Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hause eines Amerikaners gewesen, der mindestens fünfhundert Kühe besitzt,
und hat in der ganzen Zeit weder Milch noch Butter gesehen. Die Familie
wußte beide gute Sachen recht wohl zu schätzen, "aber es macht zu viel Um¬
stände." Hier trieb der Deutsche früh Morgens eine Kuh in die Verzüunung
und die Frau melkte." --

Auf der Weiterreise macht Olmsted die Bekanntschaft von Deutschen vor¬
nehmerer Classe. "Als wir durch einen kleinen Bach ritten, begegneten uns
zwei Reiter in rothen Kitteln und Klapphüten, die unsern Reisegefährten
herzlich begrüßten. Sie waren aus Sisterdale, und suchten Vieh, das sich
verlaufen hatte. Diese Ansiedelung besteht aus acht oder zehn Farmer und
liegt etwa vierzig englische Meilen von San Antonio am Guadalupe. da. wo
der Sisterdalebach in ihn mündet und die Straße nach Friedrichsburg hinüber
führt. Sämmtliche Farmer sind Leute von Erziehung; der erste kam durch
Zufall, die übrigen kamen durch freie Wahl in diese Gegend, und alle wohnen
so nahe bei einander, daß sie geselligen Verkehr unterhalten können. Weiter
aufwärts am Guadalupe leben noch etwa zwanzig Ansiedler vereinzelt in
Höhlen oder Hütten, die sich ihren Lebensunterhalt durch Verfertiger von
Schindeln erwerben. Auch sie sind gebildete Männer, entziehen sich aber allem
Umgange und leben in den Wäldern als politische Eremiten. Jene beiden,
welche wir am Bache trafen, gehörten zu diesen Einsiedlern. Der eine, vor¬
mals Student in Berlin, war Schulmeister, der andere, über dessen Domäne
wir eben ritten, ein Baron, der uns mit in sein Schloß nahm. Es war ein
neues, noch nicht ganz vollendetes Blockhaus, und die Familie wohnte deshalb
in einer anstoßenden Hütte. Die Baronesse empfing uns recht herzlich und zeigte
uns einen prallen Säugling, der sieben Tage alt war, und dreimal mehr wog
als die Kinder daheim; so sagte wenigstens die Mutter.

Wir saßen eben beim Frühstück, als ein Dutzend Männer, darunter einige
Amerikaner, heransprengten; sie kamen von .einer benachbarten Niederlassung
und wollten nach dem Date, wo Gericht abgehalten wurde. Wir schlössen
uns an. Das Haus des Richters war eine doppelte Blockhütte und stand
auf einem romantisch gelegenen Felsenvorsprung über dem Guadalupe. Er
trat heraus, um uns zu begrüße", wandelte rasch sein Speisezimmer in einen
Gerichtssaal um, nahm dann seine lange Tabakspfeife zur Hand und führte
uns in sein Zimmer, wo er eben meteorologische Tabellen verfaßt hatte. Die
Gerichtssitzung war nur kurz. Es handelte sich darum, den Schadenersatz für
einen erschossenen Hund auszumitteln und die Parteien auszusöhnen. Der
Richter genoß weit und breit so großes Ansehen, daß ihm das Friedenstifter
durchgängig gelang. Sein Haupt war theilweise kahl, aber sein Antlitz frisch;
es strahlte wie von ewiger Jugend, und man sah ihm den hochgebildeten
Mann aus den ersten Blick an. Er war daheim mit Humboldt und Goethes


Hause eines Amerikaners gewesen, der mindestens fünfhundert Kühe besitzt,
und hat in der ganzen Zeit weder Milch noch Butter gesehen. Die Familie
wußte beide gute Sachen recht wohl zu schätzen, „aber es macht zu viel Um¬
stände." Hier trieb der Deutsche früh Morgens eine Kuh in die Verzüunung
und die Frau melkte." —

Auf der Weiterreise macht Olmsted die Bekanntschaft von Deutschen vor¬
nehmerer Classe. „Als wir durch einen kleinen Bach ritten, begegneten uns
zwei Reiter in rothen Kitteln und Klapphüten, die unsern Reisegefährten
herzlich begrüßten. Sie waren aus Sisterdale, und suchten Vieh, das sich
verlaufen hatte. Diese Ansiedelung besteht aus acht oder zehn Farmer und
liegt etwa vierzig englische Meilen von San Antonio am Guadalupe. da. wo
der Sisterdalebach in ihn mündet und die Straße nach Friedrichsburg hinüber
führt. Sämmtliche Farmer sind Leute von Erziehung; der erste kam durch
Zufall, die übrigen kamen durch freie Wahl in diese Gegend, und alle wohnen
so nahe bei einander, daß sie geselligen Verkehr unterhalten können. Weiter
aufwärts am Guadalupe leben noch etwa zwanzig Ansiedler vereinzelt in
Höhlen oder Hütten, die sich ihren Lebensunterhalt durch Verfertiger von
Schindeln erwerben. Auch sie sind gebildete Männer, entziehen sich aber allem
Umgange und leben in den Wäldern als politische Eremiten. Jene beiden,
welche wir am Bache trafen, gehörten zu diesen Einsiedlern. Der eine, vor¬
mals Student in Berlin, war Schulmeister, der andere, über dessen Domäne
wir eben ritten, ein Baron, der uns mit in sein Schloß nahm. Es war ein
neues, noch nicht ganz vollendetes Blockhaus, und die Familie wohnte deshalb
in einer anstoßenden Hütte. Die Baronesse empfing uns recht herzlich und zeigte
uns einen prallen Säugling, der sieben Tage alt war, und dreimal mehr wog
als die Kinder daheim; so sagte wenigstens die Mutter.

