Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Deutschland galt um das Jahr 1618 für ein sehr reiches Land. Auch
der Bauer hatte in dem langen Frieden eine Wohlhäbigkeit erlangt, welche
wahrscheinlich größer war. als sie im Durchschnitt noch gegenwärtig ist. Die
Zahl der Dörfer in Thüringen und Franken war etwas größer als jetzt.
Die Häuser waren zwar nur von Holz und Lehm in ungefälliger Form, oft
in engen Dorsstraßen zusammengedrängt, aber sie waren nicht arm an Haus¬
rath und Behagen. Schon standen alte Obstbaumpflanzungen um die Dörfer
-und viele Quellen ergossen ihr klares Wasser in steinerne Tröge. Auf
den Düngerstätten der eingefriedeten Höfe tummelten sich große Scharen
von kleinem Geflügel, auf den Stoppeläckern lagen mächtige Gänseherden
und in den Ställen standen die Gespanne der Pferde weit zahlreicher als
jetzt, wahrscheinlich ein großer starkknochiger Schlag, verbauerte Nachkommen
der alten Ritterrosse, sie. die stolzeste Freude des Hofbesitzers. Große Ge¬
meindeherden von Schafen und Rindern grasten auf den steinigen Höhen-
zügen und in den fetten Riedgräsern. Die Dvrfflur lag -- wo nicht
die altfränkische Flurtheilung in lange Bänder sich erhalten hatte -- in drei
Felder getheilt, deren Husen schon damals viel gespalten und Beet sür Beet sorg¬
fältig versteint waren. Der Acker war nicht ohne höhere Cultur. Es ward
häufig Weizen in das Winterfeld gesäet. Wald wurde im Norden des Renn-
stiegs eifrig und mit großem Bortheil gebaut, der Flachs wurde durch die
Wasserröste zubereitet, auch die Pferdebohne scheint schon damals ein
beliebtes Futtergewüchs gewesen zu sein und die bunten Blüten des Mohnes
und die schwanken Rispen der Hirse erhoben sich inmitten der Aehrenfelder. An
den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thüringen und Franken damals
überall Rebengärten und diese alte Cultur, welche jetzt in denselben Land¬
schaften fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen sehr
trinkbaren Wein hervorgebracht haben, sogar noch auf den Vorbergen des
Waldgebirges, denn es werden in . den Chroniken einzelne Weinjnhre als
vortrefflich gerühmt. Auch Hopfen ward fleißig gebaut und vorzüglich in
Franken schon damals zu gutem Biere benutzt. -- Die Lasten, welche auf dem
Bauernstand lagen, servitutem und Abgaben waren nicht gering, am größten
auf den adligen Gütern, aber es gab nicht wenig freie Bauerdörfer im Lande
und das Regiment der Landesherrn war im Ganzen weniger hart, als im
südlichen Franken und in Hessen. Es ist ein Irrthum, wenn man die Bureau¬
kratie und Schreiberherrschaft als ein Erzeugnis; der neuen Zeit betrachtet, es
wurde schon damals viel regiert und die Dörfer hatten dem herzoglichen
Amtsboten, der ihnen die Briefe brachte, schon oft sein kleines Zehrgeld zu
zahlen. Die Gemeinderechnungcn wurden seit fast hundert Jahren ordent¬
lich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt; auch auf Orts¬
zeugnisse und Heimathscheine ward schon gehalten, und die Gemeinden


Deutschland galt um das Jahr 1618 für ein sehr reiches Land. Auch
der Bauer hatte in dem langen Frieden eine Wohlhäbigkeit erlangt, welche
wahrscheinlich größer war. als sie im Durchschnitt noch gegenwärtig ist. Die
Zahl der Dörfer in Thüringen und Franken war etwas größer als jetzt.
