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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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und mit Recht behauptet, daß die Alten von den Gesehen der gothischen
Architektur nichts wußten. Wir müssen uns leider damit begnügen, die
Aesthetik des Schneiders aus den Angriffen des Gegners kennen zu lernen.
Weder Gay, noch sonst jemand, dem das Archiv von Se. Petronio zugäng¬
lich war, hat es der Mühe werth gesunden, Carlo Cremvnas Denkschriften
über den Bau zu veröffentlichen; Gay nennt sie absurd. Wir geben ihm
gern zu, daß des Schneiders Anschauungen nur ein culturgeschichtliches
Interesse in Anspruch nehmen können, aber auch Terribilins Vertheidigung,
die von dem Satze ausgeht, daß die Gothik aus der verdorbenen korinthischen
Säulenordnung hervorgegangen sei, erscheint nicht als die Quintessenz der
Weisheit. In Rom wenigstens war man von der Absurdität der Schneider-
gothik nicht vollkommen überzeugt. Der Cardinal Montalto, vor dessen
Foruni die Angelegenheit gelaugte, trug daraus an, den Bau einzustellen und
den Schneider wie den Architekten nach Rom zu senden. Hier sollten beide
vor einem Schiedsgerichte von Sachverständigen Rede stehen, ihre Gründe
und Gegengründe entwickeln und aus solche Art der ganze Streit endgiltig
aufgetragen worden.' Einen ärgeren Kontrast zu dem kavaliermäßigen Aus¬
treten der Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, als in dieser Gleichstellung
des simpeln Schneiders und des gelehrten Künstlers liegt, kann man sich
nicht denken, auch den Aufruhr, den dieser Vorschlag in den Künstler¬
kreisen erregen mußte. wol versinnlichen. Der Schneider-- genaue Nachrichten
fehlen zwar darüber -- ging nicht nach Rom, dagegen kamen die Cavnliere
Fontana und Giacomo della Porta nach Bologna. Daß diese gegen den
Schneider entschieden, versteht sich von selbst. Fontana hatte schon einmal,
bei Gelegenheit der Ausrichtung des Obelisken auf dem Petersplatze, der rohen
Praxis Recht geben müssen. Es war nicht anzunehmen, daß er jetzt das
Handwerk auf Kosten der gelehrten Kunst begünstigen würde. Die Urkunden
schweigen über das fernere Schicksal Carlo Cremonas iber Streit über die
Wölbung dauerte übrigens bis zum I. 162", in welchem Jahre der Wöl¬
bungsplan des Architekten Girolamo Rinaldi officiell bestätigt wurde), desto
mehr Grund haben wir anzunehmen, der Petition der bologneser Sachver-
ständigen v. I. 1589 sei Folge gegeben worden, welche da lautet: "der
Legat möge dem Schneider und seinen Anhängern befehlen, sich um ihre
Krambuden zu kümmern, nicht über Dinge den Mund zu offnen, über welche
zu urtheilen sie 'nicht berufen sind und nicht das Volk aufzuhetzen und Skandal
zu erregen." Mit andern Worten, ein bekanntes Sprichwort wurde leicht ab¬
geändert und dem letzten Bertheidiger und Märtyrer der Gothik in Italien
A. Syr. gerathen: Schneider, bleibe bei deiner Elle.




Grenzboten I. 18S8.17

und mit Recht behauptet, daß die Alten von den Gesehen der gothischen
Architektur nichts wußten. Wir müssen uns leider damit begnügen, die
Aesthetik des Schneiders aus den Angriffen des Gegners kennen zu lernen.
Weder Gay, noch sonst jemand, dem das Archiv von Se. Petronio zugäng¬
lich war, hat es der Mühe werth gesunden, Carlo Cremvnas Denkschriften
über den Bau zu veröffentlichen; Gay nennt sie absurd. Wir geben ihm
gern zu, daß des Schneiders Anschauungen nur ein culturgeschichtliches
Interesse in Anspruch nehmen können, aber auch Terribilins Vertheidigung,
die von dem Satze ausgeht, daß die Gothik aus der verdorbenen korinthischen
Säulenordnung hervorgegangen sei, erscheint nicht als die Quintessenz der
Weisheit. In Rom wenigstens war man von der Absurdität der Schneider-
gothik nicht vollkommen überzeugt. Der Cardinal Montalto, vor dessen
Foruni die Angelegenheit gelaugte, trug daraus an, den Bau einzustellen und
den Schneider wie den Architekten nach Rom zu senden. Hier sollten beide
vor einem Schiedsgerichte von Sachverständigen Rede stehen, ihre Gründe
und Gegengründe entwickeln und aus solche Art der ganze Streit endgiltig
aufgetragen worden.' Einen ärgeren Kontrast zu dem kavaliermäßigen Aus¬
treten der Künstler des siebzehnten Jahrhunderts, als in dieser Gleichstellung
des simpeln Schneiders und des gelehrten Künstlers liegt, kann man sich
nicht denken, auch den Aufruhr, den dieser Vorschlag in den Künstler¬
kreisen erregen mußte. wol versinnlichen. Der Schneider— genaue Nachrichten
fehlen zwar darüber — ging nicht nach Rom, dagegen kamen die Cavnliere
Fontana und Giacomo della Porta nach Bologna. Daß diese gegen den
Schneider entschieden, versteht sich von selbst. Fontana hatte schon einmal,
bei Gelegenheit der Ausrichtung des Obelisken auf dem Petersplatze, der rohen
Praxis Recht geben müssen. Es war nicht anzunehmen, daß er jetzt das
Handwerk auf Kosten der gelehrten Kunst begünstigen würde. Die Urkunden
schweigen über das fernere Schicksal Carlo Cremonas iber Streit über die
Wölbung dauerte übrigens bis zum I. 162«, in welchem Jahre der Wöl¬
bungsplan des Architekten Girolamo Rinaldi officiell bestätigt wurde), desto
mehr Grund haben wir anzunehmen, der Petition der bologneser Sachver-
ständigen v. I. 1589 sei Folge gegeben worden, welche da lautet: „der
Legat möge dem Schneider und seinen Anhängern befehlen, sich um ihre
Krambuden zu kümmern, nicht über Dinge den Mund zu offnen, über welche
zu urtheilen sie 'nicht berufen sind und nicht das Volk aufzuhetzen und Skandal
zu erregen." Mit andern Worten, ein bekanntes Sprichwort wurde leicht ab¬
geändert und dem letzten Bertheidiger und Märtyrer der Gothik in Italien
A. Syr. gerathen: Schneider, bleibe bei deiner Elle.




Grenzboten I. 18S8.17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/137>, abgerufen am 22.12.2024.