Wir saßen eben beim Frühstück, als ein Dutzend Männer, darunter einige
Amerikaner, heransprengten; sie kamen von .einer benachbarten Niederlassung
und wollten nach dem Date, wo Gericht abgehalten wurde. Wir schlössen
uns an. Das Haus des Richters war eine doppelte Blockhütte und stand
auf einem romantisch gelegenen Felsenvorsprung über dem Guadalupe. Er
trat heraus, um uns zu begrüße», wandelte rasch sein Speisezimmer in einen
Gerichtssaal um, nahm dann seine lange Tabakspfeife zur Hand und führte
uns in sein Zimmer, wo er eben meteorologische Tabellen verfaßt hatte. Die
Gerichtssitzung war nur kurz. Es handelte sich darum, den Schadenersatz für
einen erschossenen Hund auszumitteln und die Parteien auszusöhnen. Der
Richter genoß weit und breit so großes Ansehen, daß ihm das Friedenstifter
durchgängig gelang. Sein Haupt war theilweise kahl, aber sein Antlitz frisch;
es strahlte wie von ewiger Jugend, und man sah ihm den hochgebildeten
Mann aus den ersten Blick an. Er war daheim mit Humboldt und Goethes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105431"/>
          <p xml:id="ID_340" prev="#ID_339"> Hause eines Amerikaners gewesen, der mindestens fünfhundert Kühe besitzt,<lb/>
und hat in der ganzen Zeit weder Milch noch Butter gesehen. Die Familie<lb/>
wußte beide gute Sachen recht wohl zu schätzen, &#x201E;aber es macht zu viel Um¬<lb/>
stände." Hier trieb der Deutsche früh Morgens eine Kuh in die Verzüunung<lb/>
und die Frau melkte." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_341"> Auf der Weiterreise macht Olmsted die Bekanntschaft von Deutschen vor¬<lb/>
nehmerer Classe. &#x201E;Als wir durch einen kleinen Bach ritten, begegneten uns<lb/>
zwei Reiter in rothen Kitteln und Klapphüten, die unsern Reisegefährten<lb/>
herzlich begrüßten. Sie waren aus Sisterdale, und suchten Vieh, das sich<lb/>
verlaufen hatte. Diese Ansiedelung besteht aus acht oder zehn Farmer und<lb/>
liegt etwa vierzig englische Meilen von San Antonio am Guadalupe. da. wo<lb/>
der Sisterdalebach in ihn mündet und die Straße nach Friedrichsburg hinüber<lb/>
führt. Sämmtliche Farmer sind Leute von Erziehung; der erste kam durch<lb/>
Zufall, die übrigen kamen durch freie Wahl in diese Gegend, und alle wohnen<lb/>
so nahe bei einander, daß sie geselligen Verkehr unterhalten können. Weiter<lb/>
aufwärts am Guadalupe leben noch etwa zwanzig Ansiedler vereinzelt in<lb/>
Höhlen oder Hütten, die sich ihren Lebensunterhalt durch Verfertiger von<lb/>
Schindeln erwerben. Auch sie sind gebildete Männer, entziehen sich aber allem<lb/>
Umgange und leben in den Wäldern als politische Eremiten. Jene beiden,<lb/>
welche wir am Bache trafen, gehörten zu diesen Einsiedlern. Der eine, vor¬<lb/>
mals Student in Berlin, war Schulmeister, der andere, über dessen Domäne<lb/>
wir eben ritten, ein Baron, der uns mit in sein Schloß nahm. Es war ein<lb/>
neues, noch nicht ganz vollendetes Blockhaus, und die Familie wohnte deshalb<lb/>
in einer anstoßenden Hütte. Die Baronesse empfing uns recht herzlich und zeigte<lb/>
uns einen prallen Säugling, der sieben Tage alt war, und dreimal mehr wog<lb/>
als die Kinder daheim; so sagte wenigstens die Mutter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_342" next="#ID_343"> Wir saßen eben beim Frühstück, als ein Dutzend Männer, darunter einige<lb/>
Amerikaner, heransprengten; sie kamen von .einer benachbarten Niederlassung<lb/>
und wollten nach dem Date, wo Gericht abgehalten wurde. Wir schlössen<lb/>
uns an. Das Haus des Richters war eine doppelte Blockhütte und stand<lb/>
auf einem romantisch gelegenen Felsenvorsprung über dem Guadalupe. Er<lb/>
trat heraus, um uns zu begrüße», wandelte rasch sein Speisezimmer in einen<lb/>