Die Häuser waren zwar nur von Holz und Lehm in ungefälliger Form, oft
in engen Dorsstraßen zusammengedrängt, aber sie waren nicht arm an Haus¬
rath und Behagen. Schon standen alte Obstbaumpflanzungen um die Dörfer
-und viele Quellen ergossen ihr klares Wasser in steinerne Tröge. Auf
den Düngerstätten der eingefriedeten Höfe tummelten sich große Scharen
von kleinem Geflügel, auf den Stoppeläckern lagen mächtige Gänseherden
und in den Ställen standen die Gespanne der Pferde weit zahlreicher als
jetzt, wahrscheinlich ein großer starkknochiger Schlag, verbauerte Nachkommen
der alten Ritterrosse, sie. die stolzeste Freude des Hofbesitzers. Große Ge¬
meindeherden von Schafen und Rindern grasten auf den steinigen Höhen-
zügen und in den fetten Riedgräsern. Die Dvrfflur lag — wo nicht
die altfränkische Flurtheilung in lange Bänder sich erhalten hatte — in drei
Felder getheilt, deren Husen schon damals viel gespalten und Beet sür Beet sorg¬
fältig versteint waren. Der Acker war nicht ohne höhere Cultur. Es ward
häufig Weizen in das Winterfeld gesäet. Wald wurde im Norden des Renn-
stiegs eifrig und mit großem Bortheil gebaut, der Flachs wurde durch die
Wasserröste zubereitet, auch die Pferdebohne scheint schon damals ein
beliebtes Futtergewüchs gewesen zu sein und die bunten Blüten des Mohnes
und die schwanken Rispen der Hirse erhoben sich inmitten der Aehrenfelder. An
den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thüringen und Franken damals
überall Rebengärten und diese alte Cultur, welche jetzt in denselben Land¬
schaften fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen sehr
trinkbaren Wein hervorgebracht haben, sogar noch auf den Vorbergen des
Waldgebirges, denn es werden in . den Chroniken einzelne Weinjnhre als
vortrefflich gerühmt. Auch Hopfen ward fleißig gebaut und vorzüglich in
Franken schon damals zu gutem Biere benutzt. — Die Lasten, welche auf dem
Bauernstand lagen, servitutem und Abgaben waren nicht gering, am größten
auf den adligen Gütern, aber es gab nicht wenig freie Bauerdörfer im Lande
und das Regiment der Landesherrn war im Ganzen weniger hart, als im
südlichen Franken und in Hessen. Es ist ein Irrthum, wenn man die Bureau¬
kratie und Schreiberherrschaft als ein Erzeugnis; der neuen Zeit betrachtet, es
wurde schon damals viel regiert und die Dörfer hatten dem herzoglichen
Amtsboten, der ihnen die Briefe brachte, schon oft sein kleines Zehrgeld zu
zahlen. Die Gemeinderechnungcn wurden seit fast hundert Jahren ordent¬
lich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt; auch auf Orts¬
zeugnisse und Heimathscheine ward schon gehalten, und die Gemeinden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105289"/>
              <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Deutschland galt um das Jahr 1618 für ein sehr reiches Land. Auch<lb/>
der Bauer hatte in dem langen Frieden eine Wohlhäbigkeit erlangt, welche<lb/>
wahrscheinlich größer war. als sie im Durchschnitt noch gegenwärtig ist. Die<lb/>
Zahl der Dörfer in Thüringen und Franken war etwas größer als jetzt.<lb/>
Die Häuser waren zwar nur von Holz und Lehm in ungefälliger Form, oft<lb/>
in engen Dorsstraßen zusammengedrängt, aber sie waren nicht arm an Haus¬<lb/>
rath und Behagen. Schon standen alte Obstbaumpflanzungen um die Dörfer<lb/>
-und viele Quellen ergossen ihr klares Wasser in steinerne Tröge. Auf<lb/>
den Düngerstätten der eingefriedeten Höfe tummelten sich große Scharen<lb/>
von kleinem Geflügel, auf den Stoppeläckern lagen mächtige Gänseherden<lb/>
und in den Ställen standen die Gespanne der Pferde weit zahlreicher als<lb/>
jetzt, wahrscheinlich ein großer starkknochiger Schlag, verbauerte Nachkommen<lb/>
der alten Ritterrosse, sie. die stolzeste Freude des Hofbesitzers. Große Ge¬<lb/>
meindeherden von Schafen und Rindern grasten auf den steinigen Höhen-<lb/>
zügen und in den fetten Riedgräsern. Die Dvrfflur lag &#x2014; wo nicht<lb/>
die altfränkische Flurtheilung in lange Bänder sich erhalten hatte &#x2014; in drei<lb/>
Felder getheilt, deren Husen schon damals viel gespalten und Beet sür Beet sorg¬<lb/>
fältig versteint waren. Der Acker war nicht ohne höhere Cultur. Es ward<lb/>
häufig Weizen in das Winterfeld gesäet. Wald wurde im Norden des Renn-<lb/>
stiegs eifrig und mit großem Bortheil gebaut, der Flachs wurde durch die<lb/>
Wasserröste zubereitet, auch die Pferdebohne scheint schon damals ein<lb/>
beliebtes Futtergewüchs gewesen zu sein und die bunten Blüten des Mohnes<lb/>
