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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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den. Darauf hin faßt die Regierung von Bologna den definitiven Beschluß,
den Bau nach Terribilias Plan, mit welchem Einzelnheiten des von Tibaldi
geschaffenen Entwurfes verbunden werden sollen in Angriff zu nehmen. Und
um den Muth noch mehr zu stählen, wird die zufällige Anwesenheit des Mailänder
Dombaumeisters Pellegrini in Bologna benutzt, um nachträglich auch noch die
Zustimmung einer Autorität zu gewinnen. Im Herzensgrunde wünscht dieser
freilich einen vollständigen Umbau nach antiken Grundsätzen. Da sich dies
aber als unthunlich erweist, so gibt er dem officiellen Plane schließlich seine
Billigung.

Es war jedoch das Verhängniß von Se. Petronio. daß jeder Schritt
zur Bauthätigkeit näher auch einen Schritt tiefer in die Verwirrung bedeuten
sollte. Trotz dem, daß alles officiell festgestellt war, begann doch erst jetzt im
vorletzten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts der heftigste Parteien
kämpf. Die Fa<zade bildete zwar nicht mehr den Stein des Anstoßes. Ehe
an ihren Ausbau geschritten werden konnte, mußte das Mittelschiff seine Ge¬
wölbe erhalten. Auch hier traten die Meinungen scharf auseinander und von
nahe und fern kamen Pläne und Vorschläge, wie die Wölbung am besten zu
schaffen wäre. Zuerst kämpfen die Einheimischen gegen die Fremden. Diese
werden in einer Relation der Sachverständigen von Bologna (1586) mit
Aerzten verglichen, welche einem Kranken Arzneien verordnen, ohne ihm den
Puls gefühlt, ja ohne ihn auch nur mit dem Auge erblickt zu haben. Ihren
Worten zu folgen, würde dem Bau nur zum Schaden gereichen. Es verstehe
sich von selbst, daß spitzbogige Kreuzgewölbe angewendet und die von einer
Seite geforderte Belastung der Pfeiler mit Fries und Architrav beseitigt wer¬
den müsse. Eine ähnliche Ansicht sprechen fünf Architekten aus, welche am
25. August 1587 zu einer Berathung zusammentreten (unter ihnen auch
Ternbilia) und das Resultat derselben in sieben Punkten zusammenfassen.
In der hier festgestellten Weise wurde das Werk begonnen. Aber nun erst
brach der Hauptsturm los. Der Held desselben ist der Schneider Carlo
Er e molto..

Von jeher übte die Gothik auf die Handwerkskreise einen besonderen
Zauber. Wenn man dieselbe analysirt, wird man stets den Hauptnachdruck
auf die Wertarbeit gelegt, das technische Element in den Vordergrund gerückt
gewahren. Die Summe der Motive, in welchen sich die erfinderische Phantasie
des Architekten bewegen kann, erscheint ziemlich gering, auch geistreichen Ein¬
fällen, genialen Neuerungen eine enge Grenze gesetzt. Geistreiche und gelehrte
Künstler haben daher auch gewöhnlich erst einen geheimen Widerwillen zu
überwinden, ehe sie sich von der organischen Größe der gothischen Architektur
gefangen nehmen lassen, dem blos handwerksmäßig Gebildeten imponirt
hingegen die streng geometrische Grundlage sowol der constructiver wie der


den. Darauf hin faßt die Regierung von Bologna den definitiven Beschluß,
den Bau nach Terribilias Plan, mit welchem Einzelnheiten des von Tibaldi
geschaffenen Entwurfes verbunden werden sollen in Angriff zu nehmen. Und
um den Muth noch mehr zu stählen, wird die zufällige Anwesenheit des Mailänder
Dombaumeisters Pellegrini in Bologna benutzt, um nachträglich auch noch die
Zustimmung einer Autorität zu gewinnen. Im Herzensgrunde wünscht dieser
freilich einen vollständigen Umbau nach antiken Grundsätzen. Da sich dies
aber als unthunlich erweist, so gibt er dem officiellen Plane schließlich seine
Billigung.

Es war jedoch das Verhängniß von Se. Petronio. daß jeder Schritt
zur Bauthätigkeit näher auch einen Schritt tiefer in die Verwirrung bedeuten
sollte. Trotz dem, daß alles officiell festgestellt war, begann doch erst jetzt im
vorletzten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts der heftigste Parteien
kämpf. Die Fa<zade bildete zwar nicht mehr den Stein des Anstoßes. Ehe
an ihren Ausbau geschritten werden konnte, mußte das Mittelschiff seine Ge¬
wölbe erhalten. Auch hier traten die Meinungen scharf auseinander und von
nahe und fern kamen Pläne und Vorschläge, wie die Wölbung am besten zu
schaffen wäre. Zuerst kämpfen die Einheimischen gegen die Fremden. Diese
werden in einer Relation der Sachverständigen von Bologna (1586) mit
Aerzten verglichen, welche einem Kranken Arzneien verordnen, ohne ihm den
Puls gefühlt, ja ohne ihn auch nur mit dem Auge erblickt zu haben. Ihren
Worten zu folgen, würde dem Bau nur zum Schaden gereichen. Es verstehe
sich von selbst, daß spitzbogige Kreuzgewölbe angewendet und die von einer
Seite geforderte Belastung der Pfeiler mit Fries und Architrav beseitigt wer¬
den müsse. Eine ähnliche Ansicht sprechen fünf Architekten aus, welche am
25. August 1587 zu einer Berathung zusammentreten (unter ihnen auch
Ternbilia) und das Resultat derselben in sieben Punkten zusammenfassen.
In der hier festgestellten Weise wurde das Werk begonnen. Aber nun erst
brach der Hauptsturm los. Der Held desselben ist der Schneider Carlo
Er e molto..

Von jeher übte die Gothik auf die Handwerkskreise einen besonderen
Zauber. Wenn man dieselbe analysirt, wird man stets den Hauptnachdruck
auf die Wertarbeit gelegt, das technische Element in den Vordergrund gerückt
gewahren. Die Summe der Motive, in welchen sich die erfinderische Phantasie
des Architekten bewegen kann, erscheint ziemlich gering, auch geistreichen Ein¬
fällen, genialen Neuerungen eine enge Grenze gesetzt. Geistreiche und gelehrte
Künstler haben daher auch gewöhnlich erst einen geheimen Widerwillen zu
überwinden, ehe sie sich von der organischen Größe der gothischen Architektur
gefangen nehmen lassen, dem blos handwerksmäßig Gebildeten imponirt
hingegen die streng geometrische Grundlage sowol der constructiver wie der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/135>, abgerufen am 22.12.2024.