Gerichtssaal um, nahm dann seine lange Tabakspfeife zur Hand und führte<lb/>
uns in sein Zimmer, wo er eben meteorologische Tabellen verfaßt hatte. Die<lb/>
Gerichtssitzung war nur kurz. Es handelte sich darum, den Schadenersatz für<lb/>
einen erschossenen Hund auszumitteln und die Parteien auszusöhnen. Der<lb/>
Richter genoß weit und breit so großes Ansehen, daß ihm das Friedenstifter<lb/>
durchgängig gelang. Sein Haupt war theilweise kahl, aber sein Antlitz frisch;<lb/>
es strahlte wie von ewiger Jugend, und man sah ihm den hochgebildeten<lb/>
Mann aus den ersten Blick an.  Er war daheim mit Humboldt und Goethes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Hause eines Amerikaners gewesen, der mindestens fünfhundert Kühe besitzt, und hat in der ganzen Zeit weder Milch noch Butter gesehen. Die Familie wußte beide gute Sachen recht wohl zu schätzen, „aber es macht zu viel Um¬ stände." Hier trieb der Deutsche früh Morgens eine Kuh in die Verzüunung und die Frau melkte." — Auf der Weiterreise macht Olmsted die Bekanntschaft von Deutschen vor¬ nehmerer Classe. „Als wir durch einen kleinen Bach ritten, begegneten uns zwei Reiter in rothen Kitteln und Klapphüten, die unsern Reisegefährten herzlich begrüßten. Sie waren aus Sisterdale, und suchten Vieh, das sich verlaufen hatte. Diese Ansiedelung besteht aus acht oder zehn Farmer und liegt etwa vierzig englische Meilen von San Antonio am Guadalupe. da. wo der Sisterdalebach in ihn mündet und die Straße nach Friedrichsburg hinüber führt. Sämmtliche Farmer sind Leute von Erziehung; der erste kam durch Zufall, die übrigen kamen durch freie Wahl in diese Gegend, und alle wohnen so nahe bei einander, daß sie geselligen Verkehr unterhalten können. Weiter aufwärts am Guadalupe leben noch etwa zwanzig Ansiedler vereinzelt in Höhlen oder Hütten, die sich ihren Lebensunterhalt durch Verfertiger von Schindeln erwerben. Auch sie sind gebildete Männer, entziehen sich aber allem Umgange und leben in den Wäldern als politische Eremiten. Jene beiden, welche wir am Bache trafen, gehörten zu diesen Einsiedlern. Der eine, vor¬ mals Student in Berlin, war Schulmeister, der andere, über dessen Domäne wir eben ritten, ein Baron, der uns mit in sein Schloß nahm. Es war ein neues, noch nicht ganz vollendetes Blockhaus, und die Familie wohnte deshalb in einer anstoßenden Hütte. Die Baronesse empfing uns recht herzlich und zeigte uns einen prallen Säugling, der sieben Tage alt war, und dreimal mehr wog als die Kinder daheim; so sagte wenigstens die Mutter. Wir saßen eben beim Frühstück, als ein Dutzend Männer, darunter einige Amerikaner, heransprengten; sie kamen von .einer benachbarten Niederlassung und wollten nach dem Date, wo Gericht abgehalten wurde. Wir schlössen uns an. Das Haus des Richters war eine doppelte Blockhütte und stand auf einem romantisch gelegenen Felsenvorsprung über dem Guadalupe. Er trat heraus, um uns zu begrüße», wandelte rasch sein Speisezimmer in einen Gerichtssaal um, nahm dann seine lange Tabakspfeife zur Hand und führte uns in sein Zimmer, wo er eben meteorologische Tabellen verfaßt hatte. Die Gerichtssitzung war nur kurz. Es handelte sich darum, den Schadenersatz für einen erschossenen Hund auszumitteln und die Parteien auszusöhnen. Der Richter genoß weit und breit so großes Ansehen, daß ihm das Friedenstifter durchgängig gelang. Sein Haupt war theilweise kahl, aber sein Antlitz frisch; es strahlte wie von ewiger Jugend, und man sah ihm den hochgebildeten Mann aus den ersten Blick an. Er war daheim mit Humboldt und Goethes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/154>, abgerufen am 27.07.2024.