen
wollten. Der Kroäk drang mit dem Säbel aus die frommen Männer ein, und
er und seine Kameraden liefen auf den Thurm und läuteten heftig mit den
Glocken, so daß die Mönche von Banz für unmöglich fa,nden, die Glocken
herunterzuhvleu und an ihrer Statt nur die Thurmuhr mitnahmen. Das
zweite Mal gings ihnen nicht besser; endlich nach dem Frieden wurde ihnen


Grenzboten 1. 13S3. ' 2
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[0017] Neben dem Schrecken zog Trotz und wilde Verzweiflung in die See¬ len. Die sittliche Verwahrlosung nahm im Landvolk furchtbar überHand. Weiber entliefen den Männern, Kinder den Eltern, die Gewohnheiten, Laster und Krankheiten der durchziehenden Heere blieben zurück, selbst wenn die Räuber aus dem verwüsteten und halb zerstörten Dorfe abzogen. Damals wurde das Tabakrauchen bei dem Landvolk allgemein, das Branntweintrinken, das sich etwa seit dem Bauernkriege auf dem Flachlande verbreitet hatte, wurde ein gewöhnliches Laster. Die Achtung vor fremdem Eigenthum ver¬ schwand. Im Anfange des Kriegs waren die Nachbardörfer einander noch hilfreich gesinnt. Wenn die Soldaten in dem einen Dorfe Vieh forttrieben und dasselbe bei der nächsten Nachtrast wieder verkauften, so gaben die Käu¬ fer den neuen Erwerb um den Einkaufspreis oft den frühern Eigenthümern zurück. Das thaten in Franken selbst katholische und protestantische Ortschaf¬ ten einander zu Liebe. Allmälig aber begann der Landmann zu stehlen und zu rauben wie der Soldat. Bewaffnete Haufen rotteten sich'zusammen, zogen über die Landesgrenze in andere Dörfer und entführten, was sie bedurften. Sie lauerten den Nachzüglern der Regimenter in dichtem Wald oder in Gebirgs¬ pässen aus und nahmen oft nach hartem Kampfe an dem Leben der Bezwunge¬ nen eine rohe Rache, ja sie überboten die Virtuosität der Soldaten in Erfindung von Todesqualen, und es wird wenige Waldhügel geben, in deren Schatten nicht damals greuliche Unthat von solchen verübt ist, w.elche dort früher als friedliche Holzfäller und Steinbrecher ihr kunst¬ loses Lied gesungen hatten. Es entstand allmälig ein grimmiger Corpshaß zwischen Soldaten und Bauern, der bis an das Ende des Krieges dauerte und mehr als etwas Anderes die Dörfer Deutschlands verdorben hat.—Auch zwischen den Landschaften und einzelnen Oertern entstanden Fehden. Hier sei aus der düstern Zeit nur eine harmlose berichtet. So hatten die Bürger von Eisfeld noch mehre Jahre nach dem Kriege heftige Feindschaft mit dem Kloster Banz, wegen zwei wohltönenden Glocken ihrer alten Stadtkirche, dem „Banzer" und der „Messe". Ein schwedischer Obrist hatte die beiden Glocken aus Banz abgeführt und dem Städtchen ver¬ kauft. Und zweimal, wenn katholische Völker in Eisfeld lagen, waren die Mönche mit Wagen und Seiten hingezogen, ihre Glocken wieder¬ zuholen, aber das erste Mal bekamen die Mönche mit einem gewissenhaften Kroaten der Einauartirung Händel, weil sie eine Thurmuhr obenein mitnehmen wollten. Der Kroäk drang mit dem Säbel aus die frommen Männer ein, und er und seine Kameraden liefen auf den Thurm und läuteten heftig mit den Glocken, so daß die Mönche von Banz für unmöglich fa,nden, die Glocken herunterzuhvleu und an ihrer Statt nur die Thurmuhr mitnahmen. Das zweite Mal gings ihnen nicht besser; endlich nach dem Frieden wurde ihnen Grenzboten 1. 13S3. ' 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/17>, abgerufen am 22.12.2024.