und die schwanken Rispen der Hirse erhoben sich inmitten der Aehrenfelder. An<lb/>
den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thüringen und Franken damals<lb/>
überall Rebengärten und diese alte Cultur, welche jetzt in denselben Land¬<lb/>
schaften fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen sehr<lb/>
trinkbaren Wein hervorgebracht haben, sogar noch auf den Vorbergen des<lb/>
Waldgebirges, denn es werden in . den Chroniken einzelne Weinjnhre als<lb/>
vortrefflich gerühmt. Auch Hopfen ward fleißig gebaut und vorzüglich in<lb/>
Franken schon damals zu gutem Biere benutzt. &#x2014; Die Lasten, welche auf dem<lb/>
Bauernstand lagen, servitutem und Abgaben waren nicht gering, am größten<lb/>
auf den adligen Gütern, aber es gab nicht wenig freie Bauerdörfer im Lande<lb/>
und das Regiment der Landesherrn war im Ganzen weniger hart, als im<lb/>
südlichen Franken und in Hessen. Es ist ein Irrthum, wenn man die Bureau¬<lb/>
kratie und Schreiberherrschaft als ein Erzeugnis; der neuen Zeit betrachtet, es<lb/>
wurde schon damals viel regiert und die Dörfer hatten dem herzoglichen<lb/>
Amtsboten, der ihnen die Briefe brachte, schon oft sein kleines Zehrgeld zu<lb/>
zahlen. Die Gemeinderechnungcn wurden seit fast hundert Jahren ordent¬<lb/>
lich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt; auch auf Orts¬<lb/>
zeugnisse und Heimathscheine ward schon gehalten, und die Gemeinden</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Deutschland galt um das Jahr 1618 für ein sehr reiches Land. Auch der Bauer hatte in dem langen Frieden eine Wohlhäbigkeit erlangt, welche wahrscheinlich größer war. als sie im Durchschnitt noch gegenwärtig ist. Die Zahl der Dörfer in Thüringen und Franken war etwas größer als jetzt. Die Häuser waren zwar nur von Holz und Lehm in ungefälliger Form, oft in engen Dorsstraßen zusammengedrängt, aber sie waren nicht arm an Haus¬ rath und Behagen. Schon standen alte Obstbaumpflanzungen um die Dörfer -und viele Quellen ergossen ihr klares Wasser in steinerne Tröge. Auf den Düngerstätten der eingefriedeten Höfe tummelten sich große Scharen von kleinem Geflügel, auf den Stoppeläckern lagen mächtige Gänseherden und in den Ställen standen die Gespanne der Pferde weit zahlreicher als jetzt, wahrscheinlich ein großer starkknochiger Schlag, verbauerte Nachkommen der alten Ritterrosse, sie. die stolzeste Freude des Hofbesitzers. Große Ge¬ meindeherden von Schafen und Rindern grasten auf den steinigen Höhen- zügen und in den fetten Riedgräsern. Die Dvrfflur lag — wo nicht die altfränkische Flurtheilung in lange Bänder sich erhalten hatte — in drei Felder getheilt, deren Husen schon damals viel gespalten und Beet sür Beet sorg¬ fältig versteint waren. Der Acker war nicht ohne höhere Cultur. Es ward häufig Weizen in das Winterfeld gesäet. Wald wurde im Norden des Renn- stiegs eifrig und mit großem Bortheil gebaut, der Flachs wurde durch die Wasserröste zubereitet, auch die Pferdebohne scheint schon damals ein beliebtes Futtergewüchs gewesen zu sein und die bunten Blüten des Mohnes und die schwanken Rispen der Hirse erhoben sich inmitten der Aehrenfelder. An den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thüringen und Franken damals überall Rebengärten und diese alte Cultur, welche jetzt in denselben Land¬ schaften fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen sehr trinkbaren Wein hervorgebracht haben, sogar noch auf den Vorbergen des Waldgebirges, denn es werden in . den Chroniken einzelne Weinjnhre als vortrefflich gerühmt. Auch Hopfen ward fleißig gebaut und vorzüglich in Franken schon damals zu gutem Biere benutzt. — Die Lasten, welche auf dem Bauernstand lagen, servitutem und Abgaben waren nicht gering, am größten auf den adligen Gütern, aber es gab nicht wenig freie Bauerdörfer im Lande und das Regiment der Landesherrn war im Ganzen weniger hart, als im südlichen Franken und in Hessen. Es ist ein Irrthum, wenn man die Bureau¬ kratie und Schreiberherrschaft als ein Erzeugnis; der neuen Zeit betrachtet, es wurde schon damals viel regiert und die Dörfer hatten dem herzoglichen Amtsboten, der ihnen die Briefe brachte, schon oft sein kleines Zehrgeld zu zahlen. Die Gemeinderechnungcn wurden seit fast hundert Jahren ordent¬ lich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt; auch auf Orts¬ zeugnisse und Heimathscheine ward schon gehalten, und die Gemeinden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/12>, abgerufen am 22.12.2024.